Sexuelle Übergriffe auf Soldatin Von der Leyen kritisiert Staatsanwältin
21.03.2017, 17:17 Uhr
In der Bundeswehr sind gerade in jüngster Zeit Fälle schlimmster Erniedrigungen und massiver sexueller Übergriffe bekannt geworden.
(Foto: dpa)
Eine Soldatin wird von einem Kameraden an den Po gefasst und sexuell belästigt. Die Staatsanwaltschaft wertet das lediglich als "männliches Imponiergehabe". Eine Argumentation, die Verteidigungsministerin von der Leyen empört.
Hat die Bundeswehr ein Problem mit sexueller Gewalt? Erst vor wenigen Wochen waren demütigende und sexuell-sadistische Aufnahmerituale in einer Kaserne in Pfullendorf (Baden-Württemberg) bekanntgeworden, ein aktueller Fall betrifft Missstände bei den Gebirgsjägern in Oberbayern. Nun meldet sich Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen - doch statt die Gemüter zu beruhigen, rückt sie einen weiteren Fall sexueller Belästigung in den Fokus der Öffentlickeit.
Eine Gleichstellungsbeauftragte der Bundeswehr habe sie auf den Fall einer Soldatin hingewiesen, die von einem Kameraden körperlich bedrängt und sexuell belästigt wurde, schrieb von der Leyen in einem offenen Brief auf der Homepage des Verteidigungsministeriums.
Es handelt sich nach Angaben des Ministeriums um einen Vorfall aus dem Jahr 2015. Die Soldatin hatte Anzeige erstattet, das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft jedoch eingestellt. "Zu der Bewertung kann sie als unabhängige Behörde kommen", schrieb die Ministerin. "Was aber völlig inakzeptabel ist, ist die Wortwahl" der Begründung.
"Abenteuerlich und aus der Zeit gefallen"
Nach Angaben von der Leyens schrieb die Staatsanwältin: "Bei dem von Ihnen beschriebenen 'Imponiergehabe' des Beschuldigten (Posen, Muskelspiel, Aufforderung zum Sex, Griff an das Gesäß) ist jedoch nach allgemeinem (vorwiegend männlichem) Verständnis davon auszugehen, dass der Beschuldigte sein 'Interesse' an Ihnen damit kundtun und nicht, dass er Sie beleidigen wollte."
Von der Leyen nannte die Interpretationen "abenteuerlich und aus der Zeit gefallen". Sie zerstörten das Vertrauen von Opfern sexueller Übergriffe, an übergeordneter Stelle Verständnis und Schutz zu finden.
Mit Blick auf die Bundeswehr betonte die Ministerin, der Fall sei ein "grober Verstoß gegen die Pflicht zur Kameradschaft". Sie fügte hinzu: "Ich dulde in der Bundeswehr kein Verhalten, das die Würde, die Ehre und die Rechte auf sexuelle Selbstbestimmung von Soldatinnen oder Soldaten und der zivilen Beschäftigten verletzt".
Ermittlungen gegen 14 Soldaten
Der Vorfall und die Reaktion darauf haben nach Angaben des Ministeriums nichts mit den am Montagabend bekannt gewordenen Vorfällen bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall zu tun. Auch dass der Brief der Ministerin nur wenige Stunden später veröffentlicht wurde, sei "purer Zufall".
Die Staatsanwaltschaft Traunstein ermittelt unter anderem wegen sexueller Belästigung und Volksverhetzung gegen mehrere Gebirgsjäger. Die Opposition sieht darin ein "systemisches Problem bei der Bundeswehr" und fordert eine lückenlose Aufklärung. Der Wehrbeauftragte forderte, besonders bei jungen Soldaten in Kampfverbänden künftig genauer hinzusehen.
Ein Obergefreiter soll einem Schreiben des Verteidigungsministeriums zufolge von Kameraden und Vorgesetzten zwischen November 2015 und September 2016 sexuell belästigt und genötigt worden sein. Die Bundeswehr ermittelt in dem Fall gegen 14 Soldaten.
Das Ministerium bezeichnet die Vorfälle in dem Schreiben als "äußerst bedauerlich und vollkommen inakzeptabel", sie würden aber im Gegensatz zu Pfullendorf nur eine Teileinheit betreffen, die verantwortlichen Kommandeure hätten umsichtig und konsequent reagiert. Der direkte militärische Vorgesetzte des betroffenen Soldaten sei aus seiner Funktion herausgelöst worden, der Betroffene selbst sei versetzt worden. Die Staatsanwaltschaft Traunstein ermittelt seit Februar in dem Fall.
Gegen einen Soldaten richteten sich Vorwürfe wegen Mobbings und "sexualbezogener Verfehlungen". Gegen drei weitere Soldaten werde in zwei weiteren Fällen wegen Volksverhetzung und wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz ermittelt. Nähere Angaben machte der Sprecher nicht. Ende Januar war das Ausbildungszentrum im baden-württembergischen Pfullendorf wegen demütigender Aufnahmerituale und entwürdigender Behandlungen in die Kritik geraten.
Quelle: ntv.de, dsi/dpa/AFP