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Zwischenruf Der Osama-Bluff

Mit dem Tod von Terrorchef Bin Laden gelingt US-Präsident Obama ein Coup, der sein ramponiertes Prestige im rechten Lager aufbessert. Militärisch ist die Aktion für den Krieg in Afghanistan völlig bedeutungslos. Die "gezielte Tötung" macht aus dem Verbrecher in den Augen vieler Muslime einen Märtyrer.

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(Foto: REUTERS)

 

Um es vorwegzunehmen: Der Tod von Osama bin Laden ist eine gute Nachricht. Allein bringen wird das Ganze wenig. Außer einem Prestigegewinn für Barack Obama im rechten Lager. Es spricht für sich, dass sich der US-Präsident jener Methoden bedient, die er bei seinem Vorgänger George W. Bush so heftig kritisiert hat.

Die Tötung des Chefs der Terrorbande Al-Kaida wird den radikalislamischen Terrorismus weltweit kaum schwächen. Wer glaubt, Bin Laden hätte die Aktionen rund um den Globus von einer Villa mit einer Satellitenschüssel im Garten in einer Touristenregion geleitet, ist selber schuld. Sogar das Kommando über den Kern der Bande hätte deren Anführer nicht ausüben können, ohne dass es dem pakistanischen Geheimdienst ISI aufgefallen wäre. Sollte Bin Laden mit der Außenwelt über Brieftauben verkehrt haben, hätten die Schlappturbane ganz gewiss den erhöhten Verbrauch von Vogelfutter bemerkt. Es sei denn, die ISIler selbst haben die Kommunikationsmittel bedient oder die Brieftauben gefüttert.

Die Terrorgruppen, die sich auf Al Kaida beziehen, agieren längst weitgehend unabhängig voneinander. Osama bin Ladens Gruppe ist zu einer Projektionsfläche für den Hass vieler, wenngleich nicht aller Islamisten geworden. In Pakistan und Afghanistan ist derweil eine Generation neuer Fanatiker herangewachsen, deren Ziel weniger der Kampf gegen den Westen rund um den Erdball, denn vielmehr in der Machtübernahme in beiden Ländern besteht. Diese neue Generation steht auf Seiten der einheimischen Taliban, für die Al-Kaida eine mehr oder minder sympathische Truppe von Arabern und anderen Ausländern ist. Wer jetzt jubelt, vergisst, dass der Krieg in Afghanistan nicht gegen Al-Kaida, sondern gegen die Taliban geführt wird. Die Osama-Bande spielt dort operativ keine nennenswerte Rolle mehr. Eine Festnahme des Taliban-Häuptlings Mullah Omar wäre von unvergleichlich größerer – militärischer – Bedeutung. Die propagandistische jedoch – siehe oben - weitaus geringer.

Steigende Terrorismusgefahr

Die Frage, ob Bin Laden hätte verhaftet werden können, ist nicht müßig: Möglicherweise befürchtete das Weiße Haus auch für die USA bei einem anschließenden Prozess unliebsame Plaudereien über bin Ladens jahrelange Zusammenarbeit mit der CIA. Hat der Mann jahrelang in dem Komplex gelebt, das Grundstück nie verlassen? Da war der Mossad bei der Entführung von Eichmann aus Argentinien effektiver. Durch die Aussagen des Schreibtischmassenmörders während des Prozesses in Jerusalem wurde die Welt damals wachgerüttelt. Auf Eichmann mag sich so recht kein deutscher Neonazi berufen.

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Bin Laden wird durch die Umstände seines Todes zum Märtyrer, nicht nur für Islamisten. Wer die muslimischen Bestattungsrituale kennt, bekommt eine Vorstellung von der Schmach, die einem "Rechtgläubigen" zugeführt wird, wenn man seine Leiche ins Meer wirft, wie im Falle Bin Ladens geschehen. Dessen Tod wird den islamistischen Terrorismus nicht schwächen, sondern aktivieren. Was für ein unglaubliches Fehlurteil fällt die "New York Times", die physische Ausschaltung des Mannes als den "größten Sieg des Jahrzehnts auf dem Gebiet der nationalen Sicherheit" zu bezeichnen.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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