Zwischenruf Ein neuer Krieg bricht nicht aus
23.11.2010, 15:37 UhrDie Spannungen auf der koreanischen Halbinsel sind ernst zu nehmen. Das zeigt der Waffengang Südkoreas nach dem nordkoreanischen Feuerüberfall. Ein neuer Krieg ist deshalb jedoch nicht zu befürchten. Die, die vor allem unter der Eskalation zu leiden haben, sind die Menschen in Nordkorea.
Um es vorwegzunehmen: Wenngleich es sich um den wohl schwersten Zwischenfall seit dem Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea handelt: Eine neuer Krieg bricht wegen des nordkoreanischen Feuerüberfall auf die südkoreanische Insel Yeonpyeong nicht aus. Doch es hat offenbar wieder Tote gegeben, wie jüngst beim Untergang der südkoreanischen Korvette "Cheonan", für den Seoul das Regime im Norden verantwortlich macht. Bewiesen ist das allerdings nicht.
Yeonpyeong liegt weit nördlich der Demarkationslinie auf dem Festland. Die Seegrenze war 1953 im Unterschied zur Panmunjon-Linie auf dem 38. Breitengrad einseitig vom US-Oberkommando gezogen worden. Pjöngjang erkennt die Seegrenze bis heute nicht an. Vor diesem Hintergrund war es in der Vergangenheit wiederholt zu Zusammenstößen gekommen.
Der Waffengang - südkoreanische Truppen reagierten mit dem Beschuss nordkoreanischer Artilleriestellungen - zeigt, wie ernst die neuerlichen Spannungen auf der Halbinsel zu nehmen sind, die unter dem südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung und seiner "Sonnenscheinpolitik" merklich nachgelassen hatten. Der gegenwärtige Amtsinhaber Lee Myung Bak hingegen fährt eine harte Linie gegenüber dem Norden, der sich im Gefolge der "Cheonan"-Krise aus der Gemeinsamen Kommission zur Vermeidung militärischer Zusammenstöße zurückzog.
Einer will sich beweisen
Nordkorea durchläuft eine der schwierigsten Phasen seiner Nachkriegsentwicklung: Die dynastische Nachfolge des totalitären Machthabers Kim Jong Il verläuft offenbar doch nicht ganz so glatt wie zunächst angenommen. Insbesondere in der Armee soll es Generäle geben, die den militärisch völlig unerfahrenen Kim-Sohn ablehnen. In diesem Zusammenhang wäre der Überfall auf Yeonpyeong durchaus als Versuch des jüngst zum Vizechef der Militärkommission der herrschenden Partei Berufenen zu bewerten, Führungs"qualitäten" unter Beweis zu stellen. Auch die demonstrative Öffnung nordkoreanischer Atomanlagen für US-Experten muss in diesem Kontext gesehen werden.
Die Einzigen, die unter der neuerlichen Eskalation zu leiden haben, sind die Menschen in Nordkorea. Es ist fraglich, ob der Süden seine im Oktober wieder aufgenommenen Reislieferungen weiterführt, auf die das Regime wegen zweier Missernten und der eigenen Misswirtschaft dringend angewiesen ist.
Obwohl Seoul Militärflugzeuge in die Krisenregion entsandte, dementierte ein Regierungsvertreter Meldungen, wonach Südkorea die Absicht habe, die Angelegenheit vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen. Erschreckend die Dummheit der Börsen, die aus Kriegsangst in den Keller gingen.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de