Zwischenruf Irak: Der Krieg ist nicht zu Ende
15.08.2011, 15:38 Uhr
Mindestens 60 Menschen sterben beim jüngsten Bombenterror im Irak.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die jüngsten Bombenanschläge im Irak zeigen: Der Krieg ist längst nicht vorbei. Von einer Demokratie kann keine Rede sein. Korruption und islamischer Fanatismus nehmen zu. Die schiitische Miliz kündigt an, den Kampf wieder aufzunehmen, sollten die USA bis Ende des Jahres nicht alle Soldaten abgezogen haben.
Schon als der damalige US-Präsident George W. Bush im Mai 2003 großspurig verkündete, der Krieg im Irak sei zu Ende, war das Gegenteil der Fall. Ebenso wie im September vergangenen Jahres, als sein Nachfolger Barack Obama in dasselbe Horn stieß. Zwar kommt es im Moment nicht zu lang andauernden Kämpfen zwischen Aufständischen aller möglichen Couleur und den Invasionstruppen. Aber die jüngste Serie blutiger Anschläge belegt, dass von Frieden keine Rede sein kann.
Wie kritisch die Lage ist, zeigt nicht zuletzt der Streit um den Abzug der US-Truppen. 47.000 Soldaten sollen das Land bis zum Jahresende verlassen. Nun aber verhandeln die Regierungen in Bagdad und Washington über den Verbleib von mindestens 10.000 Mann. Es spricht für das Verständnis des Kriegsvölkerrechts auch unter Bushs Nachfolger Barack Obama, dass die US-amerikanische Seite in jedem Fall Immunität für ihre Militärangehörigen zwischen Euphrat und Tigris verlangt.
Fehlleistungen unter Bush
Die Miliz des radikalen Schiitenführers Muktada Al-Sadr kündigte bereits an, ihren Kampf wieder aufnehmen zu wollen, falls nicht alle US-Militärangehörigen den Irak bis Jahresende verlassen. Al-Sadr ist ein enger Verbündeter des Regimes in Teheran. Das Erstarken der radikalen Schia, nicht nur im Irak, sondern auch im Libanon, Bahrain und im ölreichen Osten Saudi-Arabiens gehört neben den Kriegslügen über angebliche Massenvernichtungswaffen in der Hand von Diktator Saddam Hussein zu den eklatantesten außenpolitischen Fehlleistungen der Bush-Administration.
Der Irak ist acht Jahre nach dem Einmarsch der Koalition der Willigen alles andere als eine Demokratie. Die Korruption hat himmelschreiende Ausmaße erreicht. War der Irak bis in die 80 Jahre hinein bei Lebensmitteln vielfach Selbstversorger, müssen heute die meisten Nahrungsgüter importiert werden. Der allenthalben verbreitete islamische Fanatismus hat zu einer Verfolgung religiöser Minderheiten geführt. Namentlich die Christen werden unterdrückt, von denen schon mehrere hunderttausend das Land verlassen haben. Dies verleitet übrigens die syrischen Christen zu einer weitgehend loyalen Haltung gegenüber dem Regime von Baschar Al-Assad.
Ein "Arabischer Frühling" steht im Irak nicht auf der Tagesordnung. Dafür wächst die Gefahr, dass es einen grauen mesopotamischen Herbst gibt.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de