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Belgien in der Krise Kranker Mann im Herzen Europas

Gescheitert: Yves Leterme.

Gescheitert: Yves Leterme.

(Foto: dpa)

Es gab Zeiten, da war Belgien vor allen Dingen wegen seiner Schokolade bekannt. Diese sind allerdings längst vorbei. Die Schokolade interessiert derzeit kaum noch; Belgien macht nur noch mit innenpolitischen Krisen und gescheiterten Regierungen Schlagzeilen.

Die derzeitige Krise im EU-Kernland ist eine ernste. Zwischen Flamen und Wallonen tobt ein heftiger Sprachenstreit. Nun ist die Auseinandersetzung um die Sprachenrechte im Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde völlig aus dem Ruder gelaufen. Die französischsprachigen Bürger im flämischen Umland der belgischen Hauptstadt – deren Zahl nimmt ständig zu - wollen ihre Interessen geschützt sehen. Dagegen will ein Teil der niederländischsprachigen Flamen den Bezirk zwischen Brüssel und Flandern teilen und die Minderheitenrechte der Wallonen, zum Beispiel auf Gebrauch von Französisch bei Gericht, beschneiden.

Der Regierung des flämisch-christdemokratischen Ministerpräsidenten Yves Leterme gelang es nicht, diesen Streit zu moderieren. Im Gegenteil: Sie zerbrach daran. Die flämischen Liberalen (Open VLD) gingen Leterme von der Fahne. Der Regierungschef stand ohnehin einem äußerst fragilen Bündnis aus fünf Parteien vor: Christdemokraten und Liberale aus jeweils beiden Landesteilen und die wallonischen Sozialisten bildeten die Regierung in Brüssel.

Der 49-jährige Leterme trat bereits zum zweiten Mal zurück. Dabei müsste gerade er ein leuchtendes Beispiel für die Einheit Belgiens darstellen. Der Mann aus Ypern hat einen wallonischen Vater und eine flämische Mutter. Bereits im Dezember 2008 warf Leterme die Brocken hin. Ihm und seiner Regierung wurden die Turbulenzen um die angeschlagene Fortis-Bank zum Verhängnis. Leterme soll den Verkauf des Geldinstituts an die französische BNP Paribas massiv beeinflusst haben; ihm gelang es nicht, diese Vorwürfe zu entkräften.

EU gefordert

Nun scheiterte Leterme – er folgte Herman Van Rompuy Ende November des vergangenen Jahres ins Amt – erneut nach sehr kurzer Zeit. Diesmal ist es der Sprachenstreit. Der ehemalige Regierungschef Flanderns besaß dabei nicht die Integrationskraft seines Amtsvorgängers und warf deshalb das Handtuch.

König Albert II. muss nun die sich verschärfende Krise managen. Dies ist der Monarch allerdings gewohnt. Belgien leidet immerhin seit seiner Gründung 1830 unter dem Sprachenstreit. In der Vergangenheit gelang es dem 75-Jährigen immer wieder, die sich streitenden Parteien auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einzuschwören.

Nun ist die Lage aber noch schwieriger. Flamen und Wallonen pfeifen zunehmend auf die nationale Einheit, die den Namen Belgien trägt. Auch Neuwahlen können den Zwist zwischen beiden Landesteilen wohl nicht beenden. Bei der Herbeiführung einer nachhaltigen Lösung ist nun auch die Europäische Union gefordert. Denn sie hat schließlich ihren Sitz in der Region, wo sich beide Bevölkerungsgruppen bis auf's Messer streiten. Und der kranke Mann übernimmt am 1. Juli auch noch den EU-Ratsvorsitz.

Quelle: ntv.de

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