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Zwischenruf Libyen: Krieg als Normalzustand

Nach den mittlerweile auch vom Vatikan beklagten zivilen Opfern der Luftangriffe auf Libyen, ist die UN-Resolution zu dem geworden, was sie von Anfang an war: Ein papiernes Feigenblatt für einen ungehinderten Luftkrieg zugunsten der als Revolutionäre apostrophierten Aufständischen.

Zurück vom Kampfeinsatz: ein Jet lässt vor der Landung den Treibstoff ab.

Zurück vom Kampfeinsatz: ein Jet lässt vor der Landung den Treibstoff ab.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Paris, London, Washington & Co. haben eine Lage herbeigebombt, in welcher der Einsatz von Bodentruppen immer näher rückt. Wer meint, die Zerstörung der libyschen Luftwaffe und -abwehr würde das Regime in die Knie zwingen, vergisst, dass die Taliban in Afghanistan nie über derartige Mittel verfügten. Das Fähnchen der humanitären Hilfe, das nun gehisst wird, verdeckt mehr recht als schlecht die wahre Absicht: den Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi, dem sie noch vor Monaten den Roten Teppich ausgerollt hatten.

Wenn Not am Mann ist, dann darben die Menschen auf beiden Seiten. Wenn libysche Regierungstruppen rücksichtslos gegen Zivilisten der anderen Seite vorgehen, dann machen die Aufständischen Hetzjagd auf Arbeitsimmigranten aus Schwarzafrika, denen sie Söldnerdienste vorwerfen. Das Gaddafi-Regime ist trotz unstrittiger sozialer Leistungen in den Anfangsjahren längst zur dumpfen Autokratie eines wirklichkeitsfremden Despoten mutiert. Das macht aber das Übergangskomitee in Bengasi nicht a priori zu einem Gremium überzeugter Demokraten. Unter dem Banner des von Gaddafi gestürzten Königs versammeln sich auch überzeugte Monarchisten; der Einfluss einheimischer Islamisten wächst.

Auch Bin-Laden hatte ein CIA-Geldköfferchen

Beunruhigend sind Berichte über die wachsende Präsenz hunderter al-Kaida-Terroristen, die sich in den Waffenarsenalen unter aufständischer Kontrolle bedienen. Dabei soll es auch um schwere Waffen gehen. Wer Waffenlieferungen an die Insurgenten liefern will, sollte bedenken, dass er damit auch die Schlange am eigenen Busen nährt: Osama bin-Laden ist anfänglich mit CIA-Geldköfferchen durch die islamische Welt gedüst und hat Mudschaheddin gegen die sowjetische Invasion rekrutiert.

Die Bundesregierung eiert herum.

Die Bundesregierung eiert herum.

(Foto: picture alliance / dpa)

Es stimmt, dass sich die Bundesregierung Deutschland aus landtagswahltaktischen Gründen aus einem militärischen Engagement herausgehalten hat. Der Vorwurf klingt aber pharisäerhaft aus dem Munde jener, die sich vor dem Einmarsch im Irak als Friedenspolitiker gerierten, um die Bundestagswahlen doch noch für sich zu entscheiden. Doch in beiden Fällen hat zweifellos auch die Überlegung eine Rolle gespielt, Deutschland nicht automatisch weltweit in Kriege mit ungewissem Ausgang hineinzuziehen. Freilich eiert die Bundesregierung herum, wenn sie nun Schiffe der Marine vor die nordafrikanische Küste schicken will. Offensichtlich zieht das unsinnige Argument, die Bundesrepublik habe sich international isoliert.

Mit Indien und Brasilien in einem Boot

Wer den Vorwurf erhebt, es wäre bestürzend, dass sich Berlin an der Seite Moskaus und Pekings wiederfinde, vergisst, dass mit Indien und Brasilien zwei der größten Demokratien mit im Boot sitzen. Bestürzend ist vielmehr, dass der Einsatz militärischer Mittel zur Durchsetzung strategischer Interessen mittlerweile als völlig normal empfunden wird. Bestürzend ist, dass mehrere afrikanische Vermittlungsversuche ignoriert werden. Bestürzend ist, dass die Konfliktmoderation der Türkei vom Tisch gefegt wird. Bestürzend ist, dass die Suche nach politischer Konfliktlösung als Feigheit gewertet wird.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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