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Zwischenruf Schengen: Mafia ante portas?

Eigentlich soll ab März auch für Rumänen und Bulgarien die Reisefreiheit innerhalb der EU gelten.

Eigentlich soll ab März auch für Rumänen und Bulgarien die Reisefreiheit innerhalb der EU gelten.

(Foto: picture alliance / dpa)

Frankreich und Deutschland haben recht mit ihrer Forderung, Bulgarien und Rumänien den Beitritt zum Schengener Abkommen zu verweigern. In beiden Ländern agiert die organisierte Kriminalität vielfach als eigentliche Macht. Doch wenn man mit dieser Elle auch Italien misst, müsste auch die Appeninhalbinsel vor der Tür bleiben. Gerade gestern erst wurde ein Politiker von Silvio Berlusconis Partei unter dem Verdacht der Zusammenarbeit mit der kalabrischen N’drangheta festgenommen. Der Mann soll in der Region von San Luca gegen Wirtschaftsaufträge Wählerstimmen von der örtlichen Mafia gekauft haben. Aus San Luca stammen übrigens auch Täter und Auftraggeber des Mafia-Massakers von Duisburg 2007.

Bulgarien und Rumänien waren bei ihrer Aufnahme in die Europäische Union weit davon entfernt, auch nur die Kriterien für den Beitritt, geschweige denn für eine Mitgliedschaft im Schengenraum zu erfüllen. Da wurden Rechte eingeräumt und Pflichten auferlegt, die zu nutzen respektive zu erfüllen sie nicht in der Lage waren. Unterschiedliche soziale, wirtschaftliche und finanzpolitische Strukturen wurden nicht berücksichtigt, warnende Rufe in den Skat gedrückt. Aus Angst vor einem Zustrom billiger Arbeitskräfte aus Osteuropa sind mittlerweile sogar Arbeitgeber und Arbeitnehmerflügel der Union bereit, über einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn zu sprechen.

Auf Dauer lässt sich der Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum Vertrag von Schengen nicht verhindern. Dann werden wir uns an die dortige Mafia gewöhnen müssen. So wie wir uns an die italienische gewöhnt haben. Als im Zusammenhang mit dem maßgeblich von Wolfgang Schäuble geprägten Begriff Kerneuropa die Rede von den zwei Geschwindigkeiten in Europa aufkam, war der Aufschrei groß. Inzwischen ist die Realität zwischen Atlantik und Bug von 27 Geschwindigkeiten und ebenso vielen Kuriositäten geprägt. Ab 1. Januar ist die ungarische Ratspräsidentschaft, die gerade erst die Medienzensur eingeführt hat, für die Anprangerung von Menschenrechtsverletzungen andernorts zuständig. Die Osterweiterungssucht der neunziger Jahre ist uns auf die Füße gefallen.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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