Steuerpaket ist durch Traumpaar auf Schussfahrt
18.12.2009, 11:48 Uhr
Zwischen Versprechen und Realitäten: Vizekanzler Westerwelle und Kanzlerin Merkel.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Kräftig Gas geben, um dann die Bremse durchzutreten. Diese Art Fahrverhalten wird allgemein als sinnlos bis gefährlich bezeichnet. Crash und Schleudertrauma nicht ausgeschlossen. Die schwarz-gelbe Regierung unter Angela Merkel riskiert dennoch die Schussfahrt.
Monströse 100 Milliarden Euro neue Schulden sieht der erste gemeinsame Haushalt vor – ein einsamer Rekord für den neuen Finanzminister, der sich mit seinem neuen Spitznamen "Schulden-Schäuble" anfreunden muss.
"Die Probleme werden erst noch größer, bevor es wieder besser werden kann", sagte Merkel in ihrer Regierungserklärung im November. Und nahm das Prinzip vorweg, auf dem der Haushalt basiert: Ausgeben, was man nicht hat, um der Krise Paroli zu bieten. Später dann müsse gespart werden. Die von Merkel oft verbreitete Einsicht, dass Deutschland "nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben kann" und seriöse Finanzpolitik den Steuerzahler der Zukunft in den Mittelpunkt stellt, ist dem im Wahlkampf von der FDP gebetsmühlenartig wiederholten Versprechen, Steuern zu senken, geopfert worden.
Bundesrat stimmt zu
Das Wesen einer Schussfahrt ist nicht nur, dass unklar ist, wie sie endet. Vielmehr werden Warnungen vom Streckenrand überhört. Eine Phalanx von Rufern hatte die Regierung vor allem vor dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz gewarnt, das den Haushalt zusätzlich mit Milliarden belastet. Genutzt hat es nichts. Der Bundesrat billigte das Steuerpaket. Die Länderkammer stimmte mit der Mehrheit der schwarz-gelben Regierungen den Gesetzesplänen endgültig zu. Bekommen haben die Länderchefs die Zusage von Entlastungen bei Bildung, Jobcentern und Kosten für Langzeitarbeitslose. Genaue Konditionen sind noch offen.
"Für weitere Steuersenkungen in größerem Umfang gibt es derzeit finanzwirtschaftlich keinen Spielraum", hieß es vorher aus dem Bundesrechnungshof. Nur ein Viertel der Maßnahmen sei zielführend, äußerte das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft. Die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann hält die Staatsverschuldung für "ethisch nicht mehr vertretbar". Und DGB-Chef Michael Sommer resümierte, das Steuerpaket sei "brutalste Klientelpolitik". Dass das Gesetz tatsächlich Wachstum beschleunigt, bezweifeln diverse Wirtschaftsexperten zudem stark. Die Maßnahmen seien zu speziell, um eine breite Wirkung zu entfalten.
Mit Gruß an Hoteliers
Und in der Tat: Anstatt das undurchsichtige System der reduzierten Mehrwertsteuer grundsätzlich zu reformieren, bekommt der bayerische Hoteltourismus auf Drängen von Landesvater Horst Seehofer seine Senkung von 19 auf 7 Prozent. Ein Geschenk, das vermutlich nichts auslöst. Es ist nicht zu erwarten, dass Hotelgäste von der Kostensenkung profitieren. Und an der Erhöhung des Kindergeldes, die jährlich bis zu 4,6 Milliarden Euro verschlingen wird, bleibt erneut der Makel hängen, dass die bedürftigen Hartz-IV-Familien nichts davon haben. Die Wörter Solidarität und Gerechtigkeit kommen eben nicht oft vor im Koalitionsvertrag, wie kürzlich ein Armutsforscher gezählt hat.
Die markig propagierte Wirtschaftskompetenz des Traumpaares Merkel/Westerwelle ist inzwischen auch deshalb zweifelhaft, weil es die Wahrheit in den kommenden Wochen erneut dem politischen Machtkalkül opfern wird. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zwingt den Finanzminister spätestens 2011 zu einer staatlichen Diät. Was läge näher, den Bürger im Sinne einer ehrlichen Politik auf die Rosskur vorzubereiten?
Schwarz-Gelb aber lässt den Souverän über den für 2011 angekündigten radikalen Sparkurs im Unklaren. Schäuble macht bisher keine Anstalten, mögliche Einschnitte zu erläutern. Nur soviel: Die Sanierung des Haushalts werde "große Anstrengungen" erfordern. "Sie wird nicht mit den herkömmlichen Instrumenten zu bewältigen sein." Und: 2011 könne es einen Konsolidierungsbedarf von 25 bis 30 Milliarden Euro geben. Gute Vorschläge für Einsparungen würden schnell zerredet. "Was das sein wird, muss man sorgfältig prüfen", schlingert Schäuble.
Der nächste Nahkampf naht
Wahrscheinlich muss so lange geprüft werden, bis die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gelaufen ist. Einschnitte ins soziale Netz oder die Erhöhung der Mehrwertsteuer könnten CDU-Landesvater Jürgen Rüttgers die für die Union sehr wichtige Wiederwahl verhageln. Und das will, das muss Merkel auf jeden Fall verhindern.
Dabei liegt schon jetzt der nächste Bund-Länder-Nahkampf ums liebe Geld in der Luft. Union und FDP haben vor, weitere Steuersenkungen im Volumen von rund 20 Milliarden Euro zu realisieren. Mit der "großen Steuerreform" und dem neuen Stufentarif geht es dann erst richtig ans Eingemachte. Westerwelle möchte seine Vision vom "niedrigeren, einfacheren und gerechteren Steuersystem” unbedingt durchsetzen. Er riskiert sonst, als Wahl-Lügner die FDP in die Bedeutungslosigkeit zurückzuschicken. Wenn er seine Versprechen nicht irgendwie erfüllt, haben die Liberalen beim nächsten Urnengang keinen einzigen glaubhaften, griffigen Programmpunkt mehr.
Für die Pläne werden sich die Länder aber herzlich bedanken – sie sind aus gutem Grund nicht daran interessiert, die Erfolgsbilanz des Wirtschaftsprofis Westerwelle zu bezahlen. Und sie werden mehr denn je auf glasklare, in Stein gemeißelte Zusagen des Bundes für einen Ausgleich bestehen. Ein Umstand, der den schwarz-gelben Motor erneut heftig ins Stottern bringen und die steuerpolitische Schussfahrt abrupt beenden könnte.
Quelle: ntv.de