Schalker Kinderkreisel & Co. im WM-Check Löws zaghafte Frischlinge bemühen sich
14.05.2014, 05:04 Uhr
Fast hätte die deutsche Elf als U21-Mannschaft auftreten können.
(Foto: imago/Jan Huebner)
Sie sind jung, zwölf feiern ihr Debüt - aber große Freude kommt nicht auf beim 0:0 der deutschen Fußball-Nationalelf gegen Polen. Sagen wir es so: Wer nicht dabei war, muss sich kaum Sorgen machen, nicht mit zur WM nach Brasilien zu dürfen.
Deutschland: Zieler (46. ter Stegen) - Rüdiger (46. Höwedes), Mustafi, Ginter, Sorg (82. Günter) - Rudy, Kramer - Goretzka (46. Hahn), Meyer (77. Arnold), Draxler - Volland (71. Jung)
Polen: Boruc - Olkowski, Cionek (77. Wilusz), Szukala, Wawrzyniak - Krychowiak, Klich - Peszko (53. Zyro), Obraniak (53. Linetty), Rybus - Robak (53. Milik)
Schiedsrichter: Borbalan (Spanien) - Zuschauer: 37.569
Am Ende stand Joachim Löw mit seiner Begeisterung ein wenig alleine da. Eine "sehr interessante Partie" hatte er gesehen, "irgendwie interessant" sei es gewesen", kurzum: "Mir hat dieses Spiel auf jeden Fall sehr viel Spaß gemacht." Und es schien den Bundestrainer auch nicht weiter zu stören, dass er diese Einschätzung weitgehend exklusiv hatte. Denn zu Begeisterung hatte dieses 0:0 der deutschen Fußball-Nationalelf gegen Polen keinen Anlass geboten. Viele der 37.569 Zuschauer im Hamburger pfiffen nach dem Abpfiff, nicht lange, aber laut. Löw aber wollte nichts gehört haben. "Das Publikum hat ein gutes Gespür gehabt für diese junge Mannschaft", behauptete er.
Weil die 20 Profis seines vorläufigen Kaders aus München, Dortmund, London, Madrid, Rom und Hamburg für die Weltmeisterschaft in Brasilien etwas Besseres zu tun hatten und der Leverkusener Lars Bender mit einer Oberschenkelprellung ausgefallen war, hatte der Bundestrainer dieses Testländerspiel in ein Schaulaufen für Debütanten umfunktioniert. Acht Neue standen in der Startelf, vier wechselte er im Laufe der Partie ein und stellte damit einen Rekord in der 106 Jahre währenden Länderspielgeschichte des DFB auf. Selbst bei der allerersten Begegnung beim 3:5 am 5. April 1908 in Basel gegen die Schweiz debütierten nur elf Akteure - Wechsel waren seinerzeit noch nicht vorgesehen.
Aber was hat er gebracht, dieser regnerische Dienstagabend in Hamburg-Stellingen? Im Grunde sind alle so schlau wie zuvor. Löw verrät heute im Laufe des Tages, wen von den 30 Auserwählten er tatsächlich am 21. Mai mit ins Trainingslager nach Südtirol nimmt und welche vier oder fünf Spieler zu Hause bleiben müssen. Sagen wir es so: Diejenigen, die in Hamburg nicht dabei waren, müssen sich keine Sorgen machen. Die deutschen Spieler in der Einzelkritik:
Ron-Robert Zieler: Der 25 Jahre alte Hannoveraner darf sicher sein, dass er mit zur Weltmeisterschaft nach Brasilien fliegt - als dritter Torwart hinter Manuel Neuer vom FC Bayern und Roman Weidenfeller von Borussia Dortmund. Darauf hatte sich der Bundestrainer bereits festgelegt. In Hamburg hatte er in seinem dritten Länderspiel wenig zu tun, hielt den einzigen Schuss auf sein Tor und kann so immerhin von sich behaupten, keinen Fehler gemacht zu haben. Nach der Pause durfte Marc André ter Stegen für ihn ins Spiel. Hielt, wenn es was zu halten gab. Tendenz: klar steigend - angesichts der Bilanz des 22-Jährigen bei seinen drei Länderspielen zuvor. Da kam er auf zwölf Gegentore inklusive eines Eigentores. Das mit der WM wird wie erwähnt nichts, da kann sich der Noch-Mönchengladbacher damit beschäftigen, dass er demnächst für den FC Barcelona spielt. Auch eine schöne Perspektive.
Antonio Rüdiger: Einer von acht Debütanten in der deutschen Startelf. Wer auch immer bei der WM auf der Position des rechten Außenverteidigers spielt - der 21 Jahre alter Stuttgarter wird es nicht sein, auch wenn er nach einer guten halben Stunde beinahe mit einem Kopfball ein Tor erzielt hätte. Aber er gehört nun einmal nicht zu den 30 Auserwählten, die der Bundestrainer in seinen vorläufigen Kader berufen hat. Der Schalker Benedikt Höwedes mit seinen 26 Jahren allerdings schon. Er durfte in der zweiten Halbzeit auf den Rasen und versaute mit seinen nunmehr 19 Länderspielen den Unerfahrenheitsindex im deutschen Team. Wer auch immer bei der WM auf der Position des rechten Außenverteidigers spielt - Höwedes wird es nur sein, wenn Kapitän Philipp Lahm ins Mittelfeld rückt und der Bundestrainer dem Dortmunder Kevin Großkreutz diese Aufgabe nicht zutraut.
Shkodran Mustafi: Der zweite Debütant. Was seine Körpersprache angeht, kann sich der Innenverteidiger von Sampdoria Genua nichts vorwerfen lassen; aufrechter Gang, Kommandos gibt er auch; das wirkt selbstbewusst. "Wir haben das heute ganz gut gemeistert, auch wenn wir eine sehr junge Mannschaft auf dem Platz hatten." Er bemühte sich, auch im Spiel nach vorne, blieb allerdings alles andere als fehlerlos. Mats Hummels, Per Mertesacker und Jeróme Boateng dürfen sich zurücklehnen. Einen Pluspunkt kann Mustafi allerdings für sich verbuchen: Er wurde vor 22 Jahren im nordhessischen Bad Hersfeld geboren. Und immer, wenn ein Spieler aus dem Kreis Hersfeld-Rotenburg zum Kader gehörte, wurde die deutsche Mannschaft Weltmeister. Gut, das war erst einmal der Fall, beim bisher letzten Mal, 1990 in Italien. Da war Mustafi noch gar nicht auf der Welt. Aber fragen Sie mal Uwe Bein.
Matthias Ginter: Der 20 Jahre alte Freiburger ist nur deswegen kein Debütant, weil er im März gegen Chile schon zwei Minütchen spielen durfte. Hinterließ in der Innenverteidigung einen besseren Eindruck als sein Kompagnon Mustafi. Hatte seine spektakulärste Szene, als ihn der Kölner Slawomir Peszko schubste und er über die Bande flog. Nach Südtirol wird er es schaffen - aber bis nach Brasilien? Mertesacker und Kollegen müssen sich jedenfalls keine Sorgen machen, mit Nachdruck aufgedrängt hat er sich nicht.
Oliver Sorg: Der dritte Debütant. Auch aus Freiburg, Christian Streich scheint dort Nationalspieler in Serie zu formen. Der 23-Jährige machte seine Sache am linken Ende der Viererabwehrkette ordentlich, zumal er im Breisgau meist auf der rechten Seite spielt. Gehört dennoch, Achtung Wortwitz, zu den Streichkandidaten. Seine Konkurrenten für die WM sind die Dortmunder Marcel Schmelzer und Erik Durm sowie der Hamburger Marcell Jansen. Für die letzten acht Minuten kam sein ein Jahr älterer Freiburger Vereinskollege Christian Günter zu - richtig - seinem Debüt. Schön für ihn, aber im Kader ist er eh nicht.
Sebastian Rudy: Vierter Debütant. Der Hoffenheimer war mit seinen 24 Jahren ältester Spieler der deutschen Mannschaft. Also nach Zieler, aber der zählt nicht, weil Torwart. Als Lückenfüller für diese sportlich bedeutungslose Partie machte er seine Sache als Teil der Doppelsechs im defensiven Mittelfeld ordentlich, er mühte sich mit der Erfahrung von 49 Partien in diversen Jugendnationalmannschaften redlich darum, das Spiel aufzubauen.
Christoph Kramer: Debütant Nummer fünf. Der 23 Jahre alte Mönchengladbacher zeigte als zweiter Teil der Doppelsechs eine gute, weil energische, aggressive, pass-, lauf-, und kopfballstarke Leistung. Gehörte aber nicht zu denen, die Löw jüngst nominiert hatte. Aber nach der WM ist mit dem ehemaligen Bochumer zu rechnen. Bis dahin setzt der Bundestrainer auf den genesenen Madrilenen Sami Khedira, die Münchner Bastian Schweinsteiger und Toni Kroos sowie im Fall der Fälle Lars Bender.
Leon Goretzka: Der sechste Debütant. Der 19 Jahre alte Mittelfeldspieler des FC Schalke 04 musste wegen dieses Spiels die dritte Abiturprüfung verschieben und wirkte in den 45 Minuten, die der Bundestrainer ihm gönnte, auf der rechten Außenbahn ein wenig aufgeregt, mitunter zaghaft, und empfahl sich so nicht unbedingt für höhere Aufgaben. Münchens Thomas Müller ist auf dieser Position jedenfalls kein neuer Konkurrent erwachsen. Noch nicht. Aber dafür, dass er in der vergangenen Saison noch für den VfL Bochum in der zweiten Liga wirkte, hat er in dieser Saison einen enormen Sprung gemacht. Peter Neururer, sein Ex-Trainer, hat es ja schon immer gewusst und ihm bereits in Sommer eine Weltkarriere vorausgesagt. Immerhin ist er jetzt schon Nationalspieler. Für ihn gab nach der Pause der Noch-Augsburger und Bald-Mönchengladbacher André Hahn, 23 Jahre alt, sein Debüt. Knüpfte nicht an seine teils überragenden Leistungen in der Bundesliga an, wirkte ebenfalls nervös - und musste nach der Auswechslung Kevin Vollands als Stürmer spielen. Aber immerhin ist er jetzt der erste Augsburger Nationalspieler nach Helmut Haller vor 44 Jahren. Zur WM bringt ihn das allerdings auch nicht.
Max Meyer: Der siebte Debütant. Der 18 Jahre alte Schalker, selbst in diesem Team der Jüngste, bewies in der Kreativzentrale, dass er richtig gut Fußball spielen kann. Wuselte und dribbelte durchs Mittelfeld, dass es eine Freude war. Wenn auch bisweilen wenig zielführend. Wirkte mit zunehmender Spieldauer müde. Darf sich aber auf Südtirol freuen. Und gab nach dem Abpfiff seine Planungen für den Sommer bekannt: "Wir kannten uns alle nicht, haben erst einmal miteinander trainiert. Aber es hat großen Spaß gemacht und ich bin einfach froh, dass ich mein erstes Länderspiel absolvieren durfte. Ob ich jetzt dabei bleiben darf, muss der Bundestrainer entscheiden. Urlaub habe ich für Juni und Juli noch nicht gebucht." Sein Problem ist nur, dass Mesut Özil und Mario Götze das auch noch nicht getan haben. Nach 77 Minuten kam für ihn der knapp noch 19 Jahre alte Maximilian Arnold vom VfL Wolfsburg, ebenfalls Debütant.
Julian Draxler: Der 20 Jahre alte Schalker war der Rekordnationalspieler in der Startelf - es war heute seine elfte Partie. Bei so viel Erfahrung hat Joachim Löw ihm gleich die schwarz-rot-goldene Kapitänsbinde anvertraut. Bildete mit Goretzka und Meyer den Gelsenkirchener Kinderriegel in der Offensive und war mit dem sichtbaren Vorsatz nach Hamburg gekommen, Verantwortung zu übernehmen. Er hat sich auf der linken Außenbahn bemüht und wirkte hinterher nicht unzufrieden: "Wenn man mit 20 Jahren Kapitän in der Nationalmannschaft ist, sagt das schon einiges aus. Das war heute wirklich fast eine U21. Wenn man nur einmal mit der Mannschaft trainiert hat, ist es schwierig, die Sachen umzusetzen. Dafür haben wir es gut gemacht." Dennoch dürfte es eng werden mit Brasilien. Schließlich wollen auch Marco Reus vom BVB, André Schürrle vom FC Chelsea und nicht zuletzt Lukas Podolski vom FC Arsenal diesen Job.
Kevin Volland: Startelfdebütant Nummer acht. Der 21 Jahre alte Hoffenheimer gilt als aussichtsreichster Kandidat für ein Last-Minute-Ticket nach Südamerika. Auch, weil er neben Miroslav Klose der einzige Stürmer der Löw'schen Eleven ist. Hatte gegen die polnischen Abwehrrecken allerdings einen schweren Stand, so ganz alleine in der Angriffsmitte. Ein Tor hätte nicht nur ihm geholfen. Musste nach 70 Minuten angeschlagen raus. "Die Polen waren immer am Mann dran und haben es uns sehr schwer gemacht. Dafür haben wir es gut gelöst. Das Trikot behalte ich, das bekommt meine Mutter." Sebastian Jung, 23 Jahre alt, von der Frankfurter Eintracht kam für ihn in diese mit zwölf Debütanten irgendwie denkwürdige Partie, die dennoch sehr schnell vergessen sein wird. Schließlich ist bald WM. Oder wie Käpt'n Draxler so schön sagte: "Wenn sie mich zum Spiel fragen - ich schließe mich natürlich dem Bundestrainer an."
Quelle: ntv.de