Schnelles Ende der RezessionDeutsche Wirtschaft wächst
Die schwerste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik ist zu Ende. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wächst die deutsche Wirtschaft von April bis Juli gegenüber dem Vorquartal überraschend um 0,3 Prozent.
"Das ist das erste Wachstum nach einem Jahr stetigen Schrumpfens", sagte ein Sprecher der Statistiker. Konsum, Bauinvestitionen und Außenhandel schoben die Konjunktur wieder an. Allerdings stellt sich die Lage nur im Vergleich zum Auftaktquartal 2009 freundlich da. Gegenüber dem Vergleichszeitraum aus dem Vorjahr bleibt die Situation düster.
"Die Rezession ist vorbei", stellte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer angesichts der amtlichen Zahlen zur deutschen Wirtschaftsleistung fest.
Nach der am Markt gebräuchlichen Definition markieren zwei aufeinanderfolgende Quartale mit negativem BIP den Eintritt in die Rezession. Wird diese Reihe unterbrochen, kann demnach von einem Ende der Rezession gesprochen werden.
Im Vorfeld befragte Analysten hatten im Schnitt mit einem erneuten Minus von 0,3 Prozent gerechnet, nachdem die Wirtschaft zuvor vier Quartale in Folge geschrumpft war. Zu Jahresbeginn war die Konjunktur mit revidiert 3,5 (bisher: 3,8) Prozent noch so stark eingebrochen wie nie. Ein Wachstum hatte es zuletzt im ersten Quartal 2008 gegeben.
Der Euro schnellte nach Bekanntgabe der Daten nach oben. Er notierte zuletzt bei 1,4263 Dollar, nachdem er zuvor bei 1,4210 gelegen hatte.
Konsum, Bau und Export
"Angekurbelt wurde die Konjunktur von den privaten und staatlichen Konsumausgaben sowie den Bauinvestitionen", hieß es aus dem Wiesbadener Bundesamt für Statistik. Da die Importe stärker sanken als die Exporte, trug auch der Außenhandel zum Wachstum bei. Der Unsicherheitsschock, der nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers im September 2008 eingesetzt habe, sei abgeebbt, sagte Commerzbank-Experte Krämer: "Die Unternehmen holen Investitionen nach."
Wie stark die Wirtschaft aber immer noch unter den Folgen der weltweiten Finanzkrise leidet, zeigt der Vergleich mit dem zweiten Quartal 2008: Hier brach das Bruttoinlandsprodukt - die Summe aller in Deutschland hergestellten Waren und erbrachten Dienstleistungen - um 7,1 Prozent ein. "Einen stärkeren Rückgang gab es noch nie in der Nachkriegszeit", sagte ein Statistiker.
Zu früh für die Euphorie
Experten warnen deshalb vor Euphorie. "Das Risiko bleibt ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit", sagte der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Christian Dreger, zu Reuters. "Sollte im Herbst Kurzarbeit verstärkt in Entlassungen umgewandelt werden, dämpft das die Löhne und den Konsum."
Auch Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat sich angesichts der Rückkehr der deutschen Wirtschaft auf den Wachstumspfad skeptisch geäußert. Aus dem Zuwachs der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal um 0,3 Prozent könnte sich eine "nachhaltige konjunkturelle Erholung" entwickeln, sagte Guttenberg zu den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes.
"Allerdings gibt es keinen Anlass zur Euphorie, denn es ist noch ein weiter Weg, bis unsere Wirtschaft das Vorjahresniveau erreicht", erklärte er. Immerhin sei die Stabilisierung von April bis Juni "etwas günstiger" ausgefallen, als sein Ministerium erwartet habe. "Die Zahlen sollten uns ermutigen", erklärte er. Mit den Konjunkturpaketen habe die Regierung die richtigen Weichen gestellt.
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hatte in der "Bild"-Zeitung vom Donnerstag festgestellt, es gebe mehr und mehr Indizien dafür, dass es langsam wieder aufwärts gehe. "Das stimmt mich optimistisch", sagte der Minister. Gleichwohl bleibe er mit Prognosen vorsichtig, betonte Steinbrück.
Die Bundesregierung und führende Institute rechnen bislang für 2009 mit einem Minus von sechs Prozent. Das wäre der stärkste Einbruch seit Gründung der Bundesrepublik. Ursache dafür ist die globale Wirtschaftskrise, unter der Exportweltmeister Deutschland besonders leidet.
Aufatmen in Paris
Auch Frankreichs Wirtschaft hat sich im zweiten Quartal aus der Rezession befreit. Das Bruttoinlandsprodukt der zweitgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone wuchs im Vergleich zum Vorquartal um 0,3 Prozent, sagte Wirtschaftsministerin Christine Lagarde dem Sender RTL. Das Nationale Statistikamt (INSEE) sollte noch am Morgen die Daten vorlegen. Von Reuters befragte Analysten hatten mit einem Minus von 0,3 Prozent gerechnet.
Die BIP-Daten aus der Euro-Zone werden am Vormittag erwartet. Von Reuters befragte Analysten sagen bisher ein Minus von 0,5 Prozent voraus.
Stichwort BIP Deutschland
Das Bruttoinlandsprodukt gilt als der beste Gradmesser für die wirtschaftliche Stärke eines Landes. Es fasst den Wert aller hergestellten Waren und erbrachten Dienstleistungen zusammen. Das Statistische Bundesamt betreibt einen enormen Aufwand, um ein möglichst genaues Bild der Wirtschaft zu zeichnen.
Selbst die durch Schwarzarbeit entstandenen Werte werden geschätzt. Eigenleistungen beim Hausbau und Trinkgelder versuchen die Statistiker per Hochrechnung einfließen zu lassen. Es bleiben aber auch Lücken: Unbezahlte Heimarbeit wie die Betreuung der eigenen Kinder etwa wird nicht erfasst.
2008 betrug die gesamte Wirtschaftsleistung rund 2,5 Billionen Euro, wovon etwa 60 Prozent auf den privaten Konsum entfielen. Damit ist Deutschland die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt hinter den USA, Japan und China.