Wirtschaft

Die 17-Milliarden-Euro-UnterschriftEx-HSH-Chef lehnt Verantwortung ab

29.07.2013, 15:30 Uhr
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Aufarbeitung des HSH-Debakels: Es geht um Untreue in einem besonders schweren Fall. (Foto: REUTERS)

Premiere vor Gericht: In Hamburg muss sich erstmals die komplette Führungsriege einer Bank für waghalsige Geschäfte mit milliardenschweren Risiken verantworten. Die juristische Aufarbeitung des HSH-Debakels fördert überraschende Ansichten zu Tage - und gewährt tiefe Einblicke in den damaligen Geschäftsbetrieb.

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Kein leichter Gang: Hans Berger muss sich zusammen mit seinen Kollegen für die "Omega"-Geschäfte verantworten. (Foto: dpa)

Tag zwei im Hamburger HSH-Prozess: Hans Berger, Ex-Chef der krisengeschüttelten Landesbank, weist jedwede Verantwortung für die Skandale der HSH Nordbank von sich. Der frühere Bankmanager greift im Gegenzug die Staatsanwaltschaft scharf an: Die Anklage sei für ihn "völlig inakzeptabel", erklärt der frühere HSH-Vorstandschef vor der 8. Großen Strafkammer des Hamburger Landgerichts. Sein ehemaliger Vorstandskollege Jochen Friedrich legt nach: "Ich halte meine Entscheidung auch nach Lektüre der in weiten Teilen empörenden Anklageschrift nach wie vor für richtig." Die Verteidiger der Angeklagten Bernhard Visker und Peter Rieck weisen die Vorwürfe ebenfalls "mit Nachdruck" zurück.

Ausdrücklich betont Berger vor dem Landgericht der Hansestadt, er sei Ende 2007 seiner Ansicht nach "in keiner Weise" an Entwicklung und Durchführung der riskanten "Omega"-Geschäfte beteiligt gewesen.

"Omega 55" führt mitten hinein in die heiße Phase kurz vor Ausbruch der Finanzkrise: Bei dem Codewort "Omega" handelt es sich um eine interne Bezeichnung für eine bestimmte Art von Wertpapiergeschäften. Im Kern geht es um eine komplexe Transaktion, mit dem die HSH Nordbank ihr Kapitalpolster aufbessern wollte, um für Anleger im Fall eines Börsengangs attraktiv zu bleiben. Der Plan ging nach hinten los. Mit "Omega" holte sich die Bank Risiken ins Haus, die sie beinahe in die Pleite getrieben hätten. Hamburg und Schleswig-Holstein mussten die Landesbank mit einem 13 Milliarden Euro schweren Rettungspaket vor dem Aus bewahren.

Berger weist nun jede Verantwortung von sich: Er habe weder die einzelnen Schritte noch die Bedenken noch die Bedingungen des umstrittenen Geschäfts gekannt, gibt der frühere Vorstandschef vor Gericht nun an. Er habe sich auf das Votum der Rechtsabteilung der Bank verlassen, sagt Berger.

Als bislang einziger der Angeklagten nutzt Berger die Gelegenheit zu einer ausführlichen Darstellung seiner Sicht der Vorgänge. Mit "Omega" habe der Vorstand auf die Herausforderungen des Kapitalmarktes im Herbst 2007 reagiert und die Vorgaben des Aufsichtsrats umgesetzt. "Es war kein Alleingang des Vorstandes", bekräftigt Berger. Die Bank habe damals zu viel Kreditgeschäft angesammelt, das die Bilanz belastet habe. Das Institut sei mit zu wenig Eigenkapital ausgestattet gewesen, das zudem zum Teil als "stille Einlage" von minderer Qualität gewesen sei.

Unter Druck an die Börse?

Berger, der beim Gang in den Gerichtssaal sichtlich angegriffen wirkte, macht in seiner Stellungnahme am zweiten Prozesstag deutlich, dass er keine Zweifel an der wirtschaftlichen Notwendigkeit des Eil-Beschlusses gehabt habe. Die Bank habe damals ihre Bilanzrisiken reduzieren müssen, um das von den Eignern vorgegebene Ziel eines für 2008 geplanten - letztlich aber nicht vollzogenen - Börsengangs zu erreichen. "Ohne eine Gegensteuerung hätten sich negative Auswirkungen auf den Börsengang ergeben", sagt Berger.

Konkret musste die Bank demnach eine Herabstufung durch die Ratingagenturen befürchten. Deshalb habe der Vorstand Gegenmaßnahmen ergriffen und insgesamt zehn Transaktionen mit einem Volumen von 17 Milliarden Euro und einem Entlastungseffekt von 12,6 Milliarden Euro auf die Bilanz zugestimmt. Bis zur Vorlage des Kreditantrags für die "Omega 55"-Transaktion am 19. Dezember 2007 habe er keine Informationen über das Geschäft gehabt, behauptet Berger.

Unterschrift ohne Wirkung?

Seine Unterschrift unter das Vorstandsdokument wertet Berger lediglich als "Kenntnisnahme" des Eil-Beschlusses, der zuvor bereits rechtswirksam gewesen sei. Da es zwei rechtsverbindliche Unterschriften von Vorstandsmitgliedern unter der Vorstandsvorlage gegeben habe, habe er seine Signatur nur noch als "Kenntnisnahme" bewertet. "Ansonsten wäre ein Eilbeschluss wirkungslos. So sehe ich das noch heute", sagt Berger.

Die Anklage wirft den insgesamt sechs angeklagten Managern gemeinschaftlich begangene Untreue in einem besonders schweren Fall vor. Bergers Nachfolger Dirk Jens Nonnenmacher - "Dr. No", wie der Manager mit dem nach hinten gestriegelten Haar intern in der HSH genannt wurde - sowie der frühere Kapitalmarktvorstand Joachim Friedrich werden zudem der Bilanzfälschung beschuldigt.

Antworten für den Steuerzahler

Für die Öffentlichkeit geht es um mehr als nur um juristische Detail: Es ist der erste Prozess überhaupt, in dem ein kompletter Bankvorstand wegen der Ereignisse während der Finanzkrise auf der Anklagebank sitzt. Ein breites öffentliches Interesse an der Aufarbeitung liegt eigentlich auf der Hand - schließlich war es das Geld der Steuerzahler, mit dem die Bank vor den Konsequenzen des "Omega"-Geschäfts bewahrt werden musste.

Der frühere Kapitalmarkt-Vorstand Friedrich hält unterdessen seine Entlassung im Dezember 2009 nach wie vor für "nicht nachvollziehbar und akzeptabel". Er habe vor dem "Omega"-Kreditantrag alle Informationen gehabt, um eine richtige und verantwortliche Entscheidung zu treffen, sagt Friedrich vor dem Landgericht.

Der Ex-Finanzvorstand und spätere HSH-Chef Nonnenmacher äußert sich erstmals zu seiner Person. Er geht im Wesentlichen auf seinen beruflichen Werdegang ein und hebt hervor, dass er als HSH-Finanzchef nicht für das Risiko-Controlling zuständig gewesen sei. In Kreditvorgänge sei er nur einzubinden gewesen - mehr nicht. Alle Vorstände betonen die sorgfältige Prüfung der Vorlage durch die Fach- und Rechtsabteilung der Bank - und sehen sich damit entlastet.

"Nicht in die Pfanne hauen"

Am Rande des Prozesses geht es auch um Verfahrensfragen: Eine Besetzungsrüge des Gerichts durch die Verteidiger sowie ein Fragenkatalog zur möglichen Befangenheit der Richter hatte die Strafkammer zurückgewiesen. Ab Mitte der Woche soll nun mit der Vernehmung von Zeugen begonnen werden. Der Vorsitzende Richter Marc Tully kündigte an, die Kammer werde das Geschäft "sehr kleinteilig" nachvollziehen. Es sind Verhandlungstermine bis ins nächste Jahr anberaumt.

Tully äußerte aber auch die Hoffnung, dass die Kammer etwas schneller vorankommen könnte, wenn die Angeklagten zum Dialog bereit seien und unstrittige Sachverhalte zügig geklärt würden. "Dieses Gericht will Sie nicht in die Pfanne hauen, sondern sich mit Hilfe der Strafprozessordnung der Wahrheit nähern", betont der Richter.

Quelle: ntv.de, mmo/dpa/rts