Wirtschaft

Briten entscheiden über Brexit Londons Banker erwartet schlaflose Nacht

Im Londoner Finanzviertel  wird kommende Nacht in vielen Büros Licht brennen.

Im Londoner Finanzviertel wird kommende Nacht in vielen Büros Licht brennen.

(Foto: REUTERS)

Das Londoner Finanzzentrum bereitet sich wegen des möglichen Brexit auf eine unruhige Nacht vor. Zahlreiche Banker werden bis zum Morgen in Büros und Handelsräumen sein, andere halten sich in Rufbereitschaft. Es drohen turbulente Stunden.

Das Fingerfood ist schon bestellt, die Hotelzimmer in der Nähe der Büros sind gebucht: Die weltgrößten Banken bereiten sich auf eine aufreibende Nachtschicht nach der Abstimmung über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union vor.

Niemand weiß, was passieren wird. Doch sollten sich die Briten tatsächlich für einen Brexit entscheiden, dann drohen gewaltige Turbulenzen an den Devisen- und Anleihe- und Aktienmärkten. "Wenn der Brexit kommt, wird das mindestens die Größenordnung des 'Schwarzen Mittwochs' haben", sagt Nick Parsons, Co-Chef-Devisenstratege bei der National Australia Bank. Er war an diesem Tag dabei, als Großbritannien im September 1992 das europäische Wechselkurs-Mechanismus EWS verließ und das Pfund abstürzte.

Und auch nun steht der Devisenmarkt im Zentrum. Die britische Hauptstadt steht für 41 Prozent des weltweiten Devisenhandels, weit vor den USA. Das Pfund Sterling ist die am viertmeisten gehandelte Währung der Welt. "Alle Händler werden da sein. Sie mögen es nicht, wenn sie große Momente verpassen. Dann wollen sie an ihrem Desk sein", sagt ein hochrangiger Banker aus dem Finanzviertel. "Jeder will mitmischen. Die Frage ist nur, ob und wann man ein bisschen Schlaf bekommt", sagt ein Devisenhändler.

Schon Umfragen reichen, um seit Wochen heftige Kursschwankungen auszulösen. Das dürfte aber nichts sein im Vergleich dazu, was der Währung nach dem 23. Juni bevorsteht. Banken erwarten, dass es bei einem Ja zur EU nach oben schnellt. Bei einem Votum für den Brexit könnte es sehr tief fallen.

Ein Vermögensverwalter sagt, sein Unternehmen habe in einem Probelauf getestet, wie es mit einem 30-prozentigen Verfall des Pfundes zurechtkommen würde. Man habe die Kassenbestände aufgestockt und habe Händler über Nacht ins Büro beordert, um bei Bedarf hurtig andere Anlagen zu verkaufen, wenn man mehr Geld brauche.

Händler und Analysten befürchten eine Abwärtsspirale der britischen Währung: Wenn angesichts einer Flut von Verkaufsorders die Käufer fehlten, müssten Banken das Pfund zu Kursen verkaufen, die weit unter den üblichen Limits lägen. Die Institute sehen sich gewappnet. Ein hochrangiger Banker berichtet, sein Haus habe große Pfund-Reserven aufgebaut, um im Notfall Kunden unter die Arme zu greifen, die angesichts des Auf und Ab kurzfristig zusätzliche Sicherheitsleistungen für den Handel aufbringen müssen.

Kommt es zum Dominoeffekt?

Das Endergebnis dürfte wegen des Kopf-an-Kopf-Rennens zwischen EU-Befürwortern und -Gegnern erst am nächsten Morgen vorliegen, kurz bevor in Europa die Märkte öffnen. "Ich werde in einem Hotel in der Nähe des Büros sein und die Nacht immer wieder im Büro vorbeischauen, je nachdem, wie sich die Dinge entwickeln", sagte Alan Clarke von der Scotiabank der Nachrichtenagentur AFP.

Viele Devisenmarkt- und Anleihehändler werden wohl ganz auf Schlaf verzichten.  Viele Führungskräfte sollen sich zumindest in Rufbereitschaft halten. Banken  werden auch im Auge behalten müssen, ob ihre IT-Systeme der Belastungsprobe standhalten. Und sie wollen sicherstellen, dass im Zahlungsverkehr und bei der Abwicklung von Derivategeschäften keine Probleme auftreten.

"Wir haben eine Task Force gegründet", sagt ein Spitzenmanager. "Die gab es bei der Griechenland-Krise auch schon." Mehrere Banken aus dem In- und Ausland haben ihre Kunden gewarnt, dass es nach einem Brexit zu Einschränkungen im Handel kommen könnte. Sollten dann massenweise Verkaufsorders eintreffen, könne es etwas dauern, bis es neue Marktpreise für bestimmte Wertpapiere gebe.

Intensiv beschäftigen sich Banker zudem mit der Frage, ob es nach einem Brexit zu einem Dominoeffekt käme - und die Märkte beginnen, über einen EU-Austritt von Italien oder Portugal zu spekulieren und die Renditen für deren Staatsanleihen dann spürbar steigen.

Nicht nur die Unsicherheit, wie die Briten über den Brexit entscheiden, macht es den Bankern so schwer, sich am Markt auf die richtige Seite zu schlagen. "Wir werden nicht wissen, was es bedeutet. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, wie das ausgeht", sagte JPMorgan -Chef Jamie Dimon.

"Wenn sich Großbritannien für einen Austritt aus der EU entscheidet, müssen alle Hand an Deck sein, und das Blutbad aufwischen", zitiert AFP Connor Campbell. Er ist Analyst bei der Firma Spreadex, die sich auf Finanzwetten spezialisiert hat. Oder wie es ein Anleihehändler einer Londoner Großbank ausdrückte: "Man freut sich auf Tage wie diese. Da gibt es viel Geld zu verdienen - und zu verlieren. Man muss nur darauf hoffen, dass man auf der richtigen Seite steht und nicht derjenige ist, den man zur Tür hinausträgt."

Quelle: ntv.de, jga/rts/dpa

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