Panorama

UNICEF warnt vor Menschenhändlern 15 Kinder in Haiti verschleppt

Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF befürchtet, Menschenhändler könnten Kinder aus Haiti verschleppen und den illegalen Adoptionsmarkt "bedienen". Nach Naturkatastrophen seien Netzwerke von Kinderhändlern besonders aktiv.

Die 18 Monate alte Elizabeth wurde nach acht Tagen lebend aus den Trümmern gerettet.

Die 18 Monate alte Elizabeth wurde nach acht Tagen lebend aus den Trümmern gerettet.

(Foto: AP)


In Haiti sind nach Informationen des UN-Kinderhilfswerks UNICEF 15 Kinder aus Krankenhäusern verschwunden. Wie UNICEF in Genf mitteilte, besteht der Verdacht, dass die Kinder verschleppt wurden. Netzwerke von Kinderhändlern, die den illegalen "Adoptionsmarkt" bedienten, seien nach Naturkatastrophen besonders aktiv, teilte UNICEF mit.

Nach dem schweren Erdbeben der vergangenen Woche, bei dem zehntausende Haitianer ums Leben kamen, hatten viele Regierungen weltweit Adoptionsverfahren beschleunigt, um Waisenkinder aus dem Katastrophengebiet zu retten. Aber Kinderschutzgruppen warnen vor leichtsinnigem Handeln. Zu schnelle Adoptionsverfahren könnten noch bestehende Familien für immer zerstören, Kinder entwurzeln und in Depressionen stürzen.

Sorge um die Kinder

Vor der Wiederaufbaukonferenz für Haiti am kommenden Montag im kanadischen Montreal ruft UNICEF zu langfristiger Hilfe für die Kinder auf. "Fast die Hälfte der Haitianer sind Kinder und Jugendliche, die schon vor der Katastrophe in extremer Armut lebten. Sie müssen jetzt im Mittelpunkt der Hilfe und des Wiederaufbaus stehen. Es müssen systematisch das Gesundheitssystem, Schulen und der Kinderschutz gestärkt werden", sagte Regine Stachelhaus, Geschäftsführerin von UNICEF Deutschland.

Haiti kehrt ins Leben zurück

Unterdessen kommt in der zerstörten Region um die Hauptstadt Port-au-Prince zehn Tage nach dem Beben die Hilfe für Millionen Bedürftige auf Touren. Internationale Hilfsorganisationen fingen am Freitag an, Nahrung im größeren Stil zu verteilen. Doch bei der Ausgabe kam es in einigen Fällen zu Gewalt.

Zugleich begann eine Debatte über den Wiederaufbau im ärmsten Land des amerikanischen Kontinents.

Präsident René Préval räumte Mängel bei der Organisation der Hilfe für die Erdbebenopfer ein. "Die Hilfen kamen spontan aus vielen Staaten. Ich gebe zu, dass es einen generellen Mangel an Koordination gab", sagte Préval der spanischen Zeitung "El País".

Die Vereinten Nationen dagegen sprachen von einer "komplexen Notfallsituation". Elisabeth Byrs, Sprecherin des UN- Koordinationsbüros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA), meinte in Genf mit Blick auf die Haiti-Hilfe: "Sie mag einigen langsam vorkommen, doch wir haben Lektionen gelernt." Die Lage bessere sich aber, und alles bewege sich nun in die richtige Richtung.

Préval wies den Vorwurf zurück, die Regierung seines Landes sei bei der Bewältigung der Katastrophe untätig gewesen. "Wir sind dabei, allmählich die Kontrolle zurückzugewinnen", sagte der Staatschef. Die Regierung sei beeinträchtigt gewesen durch die Tatsache, dass auch zahlreiche Verwaltungsgebäude mit wichtigen Dokumenten zerstört worden seien.

Hilfsorganisationen hatten kritisiert, dass bei der Koordinierung der Hilfe falsche Prioritäten gesetzt wurden. Der haitianische Staat habe keinerlei Rolle gespielt,  sagte etwa "Ärzte ohne Grenzen" im Interview mit n-tv.de.

USA lehnen Flüchtlinge ab

Die USA lehnten unterdessen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus Haiti ab. "Die Erdbeben-Katastrophe ist keine Gelegenheit zur Auswanderung in die USA", sagte die amerikanische Heimatschutzministerin Janet Napolitano am Freitag in der spanischen Stadt Toledo. Sie rief die Haitianer dazu auf, in ihrem Land zu bleiben und beim Wiederaufbau zu helfen.

Die Ministerin wies darauf hin, dass Washington den illegalen Einwanderern aus Haiti, die bereits vor dem Erdbeben in die USA gelangt seien, ein befristetes Bleiberecht gewähre. Illegale Zuwanderer, die nach der Erdbeben-Katastrophe in die USA zu gelangen versuchten, würden nach Haiti zurückgeschickt.

Der Stärkere siegt

Frauen stehen in einer chaotischen Menschenmenge Schlange, um von Soldaten der 82. Airborn Division in Port-au-Prince Nahrung und Trinkwasser zu erhalten.

Frauen stehen in einer chaotischen Menschenmenge Schlange, um von Soldaten der 82. Airborn Division in Port-au-Prince Nahrung und Trinkwasser zu erhalten.

(Foto: dpa)

Große Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz erklärten, in Haiti komme Unterstützung nun an. Allerdings sei die Verteilung der Hilfsgüter immer noch äußerst schwierig. Als die Deutsche Welthungerhilfe am Donnerstag Bohnen, Reis und Salz an Bedürftige verteilte, endete dies in einem Tumult, bei dem junge Männer Frauen und Kinder abdrängten und die Hilfsgüter raubten.

"Wir wussten, dass es schwierig sein würde, Lebensmittel zu verteilen", sagte der Chef der Welthungerhilfe in Haiti, Michael Kühn. Rüdiger Ehrler vom Nothilfeteam aus Deutschland, der die Verteilung organisiert hatte, erklärte: "Wenige kriminelle Menschen können eine gut vorbereitete Verteilung sabotieren." Ein Augenzeuge berichtete: "Es galt brutal das Recht des Stärkeren. Am Ende gingen die Schwachen leer aus."

Die Polizei von Haiti erschoss in Port-au-Prince einen Mann, der einen Sack Reis unter dem Arm hatte. Er sei wohl für einen Plünderer gehalten worden, berichtete der US-Nachrichtensender CNN.

Wiederaufbaupläne für das zerstörte Haiti

Nach Ansicht des UN-Sondergesandten Bill Clinton sind für den Wiederaufbau in Haiti vor allem Jobs notwendig. "Die USA haben mit solchen Programmen große Erfahrung in Nahost und in Afghanistan", sagte der frühere US-Präsident bei den Vereinten Nationen in New York. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon betonte, die ganze Welt stehe hinter Haiti und helfe beim Aufbau. Der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, forderte für Haiti Wiederaufbauhilfen nach dem Vorbild des Marshall-Plans.

Zwar wird immer noch nach Verschütteten gesucht, doch immer mehr hat die Versorgung der Überlebenden Priorität.

Zwar wird immer noch nach Verschütteten gesucht, doch immer mehr hat die Versorgung der Überlebenden Priorität.

(Foto: dpa)

"Die Phase des Rettens ist jetzt fast abgeschlossen, nun muss die Versorgung der Menschen und vor allem der Wiederaufbau in den Mittelpunkt rücken", betonte der UN-Generalsekretär. Deshalb hätten die Vereinten Nationen das "Cash for Work"-Programm gestartet. Dabei bekommen die Haitianer, die Trümmer räumen oder Straßen ausbessern, fünf Dollar (3,50 Euro) am Tag.

Beim Wiederaufbau auf sichere Bauten achten

Beim Wiederaufbau des erdbebenzerstörten Haitis muss nach Ansicht der Vereinten Nationen besonders auf eine stabilere, sicherere Bauweise geachtet werden. "Haiti hatte keine Chance und hätte auch nicht auf ein Desaster dieses Ausmaßes vorbereitet sein können", schrieb die für Katastrophenbegrenzungen zuständige UN-Behörde UNISDR in Genf. Wesentlich beigetragen zum großen Ausmaß der Katastrophe hätten auf instabilem Untergrund gebaute Gebäude.

Haiti-Single, Promi-Auktion und TV-Show

Stars aus Film, Musik und Fernsehen wollen in der Nacht zum Samstag bei einer US-Fernsehshow Spenden sammeln. Ihre Hilfe zugesagt haben auch Hollywood-Schauspieler wie Meryl Streep, Nicole Kidman, Brad Pitt, Clint Eastwood und Tom Hanks, berichtete "People.com". Die Aktion mit mehr als 100 Stars aus Film, Musik und Fernsehen wird auch im deutschen Fernsehen übertragen.

Prominente in Großbritannien planen für die Erdbebenopfer eine spezielle Single und eine Auktion. Stars wie Rod Stewart, Leona Lewis und die Boyband JLS erklärten sich bereit, eine Coverversion des REM- Hits "Everybody Hurts" aufzunehmen.

Heather Mills, Ex-Frau von Paul McCartney, will den Erdbebenopfern in Haiti tausende Prothesen schicken. Die 42-Jährige verlor bei einem Unfall selbst ein Bein.

Nachbeben auf Haiti dauern noch Monate

Die Serie von Nachbeben in Haiti wird nach Ansicht von US-Experten noch Monate, vielleicht sogar Jahre andauern. Zwar würden die Abstände zwischen den einzelnen Beben mit der Zeit größer. Nach wie vor drohten in den kommenden Monaten aber auch Erschütterungen mit großem Zerstörungspotenzial, heißt es in einer Lageeinschätzung der US-Erdbebenbehörde USGS.

Helfer aus aller Welt arbeiten unterdessen weiter rund um die Uhr bis zur völligen Erschöpfung. Noch neun Tage nach dem Jahrhundertbeben der Stärke 7,0, bei dem womöglich bis zu 200.000 Menschen starben, fanden sie noch Überlebende.

Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP

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