Panorama

Mehrere Menschen lebend geborgen Nachbeben schreckt Haiti auf

Völlig mit Staub bedeckt - aber am Leben: Anna Zizi wird aus den Ruinen der Kathedrale von Port-au-Prince geholt, bekommt Wasser zu trinken.

Völlig mit Staub bedeckt - aber am Leben: Anna Zizi wird aus den Ruinen der Kathedrale von Port-au-Prince geholt, bekommt Wasser zu trinken.

(Foto: AP)

Ein schweres Nachbeben erschüttert Haiti. Es überrascht viele Menschen im Schlaf und löst Panik aus. Berichte über schwere Schäden gibt es jedoch vorerst nicht. Die Lage in der Hauptstadt Port-au-Prince ist weiterhin chaotisch. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Retter bergen zwei Frauen und ein Baby nahezu unverletzt.

In dem vom Erdbeben verwüsteten Haiti schwindet mit jeder Stunde die Chance, weitere Überlebende unter den Trümmern zu finden. Tausende Helfer suchen unermüdlich und verzweifelt nach Verschütteten. Die Arbeiten gingen auch nach den neuen massiven Erdstößen pausenlos weiter.

In Port-au-Prince richtete das Nachbeben der Stärke 6,1 offensichtlich keine zusätzlichen schweren Schäden an. Allerdings ist die haitianische Hauptstadt schon zu großen Teilen zerstört. Bislang gibt es immer noch keine genauen Angaben über die Lage außerhalb von Port-au-Prince nach dem neuen Beben. Das Epizentrum lag in knapp zehn Kilometern Tiefe rund 60 Kilometer westsüdwestlich der Hauptstadt. Das Erdbeben vor einer Woche hatte eine Stärke von 7,0. Das Epizentrum lag 16 Kilometer von Port-au-Prince entfernt ebenfalls in nur in zehn Kilometern Tiefe.

Noch fünf Deutsche vermisst

Sabine Poluzyn von der deutschen Rettungsorganisation I.S.A.R. schiebt eine Kamera in die Trümmer eines Hauses.

Sabine Poluzyn von der deutschen Rettungsorganisation I.S.A.R. schiebt eine Kamera in die Trümmer eines Hauses.

(Foto: Reuters)

Die neuen Erdstöße in den frühen Morgenstunden überraschten viele Menschen im Schlaf. Diejenigen, deren Häuser noch standen, seien verängstigt auf die Straßen gelaufen, hieß es. "Ich bin immer noch unter Schock und habe immer noch Gänsehaut", sagte Katja Lewinsky von der Johanniter-Unfall-Hilfe.

In der Hauptstadt herrschten weiterhin chaotische Zustände. Die Situation der Obdachlosen wurde durch Regen zusätzlich erschwert. Die befahrbaren Straßen waren oft hoffnungslos verstopft mit Fahrzeugen und Flüchtlingen. Abertausende Menschen irrten noch immer durch die Trümmer, viele warten seit Tagen auf medizinische Erstversorgung. Die Notfallzentren sind überfüllt. Ärzte, Krankenschwestern und Sanitäter aus aller Welt arbeiten rund um die Uhr bis zur völligen Erschöpfung.

Nach Angaben des Auswärtigen Amts (AA) befinden sich unter den Toten mit allergrößter Wahrscheinlichkeit zwei weitere Deutsche. Damit erhöhe sich die Zahl deutscher Opfer auf drei. Allerdings sei eine abschließende Identifizierung nötig. Derzeit würden noch fünf weitere Deutsche vermisst, sagte eine AA-Sprecherin.

"Jemanden lebend zu finden, ist ein Wunder"

Auch mehr als eine Woche nach dem Beben würden immer noch Überlebende gefunden, sagte UN-Nothilfekoordinator John Holmes in New York. "Das macht Mut und deshalb werden wir weitermachen. Solange es eine Chance gibt, Menschen zu retten, werden wir sie nutzen." Insgesamt seien bisher 121 Überlebende geborgen worden. "Jemanden lebend zu finden, ist ein Wunder. Die Zeit ist sehr begrenzt", sagte der Arzt Yan Wen Chang, der ein Rettungsteam aus Taiwan begleitet.

Ein solches Wunder geschah am Dienstag in dem zu mehr als 50 Prozent zerstörten Hafenstadt Jacmel an Haitis Südküste. Dort bargen Rettungsteams aus Kolumbien und Frankreich ein erst 22 Tage altes Baby, wie die Feuerwehr in Kolumbiens Hauptstadt Bogota mitteilte. Zuvor hatte sich die Mutter des Kindes aus den Trümmern befreien können. Sie führte die Helfer zu ihrem eingeschlossenen Kind. Vor dem Nachbeben hatten auch deutsche und mexikanische Rettungskräfte eine Frau lebend aus den Trümmern der zerstörten Kathedrale von Port-au-Prince gezogen. Aus den Trümmern eines Supermarktes in der Hauptstadt konnte eine 25-jährige Frau gerettet werden.

"Wir stehen noch ganz am Anfang"

Hoteline Losama wird von französischen Feuerwehrmännern aus einem zusammengestürzten Supermarkt gerettet.

Hoteline Losama wird von französischen Feuerwehrmännern aus einem zusammengestürzten Supermarkt gerettet.

(Foto: AP)

Der Fokus der Helfer liege jetzt auf der Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln, sagte UN-Koordinator Holmes. "Das ist nach wie vor ein Problem, weil Kraftstoff für Tankwagen und andere Lastwagen fehlt und der Flughafen der Stadt völlig überlastet ist. Wir nutzen jetzt auch den Flughafen von Santo Domingo in der Dominikanischen Republik, aber auch da gibt es Grenzen." Das Ziel bleibe es, von den drei Millionen Überlebenden des Bebens zwei Millionen sechs Monate lang versorgen zu können. "Das ist ein harter Weg und wir stehen noch ganz am Anfang", sagte der Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten.

Holmes bestätigte, dass viele Überlebende in den Norden der Insel abwandern würden. "Das ist nachvollziehbar, bereitet uns aber Sorgen. Denn dann könnten sich die Versorgungsprobleme nur verlagern und das würde es für uns noch schwieriger machen." Plünderungen im großen Stil gebe es nicht. "Wenn jemand bei einem zerstörten Haus die Tür einschmeißt und Essen und Wasser holt, ist das für mich verständlich. Das ist natürlich nicht die Handlungsweise, die die Vereinten Nationen empfehlen, aber es ist verständlich."

Insgesamt wurden in Haiti nach Angaben der EU-Kommission bisher rund 80.000 bei dem Erdbeben getötete Menschen begraben. Die Zahl der Obdachlosen liege bei zwei Millionen, dringend Hilfe bräuchten 200.000 Menschen. Nach wie vor würden rund 1000 EU-Bürger in Haiti vermisst. 35 seien ums Leben gekommen. Derzeit habe die EU 683 Experten aus 23 Ländern im Einsatz. Die Regierung befürchtet, dass bei der Katastrophe bis zu 200.000 Menschen ums Leben kamen.

US-Lazarettschiff nimmt Arbeit auf

UN-Polizisten sorgen für Ordnung.

UN-Polizisten sorgen für Ordnung.

(Foto: dpa)

Ärzte begannen auf dem vor Port-au-Prince eingetroffenen US-Lazarettschiff "Comfort" die ersten Patienten zu behandeln. Der erste Patient sei ein kleiner Junge gewesen, dessen Haut zu 30 Prozent Verbrennungen aufwies, sagte der Chef des Operationsteams an Bord der "Comfort", Tim Donahue, dem US-Sender CNN. Das US-Schiff bietet Platz für 1000 Patienten, in sechs OP-Sälen wird operiert.

Die Vereinten Nationen stocken derweil ihr Haiti-Kontingent um 3500 Blauhelmsoldaten und Polizisten auf. Damit werden bald mehr als 12.500 UN-Ordnungskräfte im Land sein. Auch die USA wollen mehr als 10.000 Soldaten in Haiti stationieren. Die genaue Anzahl der internationalen Helfer ist nicht bekannt. Die UN bemühen sich aber weiter um eine Koordinierung. Die Belegschaft der Vereinten Nationen gedachte derweil in New York ihrer toten und noch vermissten Kollegen.

Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP

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