RTL-Korrespondent in Paris "Das Misstrauen gegen Muslime wächst"
15.11.2015, 12:14 Uhr
Wie ist die Stimmung in Paris? Wie wird der Anschlag die Gesellschaft verändern? Alexander Oetker, jahrelanger Frankreich-Korrespondent der RTL-Mediengruppe, zu der auch n-tv gehört, beantwortet die drängendsten Fragen. Viele der Antworten machen ihn selbst spürbar betroffen.
n-tv.de: Welche Eindrücke haben Sie an diesem Sonntagmorgen in Paris gesammelt?
Alexander Oetker: Das Wetter ist schön, normalerweise sind die Pariser an so einem strahlenden Herbstmorgen draußen. Aber heute spürt man Beklommenheit und Leere in der Stadt. Gestern wollten noch viele Leute ihre Anteilnahme auf dem Place de la République ausdrücken und versammelten sich, obwohl das eigentlich verboten war. Heute Morgen war der Platz wie leer gefegt, und das gilt so für die ganze Stadt.
Von 2008 bis 2011 war Alexander Oetker als Korrespondent für RTL und n-tv in Frankreich im Einsatz. Jetzt ist er Reporter und Redakteur in Berlin. Angesichts des Anschlags ist er seit Samstag wieder in Paris unterwegs.
Hatten Sie trotzdem Gelegenheit, mit Pariser Bürgern zu sprechen? Wie ist die Stimmung?
Der Pariser an sich ist ein sehr stolzer und auch trotziger Mensch. Der will eigentlich gern wieder zur Tagesordnung übergehen. Aber nach dem zweiten großen Anschlag innerhalb eines Jahres spürt man, dass die Pariser nicht wissen, wie sie das machen sollen.
Was erzählen die Pariser?
Viele haben mir gesagt: "Das kann in jedem Moment wieder passieren." Den Menschen ist bewusst, dass Frankreich nicht die Möglichkeiten hat, das zu verhindern. Präsident François Hollande, der als schwacher Präsident gilt, spricht zwar davon, dass er die Armee zusätzlich zur Polizei einsetzen will. Trotzdem spüren die Pariser, dass man noch zu wenig Sicherheitskräfte auf den Straßen hat, um sich wirklich sicher fühlen zu können. Die jüdischen Einrichtungen sind geschützt und auch vor den zentralen Touristenplätzen laufen Beamte mit Maschinengewehren herum. Aber im allgemeinen Straßenbild, in den Vororten und im 10. und 11. Arrondissement, da wo es auch die Anschläge gab, ist Paris so dicht besiedelt, dass es sehr schwer zu kontrollieren ist.
Wird es weitere sicherheitspolitische Konsequenzen geben?
Es wird sicherlich weitere Konsequenzen geben. Aber die gab es ja schon nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo. Da konnten wir beobachten, dass es viel mehr Polizisten und Militär auf den Straßen gab. Aber diese Präsenz ist immer auch eine Frage des Geldes. Jetzt ist die Alarmbereitschaft sehr hoch, jetzt wird Hollande wieder das Polizeiaufgebot verstärken. Aber er wird es nach zwei, drei Monaten auch wieder zurückfahren müssen. Schon nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo stießen die Kapazitäten beim Militär und bei der Polizei dienstplanmäßig an ihre Grenzen. Das wird jetzt wieder so sein.
Wie wird die Angst die französische Gesellschaft verändern?
Das ist eine spannende Frage, die man sich auch nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo gestellt hat. Damals gab es den Marsch der 100.000 und viel Solidarität. Es gab diese Je-Suis-Charlie-Stimmung. Die hat aber nicht lange gehalten. Schon im März konnte man sehen, dass das Misstrauen der Franzosen gegen Einwanderer gewachsen ist und dass sich Muslime nach all den Jahrzehnten noch immer an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen. Ich befinde mich gerade vor der großen Pariser Moschee. Wir wollten sehen, wie sich die Lage hier verändert. Hier stehen Polizisten mit Maschinengewehren, die die Moschee vor Racheakten schützen. Da zeigt sich schon, wie sich das Land verändert.
2017 sind Präsidentschaftswahlen ...
Es wird wohl einen Rechtsruck geben. Es ist zu befürchten, dass der Front National beim nächsten Mal zum Zuge kommt.
Sie haben selbst jahrelang als Korrespondent in Frankreich gelebt. Welche Gefühle lösen der Anschlag und die damit verbundenen Entwicklungen bei Ihnen persönlich aus?
Es ist ein beklemmendes Gefühl. Das Töten war so wahllos. Die Angreifer haben es nicht auf eine bestimmte Gruppe abgesehen. Sie sind in einen Club reinmarschiert, den jeder, der in Paris lebt, kennt. Auch ich war schon im Le Bataclan. Das 11. Arrondissement ist wie München Schwabing oder Berlin Prenzlauer Berg. Da geht man aus. Es macht mich betroffen, wenn ich mit ansehe, wie sich die Stadt dadurch verändert.
Mit Alexander Oetker sprach Issio Ehrich
Quelle: ntv.de