Unter Vorbehalt Ethikrat stimmt Beschneidung zu
24.08.2012, 02:05 Uhr
Die religiöse Beschneidung von Jungen erhitzt weiterhin die Gemüter. Während der Ethikrat sich für eine Straffreiheit des Brauchs unter Auflagen einsetzt und versucht, die Debatte zu versachlichen, ertönen aus Israel teils verbitterte Töne. Vor allem von einem bekannten Holocaust-Überlebenden.
Die Debatte über religiöse Beschneidungen von Jungen in Deutschland hält an – im In- und im Ausland. Die Experten des Deutschen Ethikrats haben sich einstimmig für die gesetzliche Zulassung von Beschneidungen unter Vorbehalten ausgesprochen. Das teilte dessen Vorsitzende Christiane Woopen der "Berliner Zeitung" mit. Bedingung seien eine "qualifizierte Schmerzbehandlung, eine fachgerechte Durchführung und ein entwicklungsabhängiges Vetorecht des Betroffenen". Letzteres sei "natürlich alters- und einsichtsfähigkeitsabhängig" und betreffe vor allem die Muslime. Bei Juden werden Beschneidungen in der Regel am achten Tag nach der Geburt vorgenommen.
Der Ethikrat finde es Woopen zufolge wichtig, "dass fachliche Standards entwickelt und evaluiert werden unter Mitwirkung der Betroffenen und der beteiligten Gruppen". Die Vorsitzende sagte: "Das ist eine einmütige Empfehlung des Ethikrates." Sie sei im Übrigen mit dem Ergebnis sehr zufrieden, weil es eine "sehr große Breite in der Diskussion" gegeben habe, bestimmte Aspekte hätten vertieft und Meinungsverschiedenheiten aufgezeigt werden können. In dieser Situation lasse sich zu einer "guten gemeinsamen Lösung" kommen.
Anlass für die Beratungen des Ethikrats am Donnerstag war ein Urteil des Landgerichts Köln. Dieses hatte im Juni die Beschneidung eines vierjährigen Jungen als rechtswidrige Körperverletzung gewertet und damit einen Sturm des Protests in muslimischen und jüdischen Gemeinden ausgelöst. Um die Verunsicherung zu beenden, forderte der Bundestag die Regierung im Juli auf, bis Herbst einen Vorschlag für die gesetzliche Regelung vorzulegen.
Der Ethikrat wolle mit seiner öffentlichen Debatte zur Versachlichung des Diskurses beitragen, hob die Vorsitzende Christiane Woopen hervor. Wohl auch, weil er bei Juden in Deutschland und im Ausland für harsche Reaktionen sorgte.
Zuletzt beim Holocaust-Überlebenden und früheren aschkenasischen Oberrabiner Israels, Israel Meir Lau. Der 75-Jährige hat einem Zeitungsbericht zufolge mit Bitterkeit auf die Beschneidungsdebatte in Deutschland reagiert. "Es ist eine überraschende Tatsache, dass Stimmen in Deutschland ihre Empfindsamkeit für das Weinen eines Babys entdecken. (...) Ich habe diese Erfahrung in meiner Kindheit nicht gemacht", sagte Lau einem Bericht der Zeitung "Jediot Achronot" zufolge dem Radiosender "Kol Chai".
"Leben jüdischen Kindes war Deutschen gleichgültig"
Lau wurde 1937 in Polen geboren. Er und ein Bruder überlebten den Holocaust als Einzige aus ihrer Familie im Konzentrationslager Buchenwald. "Das Leben eines jüdischen Kindes war den Deutschen damals gleichgültig", sagte er der Zeitung zufolge. "Wir brauchen keine Lizenz (der Deutschen), um wie Juden zu leben. Wenn das der Stand der Dinge ist, haben wir keinen Grund, dort zu leben. Vielleicht hat es ja etwas Gutes und die Juden, die noch dort sind, verstehen, dass sie dort nicht hingehören."
Der israelische Innenminister Eli Jischai forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel dagegen auf, sich für das Recht auf Beschneidungen einzusetzen. Juden in Deutschland dürften nicht gezwungen werden, sich zwischen der Einhaltung nationaler oder göttlicher Gesetze entscheiden zu müssen, schrieb der Vorsitzende der strengreligiösen Schas-Partei nach Angaben der Zeitung "Jediot Achronot". Einige Juden vertreten die Auffassung, dass eine Beschneidung ohne Betäubung zu erfolgen hat. Die Vorschläge des Ethikrats sind für sie kein Kompromiss.
Israelischer Präsident appelliert an Gauck
Zwischenzeitlich schaltete sich selbst der israelische Präsident Schimon Peres in die Debatte ein. In einem Schreiben an seinen deutschen Kollegen Joachim Gauck hob er die Bedeutung des "Rituals" für die "jüdische Identität" hervor: "Die Beschneidung ist ein seit Jahrtausenden im Herzen der jüdischen Identität befindliches jüdisches Ritual, das das jüdische Volk seit den ersten Geboten Gottes an Abraham definiert."
Peres äußerte sich allerdings zufrieden über die Reaktionen der Bundesregierung und des Bundestages auf die Beschneidungsdebatte. Das Parlament hatte sich mit großer Mehrheit dafür eingesetzt, eine "gesetzliche Lösung" durchzusetzen, die Beschneidung weitgehend legalisiert. Peres sagte, er sei "zuversichtlich", dass Deutschland "in Treue zu seinen Werten" das "Recht der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zur freien Religionsausübung" schützen und aufrechterhalten werde.
Über die von Muslimen und Juden praktizierte Beschneidung von Jungen wird seit einem vom Juni kontrovers diskutiert, das die Beschneidung eines vierjährigen Jungen als rechtswidrige Körperverletzung gewertet hatte.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP