Politik

Was will Russland auf der Krim? "Putin denkt nicht strategisch"

"Putin sieht die Zivilgesellschaft nicht als legitimen Akteur, sondern als Störfaktor."

"Putin sieht die Zivilgesellschaft nicht als legitimen Akteur, sondern als Störfaktor."

(Foto: dpa)

Der russische Präsident hat sich "sicher nicht überlegt, welche konkreten Konsequenzen der Einmarsch auf der Krim haben wird", sagt Susan Stewart von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Putin will nur verhindern, dass die Lage in der Ukraine sich soweit stabilisiert, dass die neue Regierung Fuß fassen und in Richtung EU gehen kann."

n-tv.de: Glauben Sie, dass es klug ist, jetzt darüber zu sprechen, Russland aus den G8 auszuschließen?

Susan Stewart: In diesem Stadium halte ich das für verfrüht. Allerdings finde ich schon, dass es ein richtiges Zeichen ist, die Vorbereitungen für den G8-Gipfel zu stoppen, der im Juni in Sotschi stattfinden sollte.

Vor allem Deutschland hat gegenüber Russland meist eine Politik betrieben, die man mit dem Schlagwort "Wandel durch Annäherung" beschreiben könnte. War das sinnvoll?

Susan Stewart ist stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Susan Stewart ist stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

(Foto: SWP)

Ich glaube nicht, dass diese Politik so funktioniert hat wie beabsichtigt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat ja in seiner ersten Amtszeit den Begriff "Annäherung durch Verflechtung" geprägt und dazu beispielsweise die "Modernisierungspartnerschaft" mit Russland ins Leben gerufen. Dahinter steht der Gedanke, man müsse mit Russland auf so vielen Ebenen wie möglich kooperieren, weil man nur im Dialog etwas erreich kann. Das übersieht jedoch, dass solche Dialoge - von Russland, aber auch von Dritten - als Unterstützung und Legitimierung des russischen Regimes verstanden werden können.

Gernot Erler, der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, sagt, man solle die Russen nicht belehren. Ist das nicht schwierig, wenn Deutschland und Europa eigentlich davon ausgehen, dass das Ziel für Russland eine Demokratie nach westlichem Vorbild sein sollte?

Warum soll man nicht aussprechen, dass Russland sich an demokratischen Prinzipien orientieren soll? Der Westen hat allerdings nur sehr wenig Hebel, darauf hinzuwirken. Es geht eher darum, darauf hinzuweisen, dass Russland bestimmte Verpflichtungen hat: Russland ist Mitglied des Europarats, es hat sich selbst zu bestimmten demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet. Wenn der Westen darauf hinweist, dass diese nicht eingehalten werden, dann ist das keine Belehrung.

Glauben Sie, dass sich der russische Präsident Putin überhaupt für den Verweis auf internationale Verträge und Völkerrecht interessiert?

Es bringt ihn zumindest in Erklärungsnot. Man kann beobachten, dass es auf der russischen Seite den Versuch gibt, die Intervention auf der Krim als legitim darzustellen. Anfangs war die Begründung, die Rechte der russischen Bürger sollten geschützt werden, später wurde dies auf die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung ausgeweitet. Sie versuchen, ihr Vorgehen zu legitimieren. Deshalb sollte der Westen zeigen, dass diese Erklärung nicht stichhaltig ist.

Die Krise in der Ukraine fing damit an, dass Putin verhindert hat, dass der ukrainische Präsident Janukowitsch das Freihandelsabkommen mit der EU unterschreibt. Halten Sie es für vorstellbar, dass Putin die Maidan-Proteste bewusst provoziert hat, um die Ukraine zu destabilisieren?

Das glaube ich nicht. Putin nimmt die ukrainische Bevölkerung als handelndes Subjekt gar nicht wahr - genauso wie er die russische Zivilgesellschaft nicht als handelndes Subjekt ansieht. Daher kommen auch immer diese diskreditierenden Bezeichnungen. Für Putin sind die protestierende Gruppen "Verbrecher" oder "faschistische Kräfte". Als die Maidan-Bewegung losging, hat Putin Druck auf Janukowitsch ausgeübt, damit der die Proteste im Keim erstickt. Aus Putins Sicht stören diese Leute, sie sollten zum Schweigen gebracht werden. Putin sieht die Zivilgesellschaft nicht als legitimen Akteur, sondern als Störfaktor.

Will Putin jetzt die Abspaltung der Krim? Hat er überhaupt ein konkretes Ziel?

Ich glaube, Putin will nur verhindern, dass die Lage in der Ukraine sich soweit stabilisiert, dass die neue Regierung Fuß fassen und in Richtung EU gehen kann. Putin hat sich sicher nicht überlegt, welche konkreten Konsequenzen der Einmarsch auf der Krim haben wird. Putin denkt nicht strategisch, sondern taktisch. Ihm genügt es, die Ukraine zu destabilisieren.

Sorgt Putin nicht selbst dafür, dass die neue Regierung der Ukraine zu dem Schluss kommen wird, dass Putin nicht zu trauen ist und dass es besser wäre, sich unter den Schutz der Nato zu begeben?

Ja, wobei das auch Kosten für die Ukraine haben würde: Die Bevölkerung ist in dieser Frage gespalten - jetzt vermutlich noch mehr als vorher. Aber richtig, Putin agiert nicht in seinem eigenen Interesse. Nehmen Sie das Beispiel der Zollunion von Russland, Weißrussland und Kasachstan, oder der Eurasischen Union, die Putin 2015 gründen will. Damit versucht er, Russland als "soft power", als attraktives Machtzentrum zu etablieren. Aber immer wenn er feststellt, dass Länder nicht freiwillig oder nicht schnell genug seinen Organisationen beitreten wollen, fällt er zurück zum Zwang, ob das nun wirtschaftlicher oder militärischer Zwang ist. Damit untergräbt er seine eigenen Ziele.

Wie kann die EU oder der Westen insgesamt mit so einem Menschen, mit so einem Land umgehen?

Es wäre nicht im Sinne des Westens, in derselben Sprache, in der Sprache von Macht und Gewalt zu antworten. Das wäre zu gefährlich. Von daher hat man nur begrenzte Instrumente zur Verfügung. Es gibt derzeit viele Krisentreffen, aber nicht viel, das man tun kann, um die Krimkrise rasch zu lösen. Was allerdings die Entwicklung der Ukraine insgesamt betrifft, kann der Westen schon einige Angebote machen: wirtschaftliche Hilfe, Beratungsleistungen, Erleichterung der Visafreiheit bis hin zu einer Beitrittsperspektive zur Europäischen Union. Das wären Maßnahmen, die indirekt auch Russland betreffen. Mit einer proaktiven Politik könnte die EU Zeichen setzen, die sowohl im Sinne der Ukraine sind als auch sehr deutliche Signale in Richtung Russland wären.

Mit Susan Stewart sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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