CDU und CSU im Clinch Wann kommt die Scheidung?
15.09.2016, 14:48 Uhr
Einen großen gemeinsamen Nenner scheinen Merkel und Seehofer nicht mehr zu haben.
(Foto: imago/Christian Thiel)
Der Graben zwischen den Unionsparteien ist tief. Besonders in der Flüchtlingspolitik weichen die Ansichten von CDU und CSU zu stark voneinander ab. Einer möglichen Trennung der Schwesterparteien steht der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer aber skeptisch gegenüber. Er hat für sie dennoch einen Rat.
n-tv.de: Seit mehr als einem Jahr streiten sich die beiden Unionsparteien in Fragen der Flüchtlingspolitik. Wann kommt die Scheidung?
Gero Neugebauer: Streit unter Geschwistern ist ja nichts Seltenes. Wenn man sich nicht über die Familie insgesamt streitet, sondern nur über einen bestimmten Punkt, heißt das noch nicht, dass die Familiengemeinschaft zerbricht. Die CSU glaubt, mit einer fiktiven Bevölkerungsmehrheit in der Flüchtlingsfrage Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel ausüben zu können, um deren Politik zu ändern. Es wird sich zeigen, inwieweit Frau Merkel bereit ist, sich von Herrn Seehofer erpressen zu lassen.
Am Sonntag hat der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz vorgeschlagen, dass die CDU einen eigenen Landesverband in Bayern gründen sollte. Würden Sie das der CDU empfehlen?

Gero Neugebauer ist Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin.
(Foto: picture alliance / dpa)
Faktisch ist Polenz' Vorschlag einer von diesen stumpfen Pfeilen, die man nicht aus dem Köcher zieht. Er würde vielleicht treffen, aber nicht verletzen. Die CDU ist in einem gewissen Vorteil. Es könnte ihr schnell gelingen, einen Landesverband in Bayern aufzubauen. Vernünftiger wäre es angesichts der Zeit aber, eine Wahlinitiative für Merkel zu starten und diese dann in Bayern zur Wahl anzumelden. Die CSU hingegen wird es nicht schaffen, mit einer konkurrierenden Organisation im Bundesgebiet aufzutreten, da ihr die Ressourcen und die Zeit dazu fehlen.
Könnte durch die Trennung der Unionsparteien nicht auch deren Wählerpotential erhöht werden?
Die CSU könnte den Raum rechts von der CDU besetzten. Da würde sie dann allerdings mit den nationalkonservativen und wirtschaftsliberalen Teilen der AfD konkurrieren. Die CDU ist soweit in der Mitte des Parteienspektrums angelangt, dass sie der SPD den weiteren Weg in die Mitte blockiert. Daher denkt die SPD schon wieder darüber nach, partiell nach links zurückzukehren.
Wäre es dann nicht aber schwierig, die verschiedenen Positionen von CDU und CSU in einer möglichen Koalition umzusetzen? Immerhin würden die beiden Unionsparteien nicht mehr als Fraktion, sondern nur als Koalitionspartner auftreten.
Die CSU muss sich vor Augen führen, dass sie schon gegenwärtig einer Mehrheit aus CDU und SPD gegenübersteht. Nach einer Trennung der Unionsparteien würde die CSU selbst in Koalitionsverhandlungen eintreten, in denen sie sich hüten wird, mit den Grünen eine Koalition zu bilden. Aber alles andere ist für sie vorstellbar. Allerdings könnte die CSU durch eine Koalition aus CDU, SPD und FDP auch ausgespielt werden und als kleine Partei in der Opposition landen.
Welchen Rat würden sie der CDU und CSU geben, um ihren Streit zu beenden?
Ich würde ihnen gar nichts raten, weil ich dafür intime Kenntnisse über die persönlichen Verhältnisse von Seehofer und Merkel sowie über die taktischen Raffinessen der CSU haben müsste. CDU und CSU sollten aber bedenken: Wenn sie ihren Streit fortsetzten, lähmen sie die Arbeit der Bundesregierung. Sie mindern ihr Ansehen in der Öffentlichkeit und tragen dazu bei, dass die Bundesrepublik in Europa keine starke Rolle spielen kann, weil die dortigen Regierungen sehen: Es gibt keine starke und geschlossen auftretende Regierung in Berlin, auf die man Rücksicht nehmen muss.
Mit Gero Neugebauer sprach Aljoscha Röllecke
Quelle: ntv.de