Nationalpark Bayerischer Wald wird 40Hier darf Natur Natur sein

Vor 40 Jahren wurde der Bayerische Wald der erste deutsche Nationalpark. Zusammen mit dem Böhmerwald bildet er die größte zusammenhängende Waldfläche Mitteleuropas. Millionen Touristen erfreuten sich in den letzten Jahren an der einmaligen Landschaft - aber mit der Philosophie "Natur Natur sein lassen", also: den Wald sich selbst zu überlassen, kann sich nicht jeder anfreunden.
Am 7. Oktober 1970 erhielt der Bayerische Wald einen Status, der ihn dauerhaft vor dem Menschen schützen soll: Das Gebiet um den 1453 Meter hohen Berg Rachel und den 1373 Meter hohen Lusen wurde damals zum ersten Nationalpark Deutschlands. Vier Jahrzehnte später erfreuen sich jedes Jahr knapp eine Million Touristen an einer Landschaft, die nach der Selbstdarstellung der Nationalpark-Betreiber einmalig ist zwischen Atlantik und Ural. Doch die Naturschutz-Fläche löst immer wieder heftigen Streit aus - vor allem die Einheimischen tun sich bis heute damit schwer, dass der Bayerische Wald sich vollkommen alleine überlassen ist.
Während 1872 der Yellowstone-Nationalpark in den USA zur weltweit ersten besonders geschützten Naturfläche wurde und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa erste Nationalparks entstanden, benötigten die Deutschen wesentlich länger. Der bayerische Umweltschützer Hubert Weinzierl verfolgte als Erster die Idee, den Bayerischen Wald zum Nationalpark zu machen und die Landschaft damit noch deutlich stärker vor einem Eingriff durch Menschen zu schützen, als es in Naturschutzgebieten der Fall ist. Aber erst als Weinzierl sich den durch seine Fernsehsendungen populären Zoodirektor Bernhard Grzimek mit ins Boot holte, schaffte die Initiative den Durchbruch.
Fast 25.000 Hektar groß
Am 11. Juni 1969 beschloss der bayerische Landtag einstimmig die Einrichtung eines Nationalparks mit einer Fläche von 13.000 Hektar. Heute ist der Nationalpark 24.520 Hektar groß, zusammen mit dem unmittelbar angrenzenden tschechischen Böhmerwald ist es die größte zusammenhängende Waldfläche Mitteleuropas.
Zu Beginn ging es der bayerischen Politik vor allem darum, das von seiner Strukturschwäche gebeutelte Niederbayern zu stärken - mit 200 Jobs im Park und 939 extern im Tourismus entstandenen Jobs wurde dieses Ziel erreicht. Eine wirkliche Naturschutz-Philosophie entstand dagegen erst, nachdem es im jungen Nationalpark immer wieder zu erheblichen Waldschäden gekommen war.
Zunächst hatte der als Beute für die Jäger deutlich über das natürliche Maß erhöhte Bestand an Rotwild die Bäume erheblich beschädigt. Mit Hilfe einer an Heiligabend 1971 ausgestrahlten Fernsehdokumentation konnten die Nationalpark-Verantwortlichen erreichen, dass die Machtposition der Jäger eingeschränkt und der Bestand an Rehen und Hirschen wieder reduziert wurde.
Aus Totholz wurde artenreicher junger Wald
Nachdem dann 1972 ein Sturm etliche Fichten umriss, ließen die Nationalpark-Betreiber versuchsweise zehn Prozent des Totholzes liegen. Als zehn Jahre später der nächste große Sturm 90 Hektar Wald zerstörte, stellte der bayerische Landwirtschaftsminister Hans Eisenmann fest, dass aus dem Totholz von 1972 ein artenreicher junger Wald entstanden war. Eisenmann prägte nun den Satz: "Wir wollen einen Urwald für unsere Kinder und Kindeskinder". Später wurde daraus die bis heute gültige Philosophie: "Natur Natur sein lassen". Der Wald sollte vollkommen sich selbst überlassen werden, also weder Nachpflanzungen geschehen noch umgestürzte Bäume entfernt werden.
Doch das Konzept hat bis heute Kritiker. Als der Borkenkäfer ab Mitte der 80er Jahre immer wieder auch dem Bayerischen Wald zu schaffen machte, gingen Bürgerinitiativen auf die Barrikaden. Es gab sogar Morddrohungen, weil die Niederbayern im Gewährenlassen des Borkenkäfers keinen natürlichen Ablauf sahen. Bis heute gibt es auch Gegner des Nationalpark-Konzepts, die dieses unterwandern, indem sie selbst Bäume anpflanzen - etwa, weil sie die 2007 von Orkan "Kyrill" gezogenen riesigen Schneisen selbst beseitigen wollen.
Doch trotz vereinzelter Störfeuer ist der Bayerische Wald wieder reicher an Pflanzen- und Tierarten als 1970. So ist der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgerottete Luchs über Tschechien zurückgekehrt, auch Fischotter und vereinzelt Wölfe wurden gesichtet. Mit dem propagierten Urwald hat dies noch lange nichts zu tun - es sind aber die ersten großen Schritte auf einem nach Expertenmeinung noch 100 bis 200 Jahre dauernden Weg dahin.