Ukraine sucht Verwalter für den Bankrott Parlament vertagt Wahl von Regierungschef
25.02.2014, 08:34 Uhr
Die Ukraine sortiert sich nur zögerlich neu. Angeblich braucht das Land 25 Milliarden Euro Finanzhilfe. Unterdessen wird bekannt, dass der gestürzte Präsident Janukowitsch von mehr als 20.000 Polizisten den Maidan stürmen lassen wollte.

In diesen Tagen entscheidet sich auch, ob die aus dem Gefängnis entgelassene Julia Timoschenko wieder eine Rolle in der ukrainischen Politik spielen wird.
(Foto: AP)
In der krisengeschüttelten Ukraine hat das Parlament die Wahl einer Übergangsregierung auf Donnerstag verschoben. Spätestens dann müsse aber ein "Kabinett des nationalen Vertrauens" stehen, forderte Parlamentschef und Interimspräsident Alexander Turtsc hinow. Die Fraktionsvorsitzenden und zuständigen Komitees arbeiteten "Tag und Nacht", sagte Turtschinow im Parlament. Zuvor hatte er gemahnt, die Regierung bis Dienstag zu wählen. Parlamentsvize Ruslan Koschulinski betonte aber, es gebe noch keine Einigung. Die Partei von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko forderte erneut, Aktivisten der Protestbewegung einzubinden.
Infrage für den Posten kommt ansonsten der frühere Parlamentspräsident Arseni Jazenjuk, der im Parlament die Fraktion der Vaterlandspartei von Timoschenko führt. Als möglicher Kandidat wird zudem der Unternehmer und frühere Außen- und Wirtschaftsminister Pjotr Poroschenko gehandelt. Die geplante Wahl des Regierungschefs gilt als weiterer wichtiger Schritt aus der schweren Krise. Da das Land vor dem Staatsbankrott steht, reißt sich niemand um den Posten des Regierungschefs. Über mögliche Nachfolger des inzwischen untergetauchten prorussischen Staatschefs Viktor Janukowitsch wird noch nicht entschieden. Allerdings können laut Übergangspräsident Alexander Turtschinow ab sofort alle Ukrainer ihre Bewerbung für das höchste Staatsamt einreichen. Gewählt wird der neue Präsident voraussichtlich am 25. Mai.
Hin- und hergerissen zwischen Ost und West
Turtschinow warnt vor separatistischen Tendenzen im Land. Er werde mit Sicherheitsbehörden die "gefährlichen Anzeichen für Separatismus" erörtern, kündigte der geschäftsführende Präsident in Kiew an. Weitere Details nannte Turtschinow, der auch weiterhin Parlamentspräsident ist, nicht. Abgeordnete hatten davor gewarnt, die Ukraine könnte wegen der Absetzung von Präsident Viktor Janukowitsch gespalten werden. Janukowitsch hatte vor allem im russischsprachigen Osten und Süden des Landes seine Machtbasis. Der russische Außenminister Sergej Lawrow warnte, die Ukraine dürfe nicht zu einer Entscheidung über engere Bindungen an die EU oder an Russland gezwungen werden.
Russland bestreitet die Legitimität der neuen Regierung und warnte vor "diktatorischen" und "terroristischen" Methoden. "Falls sich Leute, die in schwarzen Masken und mit Kalaschnikow-Sturmgewehren durch Kiew schlendern, als Regierung bezeichnen, so wird die Arbeit mit einem solchen Kabinett sehr schwierig sein", sagte der russische Regierungschef Dmitri Medwedew. Das russische Außenministerium warf dem Westen vor, sich in Wahrheit nicht um das Schicksal des Landes zu sorgen, sondern lediglich geostrategische Interessen zu verfolgen.
Ukraine braucht 25 Milliarden Euro
Die USA, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Union haben bereits ihre Bereitschaft zu Finanzhilfen signalisiert, um dem Land wirtschaftlich auf die Beine zu helfen. Das Finanzministerium in Kiew bezifferte den Finanzbedarf bis Ende 2015 auf umgerechnet 25 Milliarden Euro und schlug eine internationale Geberkonferenz vor.
Frankreichs Außenminister Laurent Fabius warnte davor, die Europäische Union und Russland gegeneinanderzustellen. "Alle Partner einschließlich Russlands müssen der Ukraine helfen können", sagte Fabius dem Sender France 2. Die Ukraine müsse zugleich mit der EU und mit Russland zusammenarbeiten können. Es wäre "folgenschwer", sollte Russland dem Land seine Unterstützung entziehen.
Der Präsident der Europäischen Parlaments, Martin Schulz, sprach sich für schnelle Finanzhilfen der Europäischen Union für die Ukraine aus. Die EU sollte "nicht lange warten, sondern versuchen, mit einer neuen Regierung so schnell wie möglich zumindest die Grundlagen der Handlungsfähigkeit einer solchen Regierung aufrechtzuerhalten", sagte Schulz im Deutschlandfunk. Er könne jedoch nicht "quantifizieren, wie groß die unmittelbare kurzfristige Hilfsleistung sein muss".
Janukowitsch plante Polizei-Großeinsatz
Der bisherige ukrainische Präsident Janukowitsch war am vergangenen Samstag vom Parlament abgesetzt worden, nachdem die Opposition die Macht in der Volksvertretung übernommen hatte. Vor seinem Sturz hatte Janukowitsch offenbar noch geplant, den Aufstand auf dem Maidan mit 22.000 Polizisten, darunter 2000 Spezialkräften, niederschlagen zu lassen. Das geht aus Dokumenten hervor, die Journalisten zufolge in der nahe Kiew gelegenen Residenz gefunden worden sind.
Nach den Plänen sollte der Unabhängigkeitsplatz in Kiew umstellt werden, Scharfschützen hätten das Feuer auf die Demonstranten eröffnen sollen. Gegen Janukowitsch und rund 50 weitere Funktionäre sowie Vertreter der Sicherheitsdienste wurde Haftbefehl wegen "des Massenmordes an friedlichen Zivilisten" erlassen, wie Übergangs-Innenminister Arsen Awakow mitteilte. Bei Feuergefechten zwischen der Polizei und Janukowitsch-Gegnern auf dem Unabhängigkeitsplatz wurden vergangene Woche mindestens 88 Menschen getötet. Die Demonstranten hielten den Platz drei Monate lang besetzt.
Quelle: ntv.de, nsc/dpa/AFP/rts