Mercedes setzt die Blinker V-Klasse rauscht am T5 vorbei
02.04.2014, 13:37 Uhr
Mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet, bringt es der hier abgebildete V 250 Bluetec in der Ausstattungslinie Avantgarde auf 56.918 Euro.
(Foto: Holger Preiss)
Jahrelang war der Viano nur zweite Wahl. Obwohl in die Jahre gekommen, hatte der T5 von VW immer noch die Nase vorn. Jetzt könnte sich das Blatt wenden. Denn Mercedes fährt mit der V-Klasse einen Angriff, den der Mutlivan derzeit nicht parieren kann.
Als Volkswagen 1950 mit dem Bulli um die Ecke kam, hatte der Konzern ein bis dato einzigartiges Universalfahrzeug geschaffen: Transporter, Pritschenwagen und Familienbus. Vor allem aber wurde es das Familienreisemobil. Und das zog sich hin. Über 60 Jahre, bis zum T5. Ganze Generationen wurden auf Urlaubsfahrten im Multivan gezeugt. Und die Liebe zu diesem Mobil wurde von den Eltern auf die Kinder vererbt. Aber seit 2003 ruht der große Volkswagen in sich. Bis auf ein sanftes Facelift im Jahr 2009 und überarbeitete Motoren ist am T5 nicht viel verändert worden und auch über einen Nachfolger wird bis dato nur gemunkelt. Und so hat der ewige Zweite in diesem Segment jetzt etwas auf die Räder gestellt, das Altes in den Schatten stellt und dem Multivan ganz mächtig in die Seite fährt: die V-Klasse.
Vom Viano nur das V geerbt
Die Großraumlimousine von Mercedes beerbt den Viano, der immerhin auch schon elf Jahre auf dem Buckel hat, macht aber eigentlich alles anders. Außer dem Einstiegspreis. Der liegt weiter bei 45.220 Euro. Dafür gibt es einen 2,1-Liter-Vierzylinder-Turbodiesel mit zweistufiger Aufladung, der mit einer Sechsgangschaltung verbandelt ist und 136 PS leistet. In der Mercedes eigenen Nomenklatur heißt das dann V 200 CDI. Ob der kleine Diesel, der von der A- bis zur S-Klasse pumpt, ausreicht, um die knapp zwei Tonnen schwere V-Klasse richtig in Schwung zu bringen, soll später besprochen werden. Fakt ist aber, dass die Stuttgarter ein völlig anderes Fahrzeug erschaffen haben, als es der Viano war. Insofern wurde die Namensänderung tatsächlich nicht nur aus Marketinggründen vollzogen. Vielmehr hat Mercedes sich an dem orientiert, wofür der Stern einst stand und nun wieder stehen soll: Qualität, gepaart mit Luxus und Sicherheit. Und wo kann man das besser vereinen als in einer Limousine. So interpretieren die Stuttgarter unter dem ehemaligen AMG-Chef Volker Mornhinweg die V-Klasse und haben sie auch optisch ganz dicht in Richtung Pkw-Familie gedrückt.

Pfiffig ist der Zwischenboden mit integrierten Ladeboxen, der über die separat öffnende Heckscheibe erreicht wird, aber Aufpreis kostet.
(Foto: Holger Preiss)
Die Motorhaube streckt sich länger als man es in diesem Segment kennt und wird von schmalen Scheinwerfern gesäumt, die optional auch mit LED-Licht strahlen. Die Fuge der seitlichen Schiebetür wird von der seitlichen Sicke aufgenommen, die im Zusammenspiel mit Haube und Dach die bis zu 5,14 Meter lange V-Kasse in der Seitenansicht formt. Die weit nach unten gezogene Heckscheibe, die sich jetzt separat öffnen lässt, drückt das Auto in der Rückansicht tief auf die Straße. Wer diesen Komfort mit einer elektrischen Heckklappe koppeln will, muss 1645 Euro bereitstellen, oder sich für die Ausstattungslinie Avantgarde entscheiden, die mit insgesamt 5500 Euro mehr bezahlt werden muss, aber dafür bereits in der Basis deutlich mehr Ausstattungsfeature hat. Dazu gehören unter anderem Ledersitze, Lederlenkrad, Ambientebeleuchtung und Voll-LED-Scheinwerfer.
Bereits in der Grundausstattung mehr
Insgesamt findet sich aber bereits in der "schnöden" V-Klasse einiges wieder, was die neue S-, E- und C-Klasse auszeichnet. Schließlich wollte Mercedes gerade im Innenraum vom Nutzfahrzeugfeeling weg, hin zu Pkw-Gefühlen. Und das ist gelungen. Ist doch das Armaturenbrett eine gelungene Adaption aus der C-Klasse. Zumal die verwendeten Materialen nicht nur hochwertig anmuten, sondern es auch sind. In einem breiten Schwung werden die Rundinstrumente von Chromblenden überdacht. Das Dreispeichenlenkrad, ebenfalls aus der C-Klasse, hat bereits in der Grundausstattung integrierte Bedienelemente. Ebenso in der Basis gibt es ein sieben Zoll großes Zentraldisplay, das über der mit wenigen und sehr übersichtlich angeordneten Tastschaltern versehenen Mittelkonsole schwebt.
Am Ende die Steuerzentrale für alle Bedienfunktionen: das ebenfalls schon in der C-Klasse vorgestellte Touchpad mit darunter liegendem Scrollrad. Das bietet Individualismus der Bedienmöglichkeiten und der ist für 238 Euro zu einem kleinen Preis zu haben. Denn es ist faktisch alles möglich: drehen, streichen, ziehen oder schreiben. Wem das alles zu viel ist, der kann natürlich auch die Spracheingabe benutzen. Die gibt es aber erst mit der neuesten Generation des Comand-Online-System, das alle Audio-, Telefon- und Navigationsfunktionen vereint. Hinzu kommen ein Internetbrowser und die Verkehrsdatenübertragung in Echtzeit. Kostenpunkt? Satte 3510 Euro. Doch genug der Rechenaufgaben. Natürlich lässt sich auch die V-Klasse wie jeder Mercedes preislich in lichte Höhen treiben. Wer den Wohnkomfort mit allen technischen Annehmlichkeiten auf die Spitze treibt und sich dann noch für diverse Designpakete entscheidet, kann hier locker 70.000 Euro abschreiben.
V 250 Bluetec boostet am besten
Am besten unterwegs ist, wer sein rollendes Wohnzimmer mit dem stärksten der drei zur Verfügung stehenden Diesel bestückt. V 250 Bluetec nennt sich das Kraftwerk in Gänze, leistet 190 PS und hat ein maximales Drehmoment von 440 Newtonmetern. Am deutlichsten wird die Potenz bei spontaner Beschleunigung. Hier werden durch die zweistufige Aufladung zusätzlich 40 Newtonmeter zur Verfügung gestellt und so drücken beim Kickdown satte 480 Newtonmeter auf die Vorderräder. Diese Parameter sind dicht an denen des 3-Liter-V6-Turbodieselmotors, von dem sich die Stuttgarter jetzt aber vollends verabschiedet haben. Für die Beschleunigung heißt das, dass Tempo 100 in 9,1 Sekunden erreicht ist. Die Spitze liegt bei 206 km/h. Allerdings fordern Tempoexzesse wie immer ihren Preis. Mit 6,0 Litern angegeben, werden dann knapp 9,0 Liter Diesel verbrannt. Ein immer noch akzeptabler Wert. Bestechend ist die Laufruhe des großen Diesels. Erst ab 180 km/h paaren sich Wind-, Roll- und Motorgeräusch zu einem vernehmlichen Rauschen, das aber immer noch weit von Geräuschbelästigung entfernt ist. Der Topdiesel ist der einzige Motor im Dreigestirn, der die Euro-6-Abgasnorm erfüllt.
Allerdings ist auch der kleine Bruder V 220 CDI eine Empfehlung. Er geht mit seinen 163 PS etwas brummiger an den Start, fängt sich aber im oberen Drehzahlbereich und schiebt den Laster problemlos voran. Bis zur 100-km/h-Marke braucht es hier 11,8 Sekunden und das Spitzentempo liegt bei 195 km/h. Der kombinierte Normverbrauch liegt nach Werksangaben bei 5,7 Liter. Realistisch sind im Alltagsbetrieb eher 8,0 Liter. Als Dritter im Bund arbeitet das kleinste der Triebwerke unter der gepfeilten Haube der V-Klasse, der 200 CDI mit besagten 136 PS. Das Datenblatt versichert hier immer noch einen Spurt auf 100 km/h in 13,8 Sekunden und eine Spitzengeschwindigkeit von 183 km/h. Der Verbrauch soll im Mittel bei 6,1 Litern liegen. Wer nicht zum Rasen neigt und auf gepflegtes Mid-Tempo steht, der dürfte mit der Einstiegsmotorisierung zufrieden sein. Allerdings kann der kleine Diesel auch nicht mit der immer noch einen Tick zu zögerlichen 7-Gang-Automatik gekoppelt werden, die im V 250 ab 49.182,70 Euro Serie ist. Dort gibt es dann auch einen Fahrmodischalter, oder, wie Mercedes es nennt, einen "Agility-Select"-Schalter, der die Wahl zwischen vier Fahrprogrammen zulässt: ökonomisch, komfortabel, manuell oder eben sportlich. Was das Fahrvergnügen deutlich erhöht, denn die Gaskennlinie und Drehzahlen verändern sich merklich. Merklich haben sich auch die Fahreigenschaften des einst etwas rumpligen Dampfers verändert. Von Haus aus zwei Zentimeter tiefer, gibt es ab der Ausstattungslinie Avantgarde noch ein selektives Dämpfersystem, das Bodenunebenheiten sauber ausfiltert. Im Zusammenspiel mit dem adaptiven ESP sind mit der V-Klasse jetzt Kurvenfahrten möglich, von denen andere Multivanfahrer derzeit nur träumen können.
V-Klasse kann jetzt auch einparken
Aber noch mal: Die V-Klasse ist keine Rennmaschine. Vielmehr setzt sie, wie schon erwähnt, auf alle Attribute eines Pkw. So hat Mercedes beispielsweise die Sitze deutlich verändert. Hohe Seitenwangen an Sitzfläche und Rückenlehne verhindern das Verrutschen und lassen den Fahrer mutmaßen, er könne sich tief fallen lassen. Aber spätestens, wenn unangenehme Reflektionen auf den Rundinstrumenten auftauchen, hat man es mit dem Pkw-Feeling übertrieben. Besser ist, man wählt trotz der sportlichen Sitze eine hohe Position. Die verbessert nicht nur die Rundumsicht, sondern vermittelt auch eine gewisse Erhabenheit im Verkehr. Vorbildlich ist auch die Auswahl an Assistenzsystemen. Den für einen Kastenwagen so wichtigen Seitenwindassistenten gibt es bereits in der Grundausstattung und auch ein Müdigkeitswarner ist an Bord. Wer mehr will, bekommt mehr: Abstandsradar mit Auffahrwarnung, Toter-Winkel- und Spurhalteassistent haben Einzug in die Klasse der Großraumlimousinen gehalten. Selbst ein Parkassistent mit oder ohne 360-Grad-Kamera ist lieferbar, der die V-Klasse problemlos parallel oder längs zur Fahrbahn in entsprechende Lücken kurbelt.
Auch automatisch abblendende Scheinwerfer, Verkehrszeichenerkennung per Kamera oder Multimedia-Navigation samt Online-Zugang können bestellt werden. Natürlich sind viele dieser Feature nicht in Serie zu bekommen und kosten extra. Dennoch haben sich die Stuttgarter hier einen deutlichen Vorsprung auf Marktführer VW mit seinem Caravelle genannten Pendant erkämpft. Der kann da nicht mal mehr im Ansatz mithalten. Gleichzeitig lässt Mercedes eigene Unzulänglichkeiten des Vito weit hinter sich. Bleibt nur noch das Ding mit dem Preis. Aber der kann jetzt in den Pkw-Autohäusern von Mercedes verhandelt werden. Schließlich ist die V-Klasse eine Großraumlimousine und kein Transporter. Der Lust-Laster eben.
Quelle: ntv.de