Praxistest

Waldläufer aus Frankreich im Test Renault Kadjar - besser als der Qashquai?

Optisch muss sich der Renault Kadjar nicht hinter der Konkurrenz verstecken.

Optisch muss sich der Renault Kadjar nicht hinter der Konkurrenz verstecken.

(Foto: Holger Preiss)

Sehr lange hat sich Renault Zeit gelassen, bis ein attraktives Mittelklasse-SUV Eingang ins Portfolio gefunden hat. Mit dem Kadjar, der ein Bruder des Nissan Qashqai ist, scheint das Erfolgsrezept gefunden. Aber taugt es auch in der Praxis?

In der Ausstattungslinie XMOD sind die Front- und Heckschürze beim Renault Kadjar im SUV-Look gehalten.

In der Ausstattungslinie XMOD sind die Front- und Heckschürze beim Renault Kadjar im SUV-Look gehalten.

(Foto: Holger Preiss)

Mit dem Renault Kadjar adaptieren die Franzosen nicht nur den Qashqai von Kooperationspartner Nissan, sondern auch den Erfolg eines Mittelklasse-SUV. Dem japanischen Kollegen konnte er noch nicht das Wasser abgraben, aber das Standing in Europa für den Wagen mit dem Kunstnamen Kadjar wird immer besser. Vor allem in Frankreich greifen die Kunden überproportional oft zu. Dabei liegt man preislich über dem Nissan Qashqai. Stellt sich die Frage, was die Kundschaft bewegt, sich für den französischen Zwilling zu entscheiden?

Erweiterte Traktionskontrolle

Zum Test bei n-tv.de fuhr der Kadjar in "Chocolat Brown" als Energy TCe 130 mit dem Ausstattungsniveau XMOD vor. Die Farbe erklärt sich von selbst und mag dem einen gefallen, dem anderen nicht. TCe 130 bedeutet, dass der Franzose von einem 1,2 Liter großen Benziner befeuert wird. Der leistet 130 PS und schickt ab 2000 Umdrehungen 205 Newtonmeter an die Vorderachse. Damit ist auch schon geklärt, dass XMOD nicht für einen Allradantrieb steht. Auch dann nicht, wenn der Fahrer durch den Drehschalter in der Mittelkonsole versucht ist, zu glauben, er hätte einen 4 x 4 unter den Füßen.

Das Interieur im Renault Kadjar wirkt nicht übermäßig hip, versucht aber etwas Schick ins Haus zu bringen.

Das Interieur im Renault Kadjar wirkt nicht übermäßig hip, versucht aber etwas Schick ins Haus zu bringen.

(Foto: Holger Preiss)

Wie bei den Allradmodellen suggerieren die drei Stufen des Drehstellers, die sich da in Straße, Matsch und einen Expertenmodus untergliedern, unbegrenzten Offroad-Spaß. Den gibt es aber durch die hier angebotenen Funktionen mitnichten. Denn die Matscheinstellung sorgt lediglich dafür, dass die Vorderräder bei schlüpfrigem Untergrund durch einen zu harten Tritt auf das Gaspedal nicht durchdrehen. Ab 40 km/h geht die Einstellung dann in den Straßenmodus zurück. Der Expertenmodus hingegen stellt sicher, dass der Fahrer selbst Drehzahl und Kraftübertragung beeinflussen kann, ohne dass die Elektronik eingreift. Das hat vor allem dann Sinn, wenn das Fahrzeug im Winter aus einer Schneewehe "geschaukelt" werden muss und man verhindern will, dass das ESP unentwegt regelt. Insofern kann man diesen Schalter ignorieren, aber er ist in einigen Situationen durchaus sinnvoll.

Kleiner Motor, große Freude

Der hier völlig offen liegende 1,2-Liter-Benziner mit 130 PS verrichtet seine Arbeit ruhig und verhältnismäßig genügsam.

Der hier völlig offen liegende 1,2-Liter-Benziner mit 130 PS verrichtet seine Arbeit ruhig und verhältnismäßig genügsam.

(Foto: Holger Preiss)

Freude macht das Triebwerk an sich. Die 130 PS bringen den Kadjar angenehm flott auf Touren. In 10 Sekunden ist man mit dem 1,4 Tonnen schweren SUV auf Landstraßentempo gefahren und die 205 Newtonmeter werden so vehement an die Räder geschickt, dass der Gummi schon mal quietscht, wenn man an der Ampel zu forsch auf den Pin tritt. Das macht den Kadjar aber nicht zu einem Rennpferd. Auch dann nicht, wenn am Ende der Fahnenstange 192 km/h stehen, die Tachonadel mit ausreichend Anlauf aber auch geschmeidig über die 200 streicht. Während der Motor bei dieser Geschwindigkeit zur Verschwiegenheit verpflichtet scheint, nehmen die Windgeräusche vernehmlich zu. Um dahin zu kommen, muss der Ganghebel über sechs Stufen getrieben werden, wobei darauf zu achten ist, dass der turbogeladene Reihenvierzylinder immer im oberen Drehzahlbereich gehalten wird. Denn eine spontane Beschleunigung aus dem sechsten Gang ist schier unmöglich. Wer ab 150 km/h noch einmal Fahrt aufnehmen will, der sollte bis zur Nummer vier zurückziehen und dann ordentlich auf den Pinsel steigen.

Selbst bei einer solchen Fahrweise düpiert der Kadjar seinen Fahrer nicht mit einem übermäßigen Verbrauch. Nach 1200 Testkilometern stand der durchschnittliche Verbrauch bei 9,1 Litern Super. Verglichen mit den im Datenblatt angegebenen 5,6 Litern mag es einem die Tränen in die Augen treiben, aber angesichts sehr flott gefahrener Strecken auf der Autobahn und viel Stadtverkehr geht der Wert absolut in Ordnung. Nicht ganz zu erklären war die Arbeit der Start-Stopp-Automatik. Über weite Strecken im urbanen Dschungel legte sie den Motor an der roten Ampel gar nicht lahm und wenn doch, reichte der Hauch von einem Tritt auf die Kupplung, dass das Aggregat umgehend wieder seine Arbeit aufnahm. Hier wäre weniger Sensibilität mehr gewesen. Ob das signifikant etwas am Verbrauchsergebnis verändert hätte, darf aber bezweifelt werden.

Rätsel und Akrobatik

Zwei Eigenheiten des Renault Kadjar: Die Anbringung der Knöpfe für die Sitzheizung unter der Mittelkonsole und die Bedieneinheit für das Radio an der Lenkradverkleidung.

Zwei Eigenheiten des Renault Kadjar: Die Anbringung der Knöpfe für die Sitzheizung unter der Mittelkonsole und die Bedieneinheit für das Radio an der Lenkradverkleidung.

Nicht in Zweifel zu ziehen sind die Langlauffähigkeiten des Kadjar. Auf Autobahnstrecken macht er sich ausgezeichnet. Was er nicht mag, sind schnelle Lastwechsel. Hier wird die französische Fahrwerksabstimmung deutlich, die einen Spagat zwischen weichem Ausfedern und Offroad-Härte versucht. Das Projekt ist aber nur zu Teilen geglückt. In schnell gefahrenen Kehren legt sich der Kadjar deutlich zu weit in die Kurve und bei großen Querfugen schickt er klare Botschaften in den Innenraum.

Im Großen und Ganzen wird das aber mit den weichen Polstern aufgefangen. Wobei auch hier etwas mehr Gegendruck der Sitzfläche nicht verkehrt gewesen wäre. Schön ist hingegen die Lendenwirbelstütze. Warum deren Bedienung allerdings an der rechten Seitenwange des Fahrersitzes angebracht ist, bleibt ein Rätsel. Denn die Betätigung ist jedes Mal ein kleiner akrobatischer Akt: Oberkörper nach vorne lehnen, rechten Arm nach hinten führen, bis zum Drehhebel hochgleiten und dann versuchen, das Ding in die entsprechende Richtung zu bewegen. Und noch bei zwei anderen Sachen sind die wirklich angenehm ausgeformten Seitenwangen hinderlich. Zum einen ist es kleineren Fahrern schier unmöglich, die statische Mittelarmlehne zu nutzen und auf der anderen Seite muss der Gurt bei jedem Start aus der Klammer von B-Säule und Seitenwange befreit werden.

Platz gibt es für Insassen und Gepäck im Renault Kadjar.

Platz gibt es für Insassen und Gepäck im Renault Kadjar.

(Foto: Holger Preiss)

Zwei andere Eigentümlichkeiten, die sich Renault seit Jahrzehnten in seinen Autos leistet, hat auch der Kadjar mit auf den Weg bekommen. Zum einen sitzt die Bedieneinheit für Radio und Telefon wie ein Fremdkörper an der viel zu dicken Lenkradverkleidung, obgleich die Matrix über etliche Lenkradtasten bedient werden kann. Zum anderen sind die Schalter für die Sitzheizung unter der Mittelarmlehne angebracht. Das führt dazu, dass die Überprüfung, ob der Ofen brennt, mit einer tiefen Verbeugung verbunden ist. Erst dann kann man nämlich sehen, ob die Lämpchen der Druckknöpfe leuchten. Warum das so ist, lässt sich ebenso wenig erklären wie der Umstand, dass der Schalter für den Tempomaten und der Speedlimiter in die Mittelkonsole verbannt wurden.

Es lässt sich leben

Ansonsten lässt es sich im Kadjar XMOD leben. Nicht nur, dass der Franzose mit 4,45 Metern acht Zentimeter länger ist als sein japanisches Pendant, er bietet mit 472 Litern zudem 42 Liter mehr Kofferraumvolumen. Auch in der zweiten Reihe geht es üppiger zu. Außerdem gibt es für die Bequemlichkeit noch eine Mittelarmlehne. Anders als beim Qashqai kann im Renault die Ladefläche vom Kofferraum aus vergrößert werden, bietet dann mit 1478 Litern aber knapp 100 Liter weniger Raum.

Auch Fahrer und Beifahrer fühlen sich wohl, denn neben sandbraunen Armatureneinfassungen gibt es Lederüberzüge mit dicken Steppnähten. Wer die Hände über die Plastikteile gleiten lässt, wird auch mit den haptischen Gegebenheiten zufrieden sein.

Für 24.590 Euro gibt es dann noch elektrisch einstellbare und beheizbare Außenspiegel, 17-Zoll-Leichtmetallfelgen, Nebelscheinwerfer mit Kurvenlichtfunktion, einen Licht- und Regensensor, eine Zwei-Zonen-Klimaautomatik sowie einen Spurhaltewarner, Fernlichtassistenten und Verkehrszeichenerkennung. Wer mehr will, muss draufzahlen: Die Einparkhilfe für vorn und hinten gibt es im Paket mit elektrisch anklappbaren Außenspiegeln für 490 Euro. Im Winterpaket für 390 Euro verbergen sich die beheizbaren Vordersitze, Scheinwerferreinigungsanlage und eine beheizbare Frontscheibe.

Wer multifunktional und online unterwegs sein möchte, der investiert weitere 890 Euro für den sogenannten Renault R-Link. Hier enthalten sind das Mediasystem mit Sprachsteuerung, Radio, ein 7-Zoll-Touchscreen und ein Navi mit dynamischer Routenführung. Dass die Routenführung wirklich dynamisch ist, kann nicht bestätigt werden, denn Staus und Verkehrsstörungen wurden zwar angezeigt, mögliche Umfahrungen aber nicht angeboten. Dafür - und das kann durchaus auch ein finanzieller Gewinn sein - warnt das Navi äußerst präzise vor stationären und mobilen Blitzern. Der Preis des Kadjar beläuft sich mit diesen zusätzlichen Extras am Ende auf 27.050 Euro.

Fazit: Der Renault Kadjar muss sich optisch nicht hinter seinem japanischen Bruder verstecken. Auch den anderen Mitbewerbern steht er diesbezüglich in nichts nach. Auch vor einem Hyundai Tucson oder einem VW Touran muss der Franzose nicht klein beigeben. Beide Konkurrenten unterbietet er nämlich im Preis-Leistungs-Verhältnis. Wer also mit spitzem Stift kalkuliert und dabei ein durchaus solides SUV haben möchte, der sollte sich den Kadjar unbedingt für eine Probefahrt besorgen. Auch, um am Ende zu wissen, ob er mit den kleinen Eigenheiten bezüglich der Anordnung von Bedieneinheiten klarkommt. Wenn das alles kein Problem ist, dann könnte der Renault eine gute Wahl sein.

DATENBLATTRenault Kadjar Energy TCe 130
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe)4,45/ 1,84/ 1,60 m
Radstand2,64 m
Leergewicht (DIN)1381 kg
Sitzplätze5
Ladevolumen472 / 1478 Liter
MotorReihenvierzylinder mit 1197 ccm Hubraum
Getriebe6-Gang-Handschaltung
Leistung96 kW/130 PS bei 5500 U/min
KraftstoffartBenzin
AntriebFrontantrieb
Höchstgeschwindigkeit192 km/h
Tankvolumen55 Liter
max. Drehmoment205 Nm bei 2000 U/min
Beschleunigung 0-100 km/h10,1 Sekunden
Normverbrauch (kombiniert)5,6 l
Testverbrauch9,1 l
EffizienzklasseEU6b
Grundpreis24.590 Euro
Preis des Testwagens27.050 Euro

Quelle: ntv.de

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