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Ideen, Impulse - und No-Gos Was wirklich gegen die Klimakrise hilft

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Die Sonne geht über dem Atlantik unter - ein fantastisches Schauspiel, das nirgends so schön aussieht wie an Bord der Internationalen Raumstation ISS.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Aufforsten? Neue Kernkraftwerke? Auf Fleisch verzichten? Dämmen? Windräder in der Großstadt? Seit mittlerweile 50 Folgen untersuchen wir im "Klima-Labor", welche Ideen und Projekte im Kampf gegen die Klimakrise wirklich überzeugen. Den eingeschlafenen Ausbau von Solar- und Windenergie wiederzubeleben gehört genauso dazu wie eine großflächige Dämm-Offensive im deutschen Wohnbestand, um die günstigsten Energiequellen zu erschließen und gleichzeitig den Energieverbrauch in deutschen Haushalten dramatisch zu senken - und somit auch die Ausgaben für Strom, Heizung und Kühlung. Auch eine Regierung, die Klimaschutz positiv kommuniziert und als Chance für den Industriestandort Deutschland begreift, kann nicht schaden. Viele neue und vielversprechend klingende Technologien wie Mini-Reaktoren oder Fleisch aus dem Labor schon eher: Sie sind vor allem teuer, in vielen Fällen noch nicht marktreif und ihre Umweltbilanz ist oftmals deutlich schlechter als erwartet.

Vor allem bei der Ernährung wird es deshalb ohne Verzicht nicht funktionieren, sagt beispielsweise auch die frühere Köchin und heutige Politikerin Sarah Wiener, die dennoch nicht vollständig vom Fleischkonsum abraten möchte: "Es ist viel köstlicher, nachhaltiger und auch umweltfreundlicher, wenn wir das Grundprodukt essen, was auch immer das ist. Alles ist besser als hochverarbeitete Nahrungsmittel, die in der Produktion viel Energie verbrauchen." Finden Sie hier die besten Ausgaben des "Klima-Labors" in einer alphabetischen Übersicht.

Afrika? Weiß was kommt, aber alle gucken weg

Viele Regionen in Afrika leiden bereits jetzt unter dem Klimawandel. Die Temperaturen sind hoch und steigen weiter, das Wasser ist knapp und wird weniger. Wie wirkt sich das auf die Landwirtschaft aus? Ganz genau weiß man das nicht, denn während sich in Europa und Nordamerika Tausende Studien mit dieser Frage beschäftigen, gebe es in einigen afrikanischen Regionen keine einzige Untersuchung, erzählt Christoph Gornott im "Klima-Labor". Der Agrarwissenschaftler untersucht seit einigen Jahren, wie sich die Bedingungen in der außergewöhnlich trockenen Sahelzone oder im extrem nassen Westafrika verändern und welche Konsequenzen das für die Ernte in den kommenden Jahrzehnten haben könnte. Europa sollte hinschauen und lernen.

Aufforsten im globalen Süden? "Lösung, die existierende Probleme verschärft"

Aufforsten gehört zu den beliebtesten Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel. Staaten und Unternehmen planen riesige Projekte, um eine positive Bilanz in ihrem CO2-Haushalt zu erreichen. Aber die wenigsten Projekte finden vor der eigenen Haustür statt, die allermeisten Bäume sollen im globalen Süden gepflanzt werden, "wo die Leute angeblich den Platz nicht brauchen", wie Biologe Pierre Ibisch sarkastisch erzählt.

Er stellt sich damit hinter eine Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam, in der Wissenschaftler davor warnen, dass die Lebensmittelpreise in Teilen der Welt vor allem durch Aufforstungsprojekte deutlich steigen könnten. "Wir müssen aufhören, uns in die Tasche zu lügen und Lösungen anzubieten, die keine sind oder die existierende Probleme verschärfen", fordert Ibisch - stattdessen müssen wir an Ernährung und Lebensstil ran.

Ausbau-Stillstand der Windkraft? "Wo soll eigentlich unser Strom herkommen?"

Europaweit steht Deutschland mit 64 Gigawatt (GW) installierter Leistung an Land und auf See bei der Windenergie unangefochten auf Platz eins. Doch der Zubau schwächelt massiv. Im Jahr 2021 betrug er nur noch ein Viertel des bisherigen Rekordwertes aus dem Jahr 2017. Wolfram Axthelm macht dafür ein neues Ausschreibungsmodell aus dem Jahr 2018 verantwortlich. "Damals hat man gesagt: Das geht alles zu schnell, wir müssen Geschwindigkeit rausnehmen", sagt der Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie (BWE). "Das hat das fatale Signal an die Bundesländer gesendet: Strengt euch nicht so an, wir brauchen weniger Tempo!"

Wo finde ich das Klima-Labor?

Das Klima-Labor finden Sie bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Eine Botschaft, die angekommen ist: Bayern hat im ersten Halbjahr 2022 lediglich drei neue Windräder genehmigt und drei weitere ans Netz genommen. In Sachsen gibt es statt eines Zubaus sogar einen Rückbau. Dennoch ist Axthelm optimistisch, dass die Windenergie Deutschland zur Energiewende tragen wird.

CSU? "Windkraft verhindern, hat in Bayern System"

Naturverbunden und heimatliebend, so geben sich die Bayern gerne. Auch beim Klimaschutz mischen die CSU und ihr Ministerpräsident Markus Söder öffentlich vollmundig mit. Bis 2040 soll der Freistaat klimaneutral sein. Nur wie, bleibt offen: "Die bayerische Landesregierung hat keinen Plan, wie sie das schaffen soll", sagt Michael Sterner. Tatsächlich blockiere der Freistaat mit umstrittenen Regeln wie 10H für Windräder die deutsche Energiewende sogar - eine für Bayern sehr untypische Politik, wie der Energiefachmann von der OTH Regensburg erklärt: Abhängigkeit statt Autarkie. Und Schmarotzertum: Die CSU will saubere Energie, ohne etwas dafür zu tun. Erst mit dem Krieg in der Ukraine sei der Groschen bei allen gefallen.

Energie wie die Sonne? "Verdammt nah dran"

Im Zentrum der Sonne verschmelzen unaufhörlich Kerne von Wasserstoffatomen und setzen enorm viel Energie frei. Dieser Fusionsprozess ist für das Leuchten von Sternen verantwortlich. Seit Jahrzehnten träumt die Wissenschaft davon, ihn auch auf der Erde einsetzen zu können. Im Kampf gegen den Klimawandel wäre er - langfristig - eine große Hilfe. Mit einem Kilo Wasserstoff könne man genauso viel Energie erzeugen wie ein Kohlekraftwerk mit 10.000 Tonnen Kohle, erklärt Thomas Klinger und verspricht: "Wir sind verdammt nah dran", eine neue Energiequelle zu erschließen, "die die Menschheit noch nicht nutzt". Ein sehr gut verschlossenes Fass. "Aber an dem Deckel zerren wir schon herum."

Großstadt-Windkraft? "In Berlin ist Potenzial für 30 Anlagen"

Im Mai macht die Berliner Umweltsenatorin einen überraschenden Vorschlag: Bettina Jarasch kündigt an, dass der Senat Windräder in der Hauptstadt bauen möchte - notfalls auch in der Natur. "Ich gehe nicht gerne an Landschaftsschutzgebiete ran, aber wir werden es nicht ausschließen können, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen", sagt sie nach einer Senatssitzung. "Alles andere als eine PR-Aktion", bestätigt Jürgen Quentin von der Fachagentur Windenergie an Land im "Klima-Labor".

Eine neue Studie gibt ihm recht: "Auch für Stadtstaaten gilt: Potenziale sind vorhanden", hat der Bundesverband Windenergie berechnet - und nur in Ausnahmefälle in Schutzgebieten.

Intelligente Energiepolitik? Heizkostenzuschüsse statt Dämmen ist "Wahnsinn"

Energiesicherheit ist das bestimmende Thema der vergangenen Monate. Nur über einen möglichst sparsamen Verbrauch zu reden, sei aber nicht zielführend, meint Mycle Schneider. Was nützen Strom oder Gas, wenn man es nicht bezahlen kann? "In Frankreich werden bis zu 60 Prozent der Energiekosten bezuschusst", erklärt der Energieberater. Würde man dieses Geld nehmen und die Häuser renovieren, sinke der Verbrauch dramatisch - und zwar für immer. Das wäre eine "vernünftige Energiepolitik", die es in sechs Bereichen geben sollte, sagt Schneider: "Im Winter muss es warm sein und im Sommer kühl. Man braucht Licht, gekochtes Essen, Mobilität, Kommunikation und Motorkraft." Gestaltet man Dachflächen sinnvoll und dämmt Häuser, Büros, Fabriken und Supermärkte richtig, muss dafür teilweise gar keine Energie verbraucht werden.

Kernenergie? "Atomkraft ist eine aussterbende Spezies"

Der französische Präsident Emmanuel Macron verspricht seiner Nation eine "Renaissance der Atomkraft". Für eine sichere Energieversorgung drängt der wiedergewählte Staatschef auf mindestens sechs Europäische Druckwasserreaktoren der neuen Generation (EPR-2) bis 2050. Aber die Technologie existiert bisher nur auf dem Papier. Genauso wie die zweite Atomkraft-Revolution, die sogenannte SMR-Technologie für Minireaktoren. "Was bringt mir denn ein Prototyp im Jahr 2030?", fragt Mycle Schneider - falls das System überhaupt Marktreife erlangt, wie der Herausgeber des "World Nuclear Industry Status Report" (WNISR) erklärt. Denn ihm sind nur zwei Atomprojekte bekannt, die zum geplanten Datum in Betrieb gehen konnten. Die Ursache? Unter anderem ein System aus Korruption und Kriminalität.

Klimakiller Kuh? "Ein irreführendes Narrativ"

Kühe rülpsen und pupsen Methan. Dafür können sie nichts, trotzdem macht sie das zu Klimakillern. Oder etwa doch nicht? So sieht es Wilhelm Windisch. "Diese Haltung ist nicht mehr tragbar", sagt der Agrarwissenschaftler. Es gebe heute nicht viel mehr Kühe als vor 100 oder 150 Jahren, die zudem noch wesentlich mehr leisten als früher.

"Auch der Weltklimarat IPCC, die Klima-Götter sozusagen, haben das akzeptiert: Die Rolle der Wiederkäuer ist mindestens um den Faktor 3 bis 4 überschätzt worden", erzählt Windisch, der sogar argumentiert, dass nachhaltige Nutztierhaltung für die Umwelt sehr sinnvoll ist: "Ein Wiederkäuer hat diese tolle Fähigkeit, dass er nicht essbare Biomasse wie Gras oder Heu zu sich nehmen und ohne Nahrungskonkurrenz zum Menschen daraus Eiweiß bilden kann." Ein Vorteil sogar gegenüber veganer Ernährung.

Klimaklagen? "Alltag, dass der Staat seine Gesetze nicht einhält"

Im Frühjahr 2021 fällt das Bundesverfassungsgericht ein historisches Urteil: Das Bundesklimaschutzgesetz ist teilweise verfassungswidrig, weil es "rabiat in die Grundrechte" der jüngsten Generationen eingreifen würde, wie Remo Klinger sagt. Der Rechtsanwalt hat zwei von insgesamt vier erfolgreichen Verfassungsbeschwerden gegen Deutschland geführt. Im "Klima-Labor" erklärt er, welche Entscheidung der Wendepunkt im deutschen Klimarecht war, warum er Zwangshaft für den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder beantragt hatte und warum er auch gegen die neue Ampel-Koalition bereits zwei Klimaklagen eingereicht hat und fest von einem Sieg vor Gericht ausgeht.

Kunstfleisch? "Für mich ist dieser Trend das Grauen 4.0"

Fleisch essen, ohne Fleisch zu essen - damit liebäugeln viele Menschen - dem Klima zuliebe. Sarah Wiener hält diesen Trend allerdings für "das Grauen 4.0". Denn was da im Labor teilweise passiere, gehe auch nicht "ganz ohne Leid vonstatten", sagt die frühere Köchin, die inzwischen für die österreichischen Grünen im Europaparlament sitzt. Sie hält eine Lebensmittelindustrie, in der an Kühen Biopsien durchgeführt und Stammzellen entnommen werden, um anschließend Muskelfasern im Serum von Rinderföten zu züchten, für "bestialisch und widerlich". Und auch vegane Fleischersatzprodukte können sie nicht überzeugen.

Ozonloch? Umweltkrise, die gut vermarktet wurde

UV-Licht demoliert unsere Haut. In der Ozonschicht bleibt die Strahlung hängen und wird absorbiert, aber 1985 erfährt die Welt: Unsere Schutzhülle hat ein riesiges Loch und beliebte Kühl- und Dämmstoffe sind daran schuld. Nur vier Jahre später sind die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) dennoch weltweit verboten, trotz Widerstandes aus der Industrie. Wie haben wir das geschafft? "Es war viel geschicktes wissenschaftliches Marketing dabei", sagt Thomas Peter von der ETH Zürich. "Eine Augapfel-Sammlung von Frankenstein", die Sorgen verbreitet und nach einer schnellen Lösung verlangt hat. Und die Welt hat erkannt, dass es Länder geben wird, denen der Umstieg auf alternative Substanzen leichter fallen wird als anderen - und das im Protokoll von Montreal auch berücksichtigt.

Solarindustrie? "Ohne China ist die Energiewende gestorben"

In den 2000er-Jahren war Deutschland das Mekka der Solarindustrie. 20 Jahre später sitzt der Großteil der Branche in China und die deutsche Energieversorgung hängt vom Wohlwollen des russischen Präsidenten ab. Volker Quaschning macht dafür unter anderem die deutsche Metallindustrie verantwortlich. Ihretwegen habe die damalige Bundesregierung die Solarbranche zwischen 2012 und 2015 praktisch abgewickelt, erklärt der Professor für regenerative Energiesysteme von der HTW Berlin. "Das ist das Fatale", sagt er. Deutschland habe der Welt die preiswerte Solarenergie geschenkt, sei aber genau in diesem Moment daraus ausgestiegen. Ist ein Comeback denkbar?

Klima-Labor von ntv

Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.

Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Quelle: ntv.de, chr

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