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Der Eurovision Chaos Contest Die Ukraine kriegt's nicht gebacken

Sängerin Jamala gewann mit ihrem Song "1944" den ESC in Stockholm - und holte den Wettbewerb damit in die Ukraine.

Sängerin Jamala gewann mit ihrem Song "1944" den ESC in Stockholm - und holte den Wettbewerb damit in die Ukraine.

(Foto: imago/ITAR-TASS)

Keine drei Monate mehr bis zum ESC-Finale in Kiew. So es denn stattfinden wird. Hinter den Kulissen rumort es allem Anschein nach gewaltig. Und spätestens der Ticket-Verkauf offenbart auch jedem Fan das totale Organisationsdesaster in der Ukraine.

Die Sorgenfalten waren Jon Ola Sand vergangenes Jahr in Stockholm bereits anzusehen. Dass die Ukraine den Eurovision Song Contest (ESC) in Schweden gewonnen hatte und damit zum Ausrichter des Gesangswettbewerbs 2017 avancierte, ließ beim ESC-Supervisor finstere Ahnungen aufkommen: Es würden dicke Bretter zu bohren sein, um die Veranstaltung im Land der Siegerin Jamala reibungslos über die Bühne zu bekommen. Nun, da es keine drei Monate mehr bis zum geplanten ESC-Finale am 13. Mai in Kiew sind, zeigt sich: Sands Sorgen waren nur allzu berechtigt.

"Celebrate Diversity" - der ESC will in diesem Jahr die Vielfalt feiern. Aber ob Jon Ola Sand gerade zum Feiern zumute ist?

"Celebrate Diversity" - der ESC will in diesem Jahr die Vielfalt feiern. Aber ob Jon Ola Sand gerade zum Feiern zumute ist?

(Foto: imago/Ukrainian News)

Natürlich wollen die Verantwortlichen der Europäischen Rundfunkunion (EBU), die den ESC alljährlich veranstaltet, das Organisationschaos in der Ukraine nicht unbedingt an die große Glocke hängen. Gleichwohl ließ sich das Drunter und Drüber in den vergangenen Monaten nicht immer verbergen. Bereits als es nur darum ging, in welcher Stadt das Wettsingen stattfinden soll, geriet der Zeitplan aus den Fugen. Statt bei den Vorbereitungen auf die Veranstaltung möglichst schnell in die Gänge zu kommen, veranstaltete man in der Ukraine lieber erst einmal einen Städte-Kampf um die Austragung. Mehrfach wurde die Bekanntgabe der ESC-Stadt verschoben, bis dann schließlich im September die Wahl auf die - oh Wunder - Hauptstadt Kiew fiel.

"Hürden" und "Sorgen"

Schon damals soll Sand auf den Tisch gehauen haben, auch wenn nach außen hin selbstredend lediglich von "detaillierten Diskussionen" die Rede war. Es sollte nicht das letzte Mal bleiben. Im November platzte dem ESC-Chef nach einem Besuch in Kiew wohl ein weiteres Mal der Kragen. In Diplomatensprache für die Öffentlichkeit klang das so: "Es gibt Hürden, mit denen sich die Autoritäten befassen müssen, um sicherzustellen, dass das Projekt schnell vorankommt." Man sei "etwas in Sorge, dass die Zeit knapp wird".

Zur selben Zeit des Jahres, im November, hatte 2015 der Ticket-Verkauf für den Song Contest 2016 in Stockholm begonnen. Generell waren die ersten Kartenkontingente für die Veranstaltung in den vergangenen Jahren stets noch vor Weihnachten unter das ESC-verrückte Volk gebracht worden. Nicht so in der Ukraine. Hier verstrich selbst noch nach dem Jahreswechsel Woche um Woche, ohne dass sich ein Termin für den Verkaufsstart abzeichnete. Vor einer Woche rückte die EBU schließlich mit dem Eingeständnis raus, dass es zu Verzögerungen beim Verkauf der Eintrittskarten gekommen sei. Der Grund: Das ukrainische Antimonopol-Komitee habe den Ausschreibungsprozess für die Ticket-Händler gestoppt und kassiert. Er sei "unfair" und "überhastet" gewesen. Es fällt nicht allzu schwer, das zu interpretieren.

Sprechen Sie Russisch?

Das Ausstellungszentrum in Kiew - hier soll der ESC im Mai stattfinden.

Das Ausstellungszentrum in Kiew - hier soll der ESC im Mai stattfinden.

(Foto: dpa)

Ebenso leicht fällt die Vorstellung, dass es nun das nächste Donnerwetter gegeben haben dürfte. Jedenfalls wollte man jetzt offenbar nicht auch noch einen neuen Ausschreibungsprozess abwarten. Stattdessen verkündeten die ESC-Macher ebenfalls mit einiger Hast am Montag, dass der Ticket-Verkauf am nächsten Tag um 19.15 Uhr beim ukrainischen Internet-Händler concert.ua starten werde. Dessen Online-Seite präsentiert sich zunächst einmal auf Russisch. Und auch wer eine englischsprachige Version des Auftritts anfordert, erhält nur bruchstückhaft Übersetzungen.

Derweil befand sich noch am späten Dienstagabend - sogar noch weit nach 19.15 Uhr - auf der Homepage von concert.ua kein einziger Hinweis auf die begehrten ESC-Eintrittskarten. Zum Bestellprozess gelangte nur, wer nach 17.24 Uhr - der Zeitpunkt, an dem die zugehörige Seite freigeschaltet wurde - im Suchfenster "Eurovision" eintippte. Dann erschien entweder eine Fehlermeldung der Marke "Seite nicht gefunden" oder man gelangte mit etwas Glück in eine virtuelle Warteschlange, an deren Ende man zum Bestellprozess kommen sollte.

Mit 4800 anderen in der Warteschlange

Wer gegen 18.45 Uhr den Suchfenster-Trick durchschaut und es bis in die Warteschlange geschafft hatte, erfuhr, dass noch etwa 4800 Personen vor einem an der Reihe seien. Interessant wurde es, wenn man sich etwa gegen 18.55 Uhr zeitgleich noch einmal mit einem anderen Rechner an einem anderen Anschluss in die Warteschlange einreihte. Hier waren auf einmal "nur" noch 2500 Personen vor einem dran. Doch wer abwartete, bis zum eigentlichen Bestellvorgang durchgelassen zu werden, musste dann natürlich trotzdem feststellen, dass Finaltickets nicht mehr zu kriegen waren. Unterdessen glühten bei Ticket-Resellern - die freundliche Umschreibung für den Internet-Schwarzmarkt - bereits die Drähte für den Wiederverkauf von Karten zu Mondpreisen. Dort landen jedes Jahr Tickets für den ESC. Dass dies jedoch in dieser Masse schon zeitgleich zum offiziellen Verkaufsstart passierte, lässt sich zumindest als ungewöhnlich bezeichnen.

Aber auch wem es tatsächlich gelang, bei concert.ua ein Ticket zu ergattern, wurde nicht unbedingt glücklich. In ESC-Foren beklagen diverse Nutzer, dass ihnen kurz nach dem Kauf eine Stornierungsnachricht zugegangen sei, da angeblich die Zahlung nicht abgewickelt werden konnte. Wie gewonnen, so zerronnen also. So lässt sich summa summarum, ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, eines sagen: Alles ist beim Verkauf der Tickets definitiv nicht mit rechten Dingen zugegangen. So bekamen nun auch die Fans hautnah zu spüren, was bei der ESC-Organisation in der Ukraine gerade so alles schiefläuft.

Für Sand und die EBU dürfte das allerdings eher zu den Dingen gehören, die ihnen weniger Kopfzerbrechen bereiten. Schlimmer dürfte sie am vergangenen Freitag die Nachricht getroffen haben, dass zentrale Mitglieder des Produktionsteams für die Show in Kiew das Handtuch geworfen und ihren Rücktritt verkündet haben. Sie sähen sich unter den gegebenen Bedingungen außer Stande, ihre Arbeit fortzuführen, lautete die Begründung. Sie seien blockiert und in ihren Freiheiten beschnitten worden. Der Kommentar der EBU dazu klang fast schon flehentlich. Man habe in der Ukraine auf die Einhaltung bereits vereinbarter Beschlüsse und des Zeitplans gedrungen - mal wieder. Was auch immer am 13. Mai aus Kiew über die Bildschirme flimmern wird - es wurde nicht nur mit Blut, Schweiß und Tränen, sondern auch mit jeder Menge Ärger, Intransparenz und Dilettantismus erarbeitet.

Quelle: ntv.de

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