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"Tatort: Aus der Tiefe der Zeit" Mieten, Nazis, Moral - darf's etwas mehr sein?

Die Polizei, dein Freund und Helfer: Hauptkommissar Leitmayr rettet den schwerverletzten Ante Mladec vor dem Ertrinken.

Die Polizei, dein Freund und Helfer: Hauptkommissar Leitmayr rettet den schwerverletzten Ante Mladec vor dem Ertrinken.

(Foto: BR/Frederic Batier)

Mietwucher, Luxussanierungen und eine ballernde Oma im Elfenbeinturm: In Dominik Grafs "Tatort" spielt München die Hauptrolle und zeigt sich abgründig und unberechenbar wie seine Bewohner. Ein Krimi wie eine bayrische Schlachtplatte - völlig überladen, man muss es aber mal probiert haben.

Das hier war mal München. Jetzt: überall Baustellen, Absperrungen und Lärm. Kommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) erkennt sie nicht wieder, seine Stadt. Selbst das Navi hat die Orientierung verloren. Nobelbauten werden aus dem Boden gestampft, mondäne Münchner Bauten luxussaniert. Moderne Fassaden aus Glas blenden den orientierungslosen Kommissar. Doch das ist nichts gegen die Blender der Münchner Schickeria, mit denen er es später zu tun bekommt.

Die erste Leiche findet ein Bagger. Symbolträchtig verwest der tote Architekt mit den Gentrifizierungsvisionen in der Baugrube eines geplanten Luxus-Neubaus. Sein Gesicht ist kaum noch zu erkennen, anders die Absichten der Investoren: Das heruntergekommene Viertel Westend soll modernisiert werden. Alteingesessene Bewohner sollen Platz machen für einen neumodischen Bau à la Limburg - undurchsichtig, puristisch, überteuert.

Gentrifizierung und Immobilienwahnsinn

Ein "Tatort" über Gentrifizierung und Immobilienwahnsinn in der bayrischen Hauptstadt? Von wegen. Später kommen noch Themen wie Nachkriegszeit und kroatisches Neonazitum, Korruption, Waffenlobby, Zirkus, Sex, Moral, Gier und Familienintrigen hinzu. Eigentlich viel zu viel für einen Sonntagabend. Serviert wird die bayrische Schlachtplatte jedoch von Dominik Graf ("Im Angesicht des Verbrechens"), der bereits vor 20 Jahren einen hochgelobten "Tatort" inszeniert hat ("Frau Bu lacht"). Und was der Grimmepreis-gekrönte Regisseur in "Aus der Tiefe der Zeit" angerichtet hat, ist zwar derart überladen, dass einem schlecht wird. Den Verteiler liefert er jedoch direkt zum Gelage: eine in schnellen Schnitten grandios inszenierte Stadt, große Bilder menschlicher Verfehlungen, ein Spiel aus Licht, Lügen und Wahnsinn.

Die Darsteller der Münchener "Tatort"-Kommissare: Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl.

Die Darsteller der Münchener "Tatort"-Kommissare: Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl.

(Foto: dpa)

Die Kommissare Leitmayr und Ivo Batic (Miroslav Nemec) merken schnell , dass unter dem Getöse der ratternden Baustellen und lärmenden Demonstranten mehr schlummert. Tatsächlich tun sich neben den architektonischen schnell auch die menschlichen Abgründe auf. Die Ermittlungen führen die Kommissare ins beschauliche Pullach, wo nicht nur die marode Villa der Familie Holzer langsam zu bröckeln beginnt. Hausherrin Magda Holzer (Erni Mangold), deren lange vermisster Adoptivsohn in der Braugrube verweste, hat mehr als nur eine Leiche im Keller. Während in der Stadt die Menschen gegen Mietwucher auf die Straße gehen, residiert die ehemalige Zirkus-Prinzessin und Waffennärrin hier mit ihrem Sohn (Martin Feifel), seinem Ödipuskomplex und der umtriebigen Geliebten Liz (Meret Becker) auf derart vielen Quadratmetern am Isar-Hochufer, dass man hier offenbar nur auf dumme Gedanken kommen oder wahnsinnig werden muss. Die ballernde Oma schießt ohnehin gerne um sich, wenn ihr etwas nicht passt. Und so ist es nur eine Frage der Zeit, wann die gesamte Familie in ihrem morbiden Elfenbeinturm der Noblesse emotional Amok läuft.

Es wird unübersichtlich

In die umstrittenen Luxussanierungen ist nahezu die ganze Familie verstrickt. Der tote Architekt, der ungeliebte Sohn und seine korrupte Geliebte, die als Event-Managerin beste Kontakte zu den Investoren und der Stadtverwaltung pflegt. Und dann ist da noch der treue Kroate Ante (Misel Maticevic), der die egozentrische Hausherrin auf Händen trägt und mit der Schwiegertochter ins Bett geht.

Mieter gegen Investoren, Mutter gegen Sohn, Altbau gegen Luxusneubau, Villa gegen Schwerkraft, Bruder gegen Bruder - der Plot wird schnell unübersichtlich. Leitmayr und Ivo Batic wünschen sich "endlich mal wieder einen Fall, bei dem ein Mann seine Frau erschlägt, weil er sie mit ihrem Liebhaber im Bett erwischt". Der Zuschauer ist kurzzeitig versucht, ähnliche Wünsche auszusprechen. Aber hat die "Tatort"-Gemeinde nicht schon genug Biederes am Sonntagabend?

Leiche im Keller

Als der Stylist der Eventagentur (Maximilian Brückner), der offenbar zu viel wusste, stirbt und auch der verbliebene Sohn seinem Leben ein Ende bereitet, ahnen Batic und Leitmayr, dass das dunkle Geheimnis in der Familie liegt. Am Ende kommt dann sogar die SS ins Spiel. Da hat es schon mehrere Tote gegeben. Selbstmord, Totschlag, unterlassene Hilfeleistung, angeschossene Zeugen, verletzte Seelen. Da stellt sich heraus, dass all der Reichtum der Familie auf dem Hungertod eines SS-Mannes im Keller der Familie basiert.

Dass Regisseur Dominik Graf und Drehbuchautor Bernd Schwamm zum Schluss noch völlig unerwartet einen Nazi aus dem Herbstlaub buddeln lassen, ist viel zu viel des Bösen - da hat man sich jedoch längst auf die visuelle und erzählerische Opulenz eingelassen und nimmt es ihnen nicht mehr übel. Denn am Ende bricht alles buchstäblich über der verlogenen Familie zusammen. Und das ist einfach schön anzusehen.

Quelle: ntv.de

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