Rugby-Finale: Neuseeland gegen Frankreich 15 Krieger, Bier und ein Mysterium
21.10.2011, 12:43 UhrIn seiner Heimat ist Rugby der Sport Nummer eins. Es ist das Band, das Ureinwohner und Zugewanderte verbindet. Sagt Jed Thian, einer der beliebtesten Experten. Wenn am Sonntag Neuseeland im WM-Finale gegen Frankreich spielt, wird er die Partie wieder kommentieren - aus einem Pub.
Jed Thian ist einer der beliebtesten Rugby-Experten Neuseelands. Seit sechs Jahren kommentiert er jedes Spiel der Kiwi-Nationalmannschaft, den All Blacks - jedoch nicht aus dem Stadion, sondern via Internet-Stream aus einem Pub in Wellington. Ein Interview über Neuseelands Chancen, walisische Tränen und Verbrüderung beim Bier. Und darüber, warum seine All Blacks am Sonntag ab zehn Uhr das Finale der Weltmeisterschaft gegen Frankreich gewinnen.
n-tv.de: Jed, wie ist dein Gefühl vor dem großen Finale am Sonntag?
Jed Thian: Mir geht's gut, das Bier im Kühlschrank steht kalt! Ich muss mich schließlich vorbereiten, für Sonntag. Um deine Frage zu beantworten: Ich bin sehr optimistisch was das Spiel angeht, SEHR optimistisch.
Falls die All Blacks am Sonntag gewinnen, bleiben die Kiwis dann am Montag zu Hause, wie du im neuseeländischen Frühstücksfernsehen angekündigt hast?
Klar. Dann gehen nur die arbeiten, die wirklich müssen: Taxifahrer, zum Beispiel. Also alle Leute, die Geld damit verdienen, dass andere nicht arbeiten wollen. (lacht)
Wales hat das Spiel um Platz drei mit 18:21 gegen Australien verloren. Dennoch sind viele Neuseeländer ja der Meinung, dass das die falsche Paarung war - Wales hätte das Finale verdient gehabt.
Ja, absolut, und nicht nur die Kiwis denken das, die ganze Rugby-Welt ist dieser Ansicht. Die waren Opfer wirklich schräger Schiedsrichterentscheidungen im Halbfinale gegen Frankreich. Das ganze Turnier über waren die Waliser eines der besten Teams: diszipliniert, defensiv eine der besten Leistungen überhaupt, und ihr Spielstil hat vor allem die Kiwis begeistert. Für viele hat ihre Niederlage den Glanz von Finale genommen. Es hätte einfach Wales gegen Neuseeland sein müssen.
War der Platzverweis gegen den Kapitän der Waliser, Sam Warburton, im Spiel gegen Frankreich wegen zu harten Tackles gerechtfertigt?
Ehrlich gesagt: Ich konnte die rote Karte gar nicht fassen. Warburtons Gegenspieler ist voll in ihn rein gerannt - so blöd darf man nicht sein, wenn man dünner ist als der andere Typ. Als ich noch professioneller Spieler war, wurde so etwas gar nicht abgepfiffen.

"Aber eines wissen wir: Wenn Frankreich auf das Spielfeld kommt, dann mit einem Plan. Sie sind eines der großen Mysterien im Rugbysport."
Einige nennen Wales wegen seiner Spielweise schon die "Kleinen All Blacks"...
Naja, ich glaube ja nicht, dass der Name so gut passt. Aber Wales, Neuseeland und Südafrika haben schon eine sehr spezielle Verbindung zum Rugby: Es ist der Sport Nummer eins in diesen Ländern, vor Fußball und anderen Ballsportarten. Neuseeland hat so eine lange Geschichte mit Wales. Und eine hammerharte Rivalität. Interessanterweise hat dann Neuseeland, als es nicht mehr regelmäßig von Wales geschlagen wurde, angefangen, Spiele gegen Frankreich zu verlieren. Das sind bis heute die beiden Teams, die die Kiwis in Europa am meisten respektieren: Wales und Frankreich.
Auf deiner Facebook-Seite steht, dass du auch Fan der Argentinier bist. Und für Japan hast du auch gejubelt, richtig? Warum?
Japan war eine einfache Entscheidung, mit dem schrecklichen Tsunami und dem Erdbeben. Und bei der Frauenfußball-WM haben sie so toll gespielt und gewonnen.
Unter anderem gegen Deutschland.
Genau. Sie hatten einfach diesen Kampfgeist, damit konnte ich mich identifizieren. Was die Argentinier, also "Los Pumas" angeht: Es ist einfach toll, ein weiteres internationales Top-Team zu haben. Rugby aus Südamerika macht einfach Spaß und es ist toll, Argentinien dabei zu haben.
Ist da noch Platz für exotischere Teams? Deutschland zum Beispiel.
Klar. Ich glaube, dass sich Rugby weiter professionalisieren wird. Aber es ist schon eine Riesenaufgabe, von den unteren Rugby-Klassen zur WM zu fahren. Dafür bedarf es Geld und vor allem Unterstützung durch die Fans. Aber für die WM 2019 sollte Deutschland soweit sein.
Aber an einen Sieg gegen die All Blacks denkt in Deutschland niemand.
So sollte es sein. (lacht)
Schauen wir auf das Finale: Frankreich. Wo liegen die Stärken?
Frankreichs Stärke ist ihre Einstellung: Die können vor allem vorne mit den Stürmern jede Menge Druck machen. Und die halten das 80 Minuten lang durch! Außerdem sind ihre Halbspieler, die Nummer 10 und die Flügelspieler sehr stark und sehr schnell. Frankreich macht kaum Fehler - übrigens ähnlich wie die All Blacks.
Klingt nach viel Respekt für Frankreich.
Nun ja, sie sind schon sehr eigen, die Franzosen. Mit den Einheimischen hier haben sie während der WM keinen Kontakt gehabt. Anders, als die anderen Teams. Die französische Botschaft hat in Auckland eines der teuersten Restaurants für einen kompletten Monat gebucht - die feiern da vermutlich jeden Abend, aber eben nur unter sich. Ihre Denkweise, ihre Kultur ist anders, Neuseeländern ist das fremd. Aber eines wissen wir: Wenn Frankreich auf das Spielfeld kommt, dann mit einem Plan. Sie sind eines der großen Mysterien im Rugbysport.
Die All Blacks hatten ja eine ziemlich lange Verletztenliste bei diesem Turnier: Star-Spieler Dan Carter fiel aus, dann sein Ersatzmann Colin Slade, und Kapitän Richie McCaw spielt mit einer Fußverletzung. Sind die All Blacks geschwächt?
Dan Carter ist ein großer Verlust. ein so erfahrener Spieler, der fast immer die richtigen Entscheidungen trifft. Ein Meister auf dem Feld. Aber in Maori gibt es einen Spruch: Wenn ein Mann fällt, nimmt ein anderer seinen Platz ein.
Und das scheint jetzt Piri Weepu zu sein.
Absolut, das ist seine Chance. Und er hat einen fantastischen Job gemacht. Er ist ein sehr intelligenter Spieler, er liest das Spiel, identifiziert Schwächen und Möglichkeiten und findet einen Weg. Und er hat die mentale Fitness: Es macht ihm nichts aus wenn von seinen Strafstößen das Spiel abhängt. Der zögert nicht.
Trotzdem reden alle über den Neuling Aaron Cruden, einen schnellen Flügelflitzer. Ist er so stark wie die Medien in Neuseeland behaupten?
Ach, da wird viel übertrieben. Gegen Australien war er sehr gut, aber viele Journalisten verstehen nicht, wie Rugby funktioniert: Ohne Ball kann man nicht punkten - und gewonnen wird der Ball von den Stürmern, von den Jungs in der ersten Reihe.
Der Sturm macht die Arbeit, die Spieler im Rückraum holen die Punkte.
Genau, vorne wird das Spiel gewonnen. Und da, genau bei den Spielern 1 bis 5, haben die All Blacks in den letzten Jahren eine Lücke zwischen sich und den Rest der Rugby-Welt gebracht. Das hat man gegen Australien gesehen: Die haben die Aussies vorne platt gemacht. So wird es auch am Sonntag sein. Frankreich wird den fünf da vorne nichts entgegensetzen können, egal, wie oft sie es versuchen.
Über All Blacks Kapitän Richie McCaw hast du mal gesagt, sein Blut sei geschmolzenes Magma. Warum ist er so wichtig für das Spiel der All Blacks?
Er verkörpert das Ziel des neuseeländischen Rugby: Balleroberung! McCaw ist die Nummer 7, der Rechte Flügelstürmer. Seine Aufgabe ist es, dem Gegner so wenig wie möglich Zeit in Ballbesitz zu erlauben. Niemand macht das so gut wie er. Weltweit.
Ist er fit? Sein Fuß war ja angeschlagen.
Er kann Spieler. Profis gehen selten mit 100 Prozent in ein Turnier. Aber er wurde trotzdem als Kapitän für das Finale benannt. So wichtig ist McCaw: Für uns Neuseeländer ist er ein Idol.
Welche Rolle spielt der Maori-Kriegstanz "Haka", den das Team vor jedem Spiel aufführt?
Er ist das Symbol für die Verbindung von Inselbewohnern und Maoris, zwischen den Europäern und den Ureinwohnern. Der Haka macht uns einzigartig, er ist wie eine Hymne für uns. Und er ist auch eine Wertschätzung für die Maori-Spieler und das, was sie für das neuseeländische Rugby getan haben. Sie haben dem Sport geholfen, als es mal nicht so gut lief. Deswegen ist es richtig, dass die All Blacks den Haka aufführen: Das ist für alle Kiwis, das macht uns aus, das ist das Band, das uns miteinander verbindet.
Und Rugby-Fans scheint auszumachen, dass sie viel Bier trinken können und trotzdem keine Randale ausbricht - anders als beim Fußball.
Ja, das ist merkwürdig. Im Rugby ist es so, dass Spieler, wenn sie nach dem Spiel einen heben gehen, mit großer Wahrscheinlichkeit auf ihre vorherigen Gegner treffen. Und dann wird zusammen getrunken. Man gibt sich gegenseitig einen aus. Und die Spieler, als Helden der Fans, sind noch immer ganz nah dran an ihren Fans, in denselben Bars, Schulter an Schulter mit ihren Fans. Im Fußball scheint das verlorengegangen zu sein. Deswegen sind unsere Fans auch anderes drauf. Und wenn mal was kaputt geht, dann teilt man sich die Rechnung untereinander auf.
Das Finale der Rugby-WM überträgt sport1 ab 10 Uhr live im Internet - allerdings gegen Gebühr. Um 14.30 Uhr gibt es noch einmal die Highlights des Spiels. Den Kommentar von Jed Thian gibt es auf seiner Internetseite. Kostenlos.
Quelle: ntv.de, Mit Jed Thian sprach Sebastian Schöbel