"Weiß nicht, wer das Leben lenkt" Wir dachten, er macht das schon
11.11.2009, 11:59 UhrUnd wir dachten, Robert Enke ist einer, der auf sich aufpasst. Der die Sache mit dem Fußball zwar ernst nimmt, aber nicht zu ernst. Wir dachten, Robert Enke ist einer, der weiß, was wirklich wichtig ist im Leben. Nun ist Robert Enke tot.

Robert Enke ist tot. Er wurde 32 Jahre alt.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Der Profi-Fußball ist ein in sich geschlossenes System, eine Parallelwelt, in der Dinge wichtig sind, die im richtigen Leben keine Bedeutung haben. Eine Welt, in der ein ganzes Land diskutiert, wer im Tor der Nationalmannschaft steht. Robert Enke war Profi-Fußballer. Und es schien, als finde er sich in dieser Welt gut zurecht. Anfang des Jahres hat er gesagt: "Man muss sich ein bisschen frei machen von der ganzen Hektik rund um diese Torwartgeschichte. Wenn ich alles an mich ranließe, würde ich ja wahnsinnig werden. Man muss eine Mischung finden aus Ehrgeiz, Anspannung und einer gewissen Lockerheit. Meine Lockerheit ist nicht zur Schau getragen."
Wir dachten, Robert Enke macht das schon. Passt ja auch zu einem Torwart, der im besten Fall der Rückhalt seiner Mannschaft ist, ein Fels in der Brandung. Der den Überblick behält, auch wenn es brenzlig wird. Der ruhig bleibt und seinen Mitspielern sagt, wo es langgeht. Robert Enke war so einer, einer der besten in Deutschland. Und doch hat er sich, wie es schien, stets eine gesunde Distanz bewahrt - zu seinem Beruf und zu der medialen Hysterie um das, was er und seine Kollegen machen. Fußballspielen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Schon 2006 hat er nicht verstanden, welche Aufmerksamkeit vor der Weltmeisterschaft die Frage erregte, ob nun Oliver Kahn oder Jens Lehmann die Nummer eins im deutschen Tor sein solle. Absurd fand er es, dass die Entscheidung zugunsten Lehmanns es zur Spitzenmeldung in der Tagesschau brachte. Als gäbe es keine anderen Probleme auf der Welt.
Die Katastrophe schlechthin
Robert Enke wusste, was Probleme sind. Mehr als das. Vor drei Jahren starb seine Tochter Lara. Mit zwei Jahren. Sie hatte einen angeborenen Herzfehler. Das ist kein Problem, das ist die Katastrophe schlechthin. Auch wenn es sinnlos ist, Unglücksfälle zu gewichten und zu sagen, das eine sei schrecklicher als das andere: Es gibt nicht vieles auf der Welt, was im Leben eines Menschen schlimmer ist als der Tod des eigenen Kindes. Doch auch hier schien der Mensch Robert Enke seinen Weg gefunden zu haben. Als Torwart Robert Enke. Er spielte sofort wieder Fußball und verrichtete einen Teil der Trauerarbeit auf dem Platz. Dafür haben wir ihn bewundert. Wir dachten, Robert Enke macht das schon. So, wie er als Fußballer auch immer das getan hat, was gut für ihn war.
Er machte keine langfristigen Pläne. Das habe er sich abgewöhnt, sagte er vor zwei Jahren im Interview mit dem Berliner "Tagesspiegel". Aber wenn er es sich aussuchen könne, wolle er gerne zum Abschluss seiner Karriere noch einmal bei Benfica Lissabon spielen, wo er von 1999 bis 2002 unter Vertrag stand. "Benfica ist ein Verein, der mir sehr ans Herz gewachsen ist. Und wenn ich im Alter Probleme mit dem Kreuz habe, kann ein bisschen mehr Sonne beim Training ja auch nicht schaden." Auch in seiner sportlichen Karriere hat es immer wieder Rückschläge gegeben. Noch vor zwei Monaten sprach viel dafür, dass er im nächsten Jahr bei der Weltmeisterschaft in Südafrika für Deutschland spielt, ehe eine rätselhafte Viruserkrankung ihn zurückwarf. Am vergangenen Sonntag stand er wieder im Tor. Er spielte souverän und sicher, so wie immer halt. Robert Enke, so dachten wir, macht das schon.
Lieber arbeitslos als unglücklich
Denn er hat doch, so schien es, immer darauf geachtet, was gut für ihn ist. Wenn er sich nicht mehr wohlfühlte, hat er den Verein gewechselt oder wurde lieber arbeitslos als unglücklich. In Jena fing alles an, 1995 absolvierte er seine ersten Spiele für Carl Zeiss in der zweiten Liga. Ein Jahr später wechselte er zu Borussia Mönchengladbach und in die Bundesliga – und verbrachte zwei Jahre auf der Bank, bis er sich in der Saison 1998/99 einen Stammplatz erkämpfte. Im Sommer 1999 ging er nach Lissabon, seine beste Zeit, wie er immer wieder sagte. Der Karriereknick kam, als er 2002 nach Spanien zum FC Barcelona wechselte.
Robert Enke spielte kaum, wurde nach Istanbul ausgeliehen – und erlebte auch dort ein sportliches Desaster. Sein erstes Spiel ging verloren, die eigenen Fans bewarfen ihn mit Gegenständen, Robert Enke löste seinen Vertrag auf. Lieber arbeitslos als unglücklich. Im Sommer 2004 wechselte er zu Hannover 96 und damit zurück in die Bundesliga. Seit zwei Jahren war er dort Kapitän, im März 2007 debütierte er in der Nationalmannschaft. Alles, so schien es, hatte sich zum Guten gewendet.
Robert Enke hat einmal gesagt: "Ich weiß nicht, ob jemand das Leben lenkt. Aber so viel weiß ich: Man kann es nicht ändern. Man muss sich mit einer Verletzung abfinden, man muss sich damit abfinden, wenn man ein Spiel verliert, und man muss sich damit abfinden, wenn man ein Kind bekommt, das schwer krank ist und stirbt." Was bleibt, ist die Frage, warum Robert Enke sich das Leben genommen hat. Was hat ihn so gebrochen, dass er keinen Sinn mehr sah? Wir wissen nur, dass wir nicht wissen, was in ihm vorgegangen ist. Dabei dachten wir, Robert Enke ist einer, der auf sich aufpasst. Doch wir wissen nichts.
PS: Robert Enke hat unter Depressionen gelitten, und das seit Jahren, wie der Arzt Dr. Valentin Markser inzwischen mitgeteilt hat. Er hatte Robert Enke immer wieder psychatrisch betreut. Der Arzt sagte auch: "Ein Selbstmord zeichnete sich meiner Ansicht nach nicht ab."
Quelle: ntv.de