Leben

"Jung, besorgt, abhängig" Ronja Ebeling findet Wut produktiv

Hofft, dass sich nach der Wahl etwas zum Guten verändert: Ronja Ebeling.

Hofft, dass sich nach der Wahl etwas zum Guten verändert: Ronja Ebeling.

(Foto: privat)

Ronja Ebeling ist jung, sieht gut aus, ist erfolgreich. Vor allem mit ihrem Buch "Jung. Besorgt. Abhängig.". Darin bringt sie die Zukunftssorgen ihrer Generation auf den Punkt, denn sie hat genug davon, dass Entscheidungen in Politik und Gesellschaft hauptsächlich von Männern über 50 getroffen werden. Sie hat genug davon, dass Millennials nur mitgedacht werden, wenn man sich mal wieder darüber echauffiert, wie verweichlicht die jungen Leute heutzutage sind. Mit diesem Generationenkonflikt muss endlich Schluss sein. Mit ntv.de hat Ebeling über Plädoyer, in dem sie nach generationenübergreifenden Lösungen sucht, über ihre Hoffnungen und Sorgen gesprochen. Darin steckt weitaus mehr als die verzweifelte Bitte, jungen Menschen endlich zuzuhören, statt ihnen ihre Teilhabe an der Zukunft abzusprechen.

ntv.de: Ist das Buch für mich? Du schreibst ja, die ältere Generation soll den Staffelstab an die Jüngeren übergeben.

In ihren Projekten stellt Ebeling oft Randgestalten in den Mittelpunkt und macht auf Missstände aufmerksam. Die junge Perspektive, eine Sexualität ohne Zwänge und eine gleichberechtigte Gesellschaft sind ihre Herzensthemen.

In ihren Projekten stellt Ebeling oft Randgestalten in den Mittelpunkt und macht auf Missstände aufmerksam. Die junge Perspektive, eine Sexualität ohne Zwänge und eine gleichberechtigte Gesellschaft sind ihre Herzensthemen.

(Foto: Jan Lops)

Ronja Ebeling: Ich hoffe doch, dass das auch ein Buch für dich ist (lacht). Aber auch für andere Generationen. Es wäre schön, wenn alle Altersstufen darin etwas für sich entdecken könnten. Auch weil jeder dann sehen könnte, dass er oder sie mit den Ängsten und Problemen nicht allein ist. Es sind viel eher strukturelle Probleme, für die es struktureller Lösungen bedarf. Es wäre aber schön, wenn die Elterngeneration dieses Buch liest, damit sie nachvollziehen kann, was uns beschäftigt.

Wegen Themen wie Familiengründung - heute später als früher - oder Jobs, die nicht für die Ewigkeit sind.

Genau. Aber auch ein Thema wie Abhängigkeit. Das will ich auf keinen Fall, ich muss immer für mich selbst sorgen können. Das ist mir ganz wichtig. Und auch die Abwechslung ist mir wichtig, dass ich zwischen verschiedenen Jobs wählen kann. In meinem Fall ist das Journalistin, Video-Creator, Autorin. Ich weiß aber auch, dass andere meiner Generation genau das Gegenteil suchen. Die sehnen sich nach Sicherheit, einem festen Arbeitsumfeld. Ich mag es, wenn ich selbst Entscheidungen treffen kann, wenn ich mich ausprobieren kann.

Wir müssen viel flexibler sein als früher.

Ja, unsere Gesellschaft sollte zum Beispiel QuereinsteigerInnen gegenüber viel offener sein und nicht ständig dieses Akademiker-Denken vor sich hertragen. Ich plädiere für viel mehr Learning by Doing und die Möglichkeit, sich auszuprobieren.

Zurück zum Thema "Staffelstab übergeben": Klammern wir Alten zu sehr? An den jungen Menschen, an unserer eigenen Jugend, können wir nicht teilen, nicht loslassen, sind wir Kontrollfreaks? Besserwisser?

Mir geht es vor allem darum, aufzuzeigen, dass die Wünsche der jüngeren Generationen nicht ernst genommen werden. Das haben wir auch bei den Wahlprogrammen gesehen. Jede fünfte wahlberechtigte Person ist über 69 und deswegen richten sich die Parteiprogramme auch eher an deren Bedürfnisse, weil das eben eine große Bevölkerungsgruppe ist. Aber: Unsere Zukunft steht auf dem Spiel! Wir müssen damit leben, was jetzt beschlossen wird, und gerade beim Thema Klima ist das so offensichtlich. 70-Jährigen kann theoretisch ja egal sein, was in 50 Jahren ist …

aber nicht, wenn sie Kinder und Enkelkinder haben oder denkende Menschen sind, egal oder mit Kindern oder ohne. Leute, denen die Zukunft egal ist, kann man eh vergessen.

Ebeling besuchte die Henri-Nannen-Schule und berichtete während eines Auslandsaufenthaltes in Los Angeles von der Verleihung der Oscars und Golden Globe Awards.

Ebeling besuchte die Henri-Nannen-Schule und berichtete während eines Auslandsaufenthaltes in Los Angeles von der Verleihung der Oscars und Golden Globe Awards.

(Foto: privat)

Das sind natürlich Egoisten. Mich nervt gerade, dass man ganze Bevölkerungsgruppen und deren Bedürfnisse im Grunde genommen komplett vernachlässigt, nämlich die der Kinder und Jugendlichen, bloß, weil sie noch nicht wählen dürfen. Ich will mit meinem Buch auch nicht behaupten, dass es der Elterngeneration egal ist, was sie uns für eine Welt hinterlässt. Ich hoffe einfach nur, dass wir alle mal wieder neu denken.

In meiner Generation herrscht gerade eine gewisse Ratlosigkeit, glaube ich. Keiner wusste, wen er wählen sollte.

Ich glaube, das war altersübergreifend. Dieser Wahlkampf war ja auch lächerlich, es ging ja kaum um Inhalte, sondern nur darum, den anderen lächerlich zu machen. Konkrete Lösungsansätze haben die wenigsten geboten. Wann sprechen wir denn nun endlich über Inhalte und nicht mehr über Egos? Spätestens hoffentlich ab dem 27. September (lacht).

Die Generation Greta, die gerade angefangen hatte, sich zu finden, sich zu wehren und auf die Straße gegangen ist, die wurde nun wegen Corona zu Hause "eingesperrt" …

Ja, ich glaube, die struggeln alle gerade ganz schön. Und es wird nicht wirklich nach Lösungen gesucht, ihnen diese Ängste, die sie durch Schul- oder Uni-Ausfall hatten, zu nehmen. Es bemüht sich keiner wirklich, niemand sagt: "Ihr seid jetzt unsere erste Priorität, wir arbeiten gemeinsamen an einer Lösung, damit eure Zukunft losgehen kann." Da kümmert sich doch niemand drum. Das geht doch auch total auf die psychische Gesundheit. Diese letzte Zeit hat auf jeden Fall Spuren hinterlassen.

Die Erwartung ist groß, dass ihr das wieder aufbaut, was wir vermasselt haben. Aber es wird echt wenig, wenn überhaupt, dafür getan, dass die jungen Leute wieder in die Spur kommen.

Ja, Kinder, aber auch "die Familie" wurde einfach übersehen in den letzten Monaten. Und da geht es nicht mal nur um die jetzigen Familien, sondern auch darum, dass sich junge Leute doch echt fragen, ob sie da Bock darauf haben oder ob sie sich das überhaupt leisten können, eine Familie. Familie wurde schon immer romantisiert: "Opfer bringst du gerne", "Kinder sind das Größte" und so weiter, aber wie hart der Spagat zwischen Elternschaft und Berufsleben wirklich ist, das wird nicht weiter thematisiert. In der Corona-Krise ist diese Maske auf einmal gefallen und wir haben alle gesehen, wie sehr Eltern im Stich gelassen werden. Das wurden sie zwar auch schon vorher, aber da haben wir nicht so hingeguckt.

Das Dilemma für Mütter wird aber bleiben, da nun mal Frauen die Kinder bekommen. Ich meine damit "das Dilemma", dass du dir zwar vornimmst, dein Ding durchzuziehen, aber dann bemerkst, dass du es gar nicht so kannst, weil da plötzlich ein anderer Mensch ist, der vollkommen abhängig ist von dir und du vor Gefühl zerschmilzt. Also wirft die Frau ihre Prinzipien vorerst über Bord und zack - spätestens bei der Einschulung ist der Karrierezug ohne sie abgefahren.

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(lacht) Ich befürchte, die Qualität und die Stärke, die von der Elternschaft ausgeht, die wurde noch gar nicht richtig erkannt. Familie wird im Berufsleben gern als lästig dargestellt, dabei sind Menschen, die Beruf und Familie managen, doch ganz weit vorne.

Kann man aus Wut eigentlich Mut entwickeln? Der "angry young man" wird ja als Mann im Aufbruch, in der Veränderung betrachtet, eine "angry young woman" eher mit "zickig" und "nervig" in Verbindung gebracht.

Ja, im Zusammenhang mit Frauen ist Wut negativ behaftet, aber Wut kann eben auch was bewegen. Und wütende Frauen werden oft unterschätzt. Ich glaube, niemand kann sich vorstellen, wie wütend ich werden kann (lacht). Aber es muss ja auch nicht nur aggressive Wut sein, es kann ja auch eine Form von Wut sein, die einen nach vorne bringt. Dann entwickelt sich eine Energie, ein Wunsch, etwas zu ändern, und das kann dann mutig sein. Hilfreich wäre es, sich Komplizinnen zu suchen.

Frauen müssen mit Rollenmustern brechen, nicht immer nur lächeln …

Ja, sie müssen sich was trauen. Auch mal scheitern. Und dann weiter. Aber wir müssen auch mal von diesem Prinzip der toxischen Männlichkeit runterkommen, Männer müssen nicht immer der Ernährer, der Starke sein, die dürfen auch mal weinen oder etwas nicht können.

Apropos nicht können - in manchen Situationen brauchen Frauen Männer, weil sie etwas nicht können. Zum Beispiel, sich gegen Männer ausreichend zu wehren. Und in anderen Fällen brauchen Männer Frauen.

Wir müssen endlich damit anfangen, uns so zu akzeptieren, wie wir sind. Und wer wir sind. Wir müssen uns respektieren. Wir müssen nicht alle gleich sein, aber wir müssen uns als Mensch betrachten, das Geschlecht sollte dabei keine Rolle spielen.

Mit Ronja Ebeling sprach Sabine Oelmann

Quelle: ntv.de

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