Panorama

Fall Kalinka Bamberski bleibt ein freier Mann

André Bamberski ist Kalinkas leiblicher Vater.

André Bamberski ist Kalinkas leiblicher Vater.

(Foto: AP)

Es ist eine deutsch-französische Justizakte. Vor allem aber ist der Fall Kalinka das persönliche Drama des Vaters André Bamberski, der jahrzehntelang darum gekämpft hat, den Mörder seiner Tochter hinter Gitter zu bringen. Nun könnte er Frieden finden.

Wie schwer muss ein Vater bestraft werden, der alles versucht, um den Mörder seiner Tochter der Justiz zu übergeben? Auf diese Frage musste das Gericht im französischen Mulhouse eine Antwort finden. Das dürfte nicht leicht gewesen sein, denn die Geschichte von André Bamberski, seiner Tochter Kalinka und deren Stiefvater ist geradezu filmreif. Möglicherweise hat sie nun mit Bamberskis Verurteilung zu einem Jahr auf Bewährung nach über 30 Jahren ihren Abschluss gefunden.

Kalinka war im Sommer 1982 in Lindau am Bodensee tot aufgefunden worden - im Haus ihres Stiefvaters Dieter K., der damals mit ihrer Mutter zusammenlebte. Für Bamberski war der Fall immer klar: Der Arzt hat Kalinka sexuell missbraucht und anschließend mit einer Spritze getötet, um die Tat zu vertuschen. Die deutsche Justiz stellte das Verfahren gegen den Arzt jedoch 1987 wegen fehlender Beweise ein. K. beteuerte immer seine Unschuld.

Doch Bamberski ruhte nicht. Er strengte in Frankreich einen Prozess gegen K. an, bei dem der deutsche Kardiologe 1995 in Abwesenheit wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Gefängnisstrafe von 15 Jahren verurteilt wurde. Doch Deutschland lehnte alle Auslieferungsanträge der Franzosen ab, und so blieb K. ein freier Mann. Ein Zustand, den Bamberski kaum ertragen konnte.

Jagd auf K. bestimmt Bamberskis Leben

Jahrelang setzte der Sohn polnischer Einwanderer alle Hebel in Bewegung, damit K. doch noch zur Rechenschaft gezogen würde. Er habe sich "keine Pause gegönnt", seine "Ferien, Wochenende und Abende" geopfert, schreibt der ehemalige Steuerberater in einem Buch. In seinem Haus füllen die Akten des Falles ein ganzes Zimmer. In den verschiedenen Gerichtsverhandlungen wurde deutlich, er kennt jedes Detail, jede Formulierung aus dem Obduktionsbericht. Die Jagd auf Dieter K., das ist Bamberskis Leben.

Als die Tat zu verjähren drohte, tat Bamberski schließlich, was er für seine "moralische Pflicht" gegenüber seiner toten Tochter hielt: Im Herbst 2009 ließ er K. von Mittelsmännern aus dessen Wohnort in Bayern nach Frankreich verschleppen. Am 17. Oktober wurde K. gefesselt und verletzt vor dem Gericht der elsässischen Stadt Mulhouse aufgefunden, nachdem ein anonymer Anrufer die Polizei informiert hatte.

Zwei Jahre später wurde K. wegen Kalinkas Tod zu 15 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wurde in zwei Berufungsverfahren bestätigt. Für Bamberski muss es eine Genugtuung gewesen sein, dass der inzwischen 79-jährige K. nun doch noch hinter Gittern sitzt. In seinem eigenen Verständnis hat sich Bamberski nicht schuldig gemacht. "Was geschehen ist, wäre Aufgabe der französischen Justiz gewesen", davon ist Kalinkas Vater überzeugt.

Doch auch für ihn hatte die nächtliche Verschleppungsaktion strafrechtliche Konsequenzen. Wegen Entführung, Freiheitsberaubung, Beihilfe zur Gewaltanwendung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung musste er sich in Mulhouse verantworten. Mit ihm standen ein Georgier und ein Kosovare vor Gericht, die die Tat ausgeführt haben sollen. Sie wurden zu einem Jahr Haft ohne Bewährung verurteilt. Bamberski hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er über die Aktion informiert war und ihr zugestimmt hat. In Auftrag will er sie nicht gegeben haben. Ob die 19.000 Euro, die am Tag von K.s Auffinden in Mulhouse in Bamberskis Hotelzimmer gefunden wurden, wirklich der Lohn für die Mittelsmänner war, blieb offen.

"Im Interesse der Justiz"

Selbst Staatsanwalt Hervé Robin zeigte in der Verhandlung Verständnis für den Vater Bamberski, der am Grab seiner Tochter versprochen hatte, ihren Mörder zu fassen. Er könne den jahrelangen Kampf des Angeklagten "verstehen", sagte Robin und beantragte lediglich eine milde Strafe, sechs Monate Haft auf Bewährung. "Menschlich gesehen, bin ich beeindruckt von Ihrem Mut und Ihrer Beharrlichkeit", so Robin.

Eine "illegale Handlung im Interesse der Justiz", so interpretiert Bamberski seine Tat. Doch nach drei Jahrzehnten des Kampfes kündigte er an, nur im Fall einer mehrjährigen Haftstrafe Berufung einlegen zu wollen. Eine milde Strafe sei er bereit, zu akzeptieren. "Ich habe die Nase voll von Gerichtsverfahren." 76 Jahre ist Bamberski inzwischen, seine Tochter wäre heute 46. Vielleicht kann ihr Vater nun Frieden finden.

Quelle: ntv.de

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