"Britta" wütet im Norden Frachter gesunken
01.11.2006, 07:42 UhrOrkan über Norddeutschland, Jahrhundertflut mit 17-Meter-Wellen in Ostfriesland, Hochwasser in Hamburg und Schnee in den Mittelgebirgen: Mit heftigen Wetter-Turbulenzen hat der November in Deutschland Einzug gehalten. In der Nordsee geriet am Mittwoch vor Borkum ein Schiff in Seenot, vor der norwegischen Küste trieb eine Bohrplattform mit 75 Menschen im aufgewühlten Meer. Auf der Ostsee zwischen den schwedischen Inseln Öland und Gotland ist der Frachter "Finnbirch" mit 14 Mann Besatzung gekentert.
Frachter auf der Ostsee gesunken
Die schwedische "Finnbirch" ist inzwischen gesunken. Unmittelbar nach dem Sinken des 155 Meter langen Schiffes begann bei orkanartigem Sturm und fast fünf Meter hohen Wellen ein dramatischer Wettlauf um das Leben der Besatzungsmitglieder. Zwölf von ihnen konnten von einem Hubschrauber gerettet werden. Nach den zwei noch Vermissten wurde bis in die Nacht weiter gesucht.
Die zehn Philippiner und vier Schweden hatten zuvor stundenlang unter akuter Lebensgefahr auf der Seitenfläche ihres Schiffes vergeblich auf Rettung gewartet. Nach Angaben der Rettungszentrale in Stockholm waren die Seeleute auf das Seitenteil geflüchtet, als die "Finnbirch" erst schwere Schlagseite bekam und sich dann auf ganz auf die Seite legte. Sie hatten keine Zeit mehr gehabt, Rettungsboote oder -inseln zu nutzen. Als wahrscheinliche Ursache für das Unglück galt eine Verschiebung der Last.
Retter in Lebensgefahr
Riesenglück hatten vier niederländische Seeleute: Sie überlebten in ihrem 19 Meter langem Rettungskreuzer, obwohl ihr Schiff drei Mal in der tobenden See vor Borkum durchgekentert war.
Die Wetterverhältnisse vor Ort waren extrem schwierig. Auf See herrschten Windstärken von 9 bis 12 Beaufort. Nach Angaben des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg wurden in der Nacht im Seegebiet nördlich von Borkum im Durchschnitt 10 Meter hohe Wellen gemessen. Einzelne Wellen hätten sogar 16 bis 17 Meter erreicht.
Fast hätten die Retter ihr Leben verloren, als sie in der aufgewühlten See anderen in Not zur Hilfe eilten. Das niederländische Rettungsboot "Anna Margaretha" war auf dem Weg zum havarierten Küstenmotorschiff "Cementina". Das 100 Meter lange Schiff trieb wegen einer defekten Ruderanlage vor Borkum. Die Wellen machten den Rettungskreuzer zu ihrem Spielball. Die vier niederländischen Seeleute wurden nach dem Durchkentern ihres Schiffes vorübergehend vermisst. Erst Stunden später meldeten sie sich per Handy bei ihrer Einsatzstelle, nachdem ihr Funk ausgefallen war. Sie konnten gerettet werden. Bis auf einige kleinere Verletzungen sind alle wohlauf. Auch die Besatzung der "Cementina" wurde geborgen.
Weniger Schäden in Deutschland
Der erste schwere Herbststurm mit Windgeschwindigkeiten bis 156 Kilometern pro Stunde hat an Land jedoch deutlich geringere Schäden angerichtet als zunächst befürchtet. Der Wasserstand im Hamburger Hafen fiel mit 2,58 Metern über dem mittleren Hochwasser geringer aus als erwartet. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) war von drei Metern und erheblichen Überschwemmungen im Hafen ausgegangen.
In der Nacht zu Mittwoch hatte sich im Hamburger Hafen ein Containerschiff losgerissen, das mit Hilfe eines Schleppers aber wieder gesichert werden konnte, berichtete die Feuerwehr. Niedrig gelegene Teile des Fischmarktes in Hamburg-Altona wurden überschwemmt. Die Flut zerstörte eine Großbaustelle am Stauwehr in der Elbe bei Geesthacht in Schleswig-Holstein, Menschen wurden nicht verletzt.
Eine der schwersten Sturmfluten der vergangenen 100 Jahre war am Mittwoch über die Küste Ostfrieslands gefegt. Mit Geschwindigkeiten bis zu 145 Stundenkilometern waren die Orkanböen der Tiefs "Britta" in der Nacht über die Insel Borkum gerast. Fähren in Niedersachsen stellten ihren Betrieb ein. Im Landkreis Friesland fiel die Schule aus. Bei Braunschweig durchbohrte ein Ast eines umstürzenden Baumes die Frontscheibe und das Armaturenbrett eines Busses. Fahrer und Fahrgäste kamen mit dem Schrecken davon. Auf dem Brocken im Harz lagen am Mittwoch bei minus 2,5 Grad fünf Zentimeter Schnee.
An der deutschen Ostseeküste sorgte der Sturm für eine leichte Sturmflut. Schäden an den Hochwasserschutzanlagen wurden bis zum Abend aber nicht verzeichnet.
Bohrplattform losgerissen
Vor der norwegischen Küste riss sich in der Nacht eine Bohrplattform mit 75 Menschen an Bord von mehreren Schleppern los. Es bestehe keine Gefahr für die Besatzung, teilte die Rettungszentrale bei Stavanger mit. In Südschweden waren 55.000 Haushalte ohne Strom. Im Bezirk Norrland verbrachten tausend Passagiere, deren Züge im Schnee stecken geblieben waren, die Nacht in ihren Abteilen. In Dänemark wurde die 20 Kilometer lange Brücke über den Großen Belt für Autos gesperrt. Die wichtige Verkehrsverbindung zwischen dem Festland und der Hauptstadt Kopenhagen konnte auch von Zügen nur auf einer Spur genutzt werden.
Quelle: ntv.de