Panorama

Das rasende KlassenzimmerFranzösisch lernen im Zug

26.02.2008, 17:10 Uhr

Französische Grundbegriffe in dreieinhalb Stunden lernen? Die Volkshochschule Reutlingen macht es im TGV von Stuttgart nach Paris möglich, mit dem wohl schnellsten Sprachkurs der Welt.

Einmal auf den Champs-Elyses sitzen und auf Französisch einen Champagner bestellen. "Und dann in aller Ruhe schlürfen", das wünscht sich Siegfried Jasenko. Das Ganze hat nur einen Haken: Der 59-jährige Stuttgarter kann so gut wie kein Wort Französisch. Das lässt sich ändern - und zwar in irrem Tempo. Seit kurzem rast der Hochgeschwindigkeitszug TGV von Stuttgart nach Paris, und einmal im Monat gibt die Volkshochschule Reutlingen in einem Abteil einen Crashkurs für Französisch-Anfänger. Es ist wohl der schnellste Sprachkurs der Welt - dreieinhalb Stunden dauert die Fahrt, und danach sollte man ein Glas Champagner bestellen können. Oh, la la, ob das funktioniert?

Es ist eng im Abteil; der TGV (train grande vitesse) ist schmaler als der ICE. Brigitte Jantzen (51) hat eine einrollbare Plastiktafel mitgebracht und sie am Fenster befestigt. Ihre Schüler haben gleich sowieso keine Zeit rauszuschauen. Drei Lernwillige haben sich kurz nach der Abfahrt um 8.54 Uhr vom Stuttgarter Hauptbahnhof im Wagen 18 eingefunden. "Ich hoffe, dass wir Spaß miteinander haben", sagt Jantzen und guckt dabei fröhlich in noch schüchterne Gesichter. Und schon geht es los: Sich vorstellen ist angesagt: "Je m'appelle Katrin", sagt die blonde Katrin Schlechta (22) noch ungelenk. Der 46-jährige Wolfgang Kuchling nuschelt etwas in seinen Seelöwenbart, als er anfängt zu parlieren. Der silberhaarige Siegfried wiederholt eifrig, was die Lehrerin ihm gegenüber vorsagt.

"Viel tiefer im Rachen"

"Sagen Sie mal "trs bien" und grinsen Sie dabei", verlangt Jantzen von Siegfried. Das fällt dem gebürtigen Österreicher, der gern lacht, nicht schwer. "Das französische "r" liegt sehr viel tiefer im Rachen", klärt die Dozentin auf. Siegfried übt und erntet ein "superbe". Nach knapp einer Stunde werden schon die ersten kleinen Dialoge ausprobiert. Wie heißt Du? Wie geht's? Als Katrin auf die letzte Frage nur ein "pas mal" (nicht schlecht) antwortet, nimmt Jantzen sie auf die Schippe: "Sie schwächelt schon ab." Die 22- Jährige verteidigt sich, man müsse doch auch mal die anderen Wörter ausprobieren. Siegfried antwortet auf die Frage, wo er herkommt: "Je suis de Paris" und hat mal wieder die Lacher auf seiner Seite.

Nur drei Kursteilnehmer. "Das ist ein bisschen wenig", sorgt sich Susanne Fuchs, die Erfinderin dieses Sprachkurses. "Vielleicht liegt es daran, dass es heute erstmals 30 Euro kostet." In der Probephase war der Kurs gratis gewesen, um zu sehen, ob das Angebot überhaupt angenommen wird. Per Internet kann man buchen oder im Zug spontan dazustoßen, wenn noch ein Platz frei ist. Eine Durchsage weist kurz nach der Abfahrt auf den Unterricht hin. Fünfmal hat Fuchs den Kurs gegeben - einer pro Monat - und das Echo war gut. "Wir haben schon versucht, ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen", sagt sie stolz. Aber die nähmen keine Dienstleistungen. Sie will nun versuchen, dass der Kurs statt am Donnerstag freitags laufen kann, damit mehr Wochenendtouristen ihr Französisch aufpolieren können.

Unterricht im Zöllnerabteil

Fuchs' Kollegin Brigitte Jantzen ist es gar nicht so unrecht, dass es bei ihrer Premiere nicht so viele Schüler sind. "Es ist irgendwie so kuschelig. Viel besser als im Klassenzimmer." Der Raum, in dem die vier sitzen, ist das Zöllnerabteil. Bei den deutschen Bahnern wird auch schon mal über das "Dominaabteil" gespöttelt. Die Franzosen hatten darauf bestanden, dass in den ICE, die auch nach Paris fahren, ein Abteil zur Verfügung steht, das man abdunkeln und wo jemand mit Handschellen angekettet werden kann. So auch hier im TGV. Susanne Fuchs hat auch schon über französischsprachige "Flirt-Kurse" auf dem Weg in die "Stadt der Liebe" nachgedacht.

Im Abteil geht es dann ums Küssen. "La bise" heißt das Begrüßungsritual der Franzosen, wie Jantzen ihre Schüler aufklärt. Siegfried und Katrin üben das Küsschen auf die Wange hauchen, wobei der jungen Frau offensichtlich nicht ganz wohl dabei ist. "Die Hände machen gar nichts", mahnt die Lehrerin. "Woher weiß ich, ob zweimal oder dreimal?", fragt Katrin. "Das spürt man", meint Jantzen. "Da bin ich aber froh, dass man bei uns zum Begrüßen auf den Tisch klopfen kann", sagt die junge Frau aus Renningen. Der TGV zuckelt unterdessen noch immer auf deutschen Gleisen. Erst hinter Straßburg soll er 320 Stundenkilometer erreichen.

Im Abteil jagt ein Thema das andere, und doch kommen alle gut mit. Die drei denken schon daran, wie sie ihre ersten Worte gleich im Bistro an den Mann oder an die Frau bringen werden. Aber vorher kommen noch die Zahlen dran. "Sie müssen "dix (zehn) Euro" in einem Wort sprechen, sonst verstehen Sie nachher nicht, was Ihr Sandwich kostet", mahnt Jantzen. "Zehn Euro, das ist aber teuer", witzelt Siegfried und steckt sich den grünen Bleistift hinters Ohr. "Tre Euro", schlägt er vor und fällt damit ins Italienische, wo er häufiger im Urlaub ist.

"Un cappuccino, s'il vous plat."

Nach Halt in Straßburg kommt die Probe aufs Exempel: Die Klasse macht sich auf ins Bistro, in dem ausschließlich Franzosen servieren. Wolfgang geht mutig zur Theke und bestellt: "Un cappuccino, s'il vous plat." Den gibt es aber nicht, erläutert ihm die nette Bedienung auf Französisch. Kurz blickt Wolfgang die freundlich lächelnde Frau etwas hilflos an, doch dann kommt der rettende Begriff, den er eben schon im Kurs gehört an: "Caf crme". "Oui", sagt der Stuttgarter und freut sich über sein erstes Erfolgserlebnis. Siegfried hatte kurz überlegt, schon im Bistro Champagner zu bestellen. "Das enthemmt." Doch er nimmt lieber einen Kaffee, weil er sonst im stickigen Abteil vielleicht müde wird.

Ein wenig anstrengend ist es nämlich doch, weil man sich in so kurzer Zeit doch viel merken und bei der schwierigen Aussprache das eine oder andere Mal überwinden muss. "Im VHS-Klassenraum - vor vielen Leuten - könnte ich das nicht", sagt Katrin ganz ehrlich. Diesen Vorteil des kleinen, aber feinen Sprachkurses im Zug versucht Susanne Fuchs auszunutzen. Angefangen hat alles vor einigen Jahren mit einigen frankophilen Pendlern im Regionalexpress zwischen Reutlingen und Stuttgart. Dann kam im Sommer auf ihre Initiative hin der TGV dazu. Ursprünglich sollte es von Paris zurück auch einen Deutsch-Kurs für Franzosen geben. Kein Interesse! Siegfried wundert das nicht: "Was sind Leute, die zwei Sprachen können? Zweisprachig. Was sind Leute, die nur eine Sprache können? Franzosen."

Und noch mal im Chor

Der TGV hat immer noch nicht richtig Fahrt aufgenommen - kaum schneller als ein Auto fährt er durch die neblige, grüne Landschaft. Es liegt am Triebwagen. Das bedeutet für die Klasse: Nachsitzen! Die Fahrtzeit verlängert sich um etwa eine Stunde. Brigitte Jantzen paukt mit ihren Schülern, wie man im Museum Eintrittskarten kauft. "Wolfgang, Sie wollen mit zwei Erwachsenen und drei Kindern in den Louvre, was sagen Sie?" Der 46-Jährige blättert ruhig in seinem Arbeitsheft, überlegt und sagt es dann fast richtig. Nur statt "trois enfants" (drei Kinder) rutscht ihm raus: "trois tour eiffel" (drei Eiffeltürme). Er nimmt's mit Humor und erzählt, wie er mal in Paris mit dem Auto den falschen Autobahnring genommen hat und am Louvre rausgekommen ist.

Bis zum Schluss feilt die Lehrerin am Nasallaut ihrer Schüler. "Sie müssen das "un" sprechen, als ob Sie sich aufregen." Nochmal üben alle drei im Chor. Und dann wird anhand der Speisekarte im Arbeitsheft nochmal Bestellen im Restaurant geübt. "Die Franzosen lieben grüne Bohnen - haricots verts", erklärt Jantzen. Doch vieles auf der Karte kennt keiner der drei. "Um alles zu verstehen, braucht man ein Lexikon", tröstet die Dozentin. Und dann rollt der TGV durch immer höhere Häuserschluchten in Richtung Pariser Ostbahnhof. Wolfgang ist zuversichtlich: "Ich glaube nicht, dass ich gleich in Paris verhungern und verdursten muss." Und Siegfried? Als er vorhin geübt hat, ein Glas Champagner zu bestellen, wurde daraus Champagnereis. "Aber mit dem Arbeitsheft klappt's bestimmt", sagt er.

Von Henning Otte, dpa