Rechtsradikalismus in Mittweida Hakenkreuz eingeritzt
24.11.2007, 10:38 UhrEs war der Samstag vor drei Wochen. Der Supermarkt in der sächsischen Kleinstadt Mittweida war an jenem 3. November schon geschlossen. Doch auf dem Parkplatz davor pöbelten vier Neonazis in den Abendstunden ein sechsjähriges Mädchen aus einer Aussiedlerfamilie an. Als eine junge Frau dem Kind zur Hilfe kommen wollte, gingen die Rechtsextremisten auf sie los: Die Bande ritzten der 17-Jährigen nach Angaben der Polizei ein Hakenkreuz in die Haut. Schlimmeres konnte die junge Frau nur verhindern, weil sie sich heftig wehrte.
Dass es so lange dauerte, bis die Tat bekannt wurde, hat seine Gründe. Die 17-Jährige zeigte das Geschehen erst mit neun Tagen Verspätung an, nachdem sie sich ihrer Mutter anvertraut hatte. Polizei und Staatsanwaltschaft halten die Angaben der jungen Frau und des Kindes für glaubhaft. Aber die Ermittler warteten bis Freitag, bevor sie an die Öffentlichkeit gingen. Jetzt werden Zeugen gesucht. Die Tat soll - so das Opfer - von Anwohnern beobachtet worden sein, die auf Balkonen standen. Bislang meldete sich jedoch niemand.
Nach Angaben der Polizei weinte das sechsjährige Mädchen bereits, als die Jugendliche einschritt. Die vier glatzköpfigen Männer ließen dann von dem Kind ab, stürzten sich auf die 17-Jährige und rissen sie zu Boden. Drei hielten sie fest, so dass ihr einer der Täter das Nazi-Symbol im Hüftbereich in die Haut ritzen konnte. Die Männer versuchten danach noch, der Jugendlichen mit einem "skalpellartigen Gegenstand" eine Rune ins Gesicht zu stechen. Das scheiterte jedoch an der heftigen Gegenwehr der 17-Jährigen.
Ein Tatverdächtiger wurde bereits ermittelt. Bei der Durchsuchung seines Zimmers in der Wohnung der Eltern fanden die Beamten unter anderem mit Sand gefüllte Lederhandschuhe und einen Anstecker der verbotenen Neonazi-Kameradschaft "Sturm 34". Der Mann ist jedoch weiter auf freiem Fuß: Nach Ansicht des Amtsgerichts Chemnitz ist der Tatverdacht aber nicht ausreichend nachgewiesen. Es lehnte den Antrag auf Untersuchungshaft ab.
Nun wird mit Phantombildern nach den Tätern gesucht. Sie sollen zwischen 20 und 25 Jahren alt sein. Zwei von ihnen trugen Jacken mit der Aufschrift "NSDAP", einer hatte Runen auf den Fingern tätowiert. In der 16.000-Einwohner-Stadt Mittweida sind Übergriffe mit rechtsextremem und ausländerfeindlichem Hintergrund keine Seltenheit. Im April reagierte Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) und verbot die Kameradschaft "Sturm 34". Seither war es in der Region relativ ruhig. Viele Mitglieder der Organisation warten noch auf ein Gerichtsverfahren.
Mittweidas Bürgermeister Matthias Damm kritisierte angesichts des Vorfalls den schleppenden Fortgang der Verfahren: "Stadt, Landkreis, Polizei und Innenministerium sehen Rechtsextremismus als das große Problem bei uns an - nur die Justiz setzt keine Prioritäten." Dabei hat er das Verfahren gegen den mutmaßlichen Rädelsführer der Kameradschaft im Blick: Zunächst sei die Ladung des Angeklagten im Gefängnis verschlampt worden. Dann habe sich herausgestellt, dass ein Großteil der Taten am falschen Gericht angeklagt worden sei. "Solche Fehler dürfen in einem solchen Fall einfach nicht passieren."
Zudem beklagte der CDU-Politiker mangelnde Zivilcourage in seiner Stadt: "Es ist eine Schande, wenn Menschen in einem solchen Fall wegschauen." Dafür habe er kein Verständnis. Zugleich ermahnte er die mutmaßlichen Zeugen zur gleichen Courage, die die 17-Jährige gezeigt habe.
Von Erik Nebel, dpa
Quelle: ntv.de