Rekordpegel in MagdeburgMühlberg muss geräumt werden

"Die Stadt ist nicht mehr sicher", entscheiden die Verantwortlichen und ordnen die Räumung des brandenburgischen Mühlberg an. Auch in anderen Gebieten bleibt die Lage prekär: In Bitterfeld müssen 10.000 Menschen ihre Wohnungen verlassen, Magdeburg verzeichnet einen historischen Höchststand. Die Länder fordern derweil mehr Geld.
Die Kleinstadt Mühlberg in Brandenburg wird wegen des Elbhochwassers geräumt. Das haben die Verantwortlichen entschieden. "Die Stadt ist nicht mehr sicher", sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Die Situation an den Deichen sei problematisch. Der Elbe-Scheitel hatte die 2100-Einwohner-Stadt am Mittag erreicht.
Um 12.00 Uhr lag der Wasserstand bei 9,88 Meter, einen Zentimeter weniger als vier Stunden zuvor. Angelegt sind die Deiche dort auf zehn Meter Wasserhöhe. Der Druck auf die Dämme ist jedoch enorm, es gibt mehrere Sickerstellen. Taucher versuchen einen unterspülten Deich zu sichern. Laut Ministerpräsident Matthias Platzeck waren auch der Ort Herzberg im Elbe-Elster-Kreis sowie die Prignitz besonders gefährdet.
Im Landkreis Anhalt-Bitterfeld sind 10.000 Menschen aufgerufen, ihre Wohnungen zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Hier versuchen Arbeiter mit schwerem Gerät ein Leck zu schließen, dass sich im aufgeweichten Erdreich zwischen zwei Seen gebildet hat. Durch die Arbeiten bestehe aber auch die Gefahr, dass sich das Loch vergrößert. Dann könnte eine Flutwelle auf Bitterfeld zurollen. In Halle sinkt derweil der Druck auf die Dämme, bleibt aber nach Angaben des Krisenstabs der Stadt enorm hoch. Auch in Dresden, wo am Donnerstag der Höchststand des Elbehochwassers erreicht wurde, fallen die Pegel langsam wieder.
Ungeklärtes Abwasser fließt in Weiße Elster
Bundesweit gab es bislang mindestens sieben Todesopfer infolge der Flut. Zuletzt kam am Donnerstagabend in Wittenberg ein 74 Jahre alter Helfer ums Leben, als ihn ein Radlader erfasste. Zudem werden mehrere Menschen vermisst. Bundesweit sind 70.000 Feuerwehrleute im Einsatz, teilte der Deutsche Feuerwehrverband mit. Das Verteidigungsministerium sprach von mehr als 11.300 Bundeswehrsoldaten, die derzeit gegen die Fluten kämpfen. Am Sonntag will Bundespräsident Joachim Gauck Hochwasserregionen an Saale und Elbe besuchen.
Die auf einer Insel gelegene Altstadt Hitzackers muss dagegen vorläufig doch nicht geräumt werden. Es werde je nach Hochwasserstand aktuell entschieden, sagte ein Sprecher des Kreises Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen. Betroffen wären von einer Evakuierung rund 250 Menschen. Wer jetzt sein Haus verlassen will, mache das freiwillig. Zunächst sollte die Altstadt bis Sonntagmittag evakuiert werden. Die Insel darf allerdings von Samstag an nicht mehr von Menschen betreten werden, die dort nicht wohnen. Bereits am Freitag wurde sie für den Autoverkehr gesperrt. Die Altstadtinsel ist von Nebengewässern der Elbe komplett umschlossen.
Nach der Überflutung von Kläranlagen in Thüringen fließt dort das Abwasser von 20.000 Haushalten völlig ungefiltert in die Weiße Elster. Wie der MDR berichtete, sind die Kläranlagen in Greiz und Berga überschwemmt. Der Greizer Bürgermeister Gerd Grüner sagte: "Die Technik und die Verwaltung sind abgesoffen." Er gehe davon aus, dass es überall in den Hochwassergebieten derartige Probleme mit dem Abwasser gebe. Der MDR berichtete unter Berufung auf die Werkleiterin Ines Watzek, die Abwässer seien wohl nicht giftig oder hochbelastet.
In Magdeburg steigt das Hochwasser der Elbe deutlich schneller und vermutlich höher als erwartet. Aktuelle Prognosen gingen von einem Höchststand von 7,30 Metern am Sonntag aus, sagte Oberbürgermeister Lutz Trümper. Am Freitagvormittag zeigte der Pegel in Magdeburg 7,11 Meter. Das wäre ein neuer historischer Höchststand - beim letzten Hochwasser von 2002 waren es 6,72 Meter. Trümper sagte, es seien für Magdeburg 2000 zusätzliche Bundeswehrsoldaten angefordert worden. In Sachsen-Anhalt hält die Polizei zudem verstärkt Ausschau nach Plünderern. Gleiches kündigte die Polizei in Dresden an. Noch sei in keine der evakuierten Wohnungen eingebrochen worden, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums in Magdeburg. In den besonders stark von den Fluten betroffenen Gebieten an der Saale patrouillierten seit Tagen Polizeikräfte.
DIHK: Mehr als elf Milliarden Euro Schäden
In Niedersachsen hoffen die Menschen wieder: Nachdem die Prognosen für die höchsten Pegelstände zwei Tage in Folge nach unten korrigiert wurden, setzen jetzt viele Anwohner darauf, dass es für sie diesmal doch nicht so schlimm kommt wie bisher befürchtet. Der Höhepunkt wurde bis Mitte kommender Woche erwartet. Hamburg erwartete nur einen leichten Anstieg der Elbe. In Bayern zieht sich das Hochwasser langsam zurück und die Pegelstände fallen. Allerdings bleibt die Lage vor allem im Landkreis Deggendorf weiterhin schwierig. Zudem steigt dem Deutschen Wetterdienst zufolge die Neigung zu Schauern und Gewittern. Die Wasserstände könnten darum wieder leicht steigen.
Noch bevor die Flutwelle den Norden erreicht hat, verlangten mehrere Ministerpräsidenten von der Bundesregierung mehr Unterstützung. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich von der CDU sagte, für den Wiederaufbau seien mehr als die vom Bund zugesagten 100 Millionen Euro nötig. "Wir werden für die Beseitigung der Schäden und den Wiederaufbau erhebliche Summen benötigen", sagte Thüringens Regierungschefin, Christine Lieberknecht von der CDU, im Bundesrat. Nötig sei auch Hilfe von der EU. Der Chef der sachsen-anhaltinischen Staatskanzlei, Rainer Robra, bezeichnete das Hochwasser als "nationale Katastrophe". Regierungssprecher Steffen Seibert bekräftige, dass die Bundesregierung bereit sei, auch mehr als die bislang zugesagte Summe an Soforthilfe bereitzustellen. Zunächst müssten nach dem Ende der Hochwasser-Katastrophe die Gesamtschäden bewertet werden.
Allein für die Wirtschaft werden sich die Flutschäden nach Befürchtungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags DIHK auf mehr elf Milliarden Euro belaufen. "In einigen Regionen dürfte das Ausmaß der Schäden eher größer sein als 2002", sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post". Allerdings sei die Lage noch "zu unübersichtlich, um das Ausmaß der Schäden abschließend beziffern zu können", betonte Schweitzer. Wichtig sei jetzt, den Betrieben schnell und unbürokratisch zu helfen.
Das Bundesagrarministerium bezifferte die Schäden in der Landwirtschaft mit bundesweit 173 Millionen Euro. Die Summe werde wohl noch steigen, hieß es. Der Deutsche Bauernverband (DBV) sprach von einem Schaden von über 300 Millionen Euro. Vom Hochwasser seien bislang mindestens 150.000 Hektar Grünland und Ackerflächen in den betroffenen Bundesländern überflutet worden, teilte der Verband in Berlin mit. Diese Fläche werde sich voraussichtlich auf 250.000 Hektar ausweiten. Die Bauern könnten die Schäden "nicht alleine tragen", sagte DBV-Präsident Joachim Rukwied. Die Landwirtschaft müsse bei den Soforthilfen von Bund und Ländern "angemessen berücksichtigt" werden.
Die Umweltminister der Länder beschlossen in Oberhof, nach der Hochwasserkatastrophe in weiten Teilen Deutschlands eine Fehler- und Schwachstellen-Analyse vorzulegen. Dazu sollte es Mitte Juli in Thüringen eine Sonderkonferenz geben, schlug Thüringens Ressortchef Jürgen Reinholz von der CDU vor.
Kritik am deutschen Krisenmanagement
Aus Österreich gab es derweil Kritik am deutschen Missmanagement beim Hochwasserschutz. Dieses habe die Katastrophe verstärkt. Er wolle nicht direkt von Fehlern sprechen, aber: "Ich glaube, es waren langfristige Fehlentwicklungen, die auch teilweise vorher Experten mitgetragen haben", sagte der österreichische Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner vor dem Treffen der EU-Energieminister in Luxemburg.
Dass es günstig sei, Flüsse in Korsette zu zwingen oder auf Auengebiete zu verzichten habe sich mittlerweile als "eher gewagte Überlegung" herausgestellt, meinte der Minister. Die Expertenmeinung gehe jetzt in eine andere Richtung. "Inwieweit man da jetzt auch vom Zeitpunkt her Rückbauten machen kann, das muss man jetzt wirklich prüfen." Aus Deutschland kommendes Donau-Hochwasser hatte in den vergangenen Tagen eine Schneise der Verwüstung durch Österreich geschlagen. Zahlreiche Orte standen unter Wasser, tausende Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Am Freitag entspannte sich die Lage weiter, in immer mehr Gebieten begannen die Aufräumarbeiten.
In Tschechien stieg die Zahl der Toten durch Unwetter und Hochwasser auf zehn. In weiten Teilen Tschechiens entspannte sich die Hochwasserlage dennoch deutlich. Die Pegelstände gingen kontinuierlich an allen Flüssen im Einzugsgebiet von Elbe und Moldau zurück. Allerdings riss die Debatte um das Krisenmanagement an den Moldau-Staudämmen nicht ab. Die slowakische Hauptstadt Bratislava entging bei der Donau-Flut offensichtlich dem Schlimmsten. Schon am Donnerstagnachmittag hatte der Wasserstand mit knapp über 10,3 Metern den bisherigen Rekordwert erreicht. Danach begann der Pegelstand wieder zu sinken. In Ungarn stieg der Wasserstand der Donau um durchschnittlich zehn Zentimeter. Zunehmend werden frühere Rekord-Pegelstände überschritten, teilte der Technische Lenkungsstab der ungarischen Regierung mit. Die Scheitelwelle soll Prognosen zufolge am Wochenende Budapest erreichen.