Panorama

Rechtsanwalt gratuliert Verteidiger "Problematische Situation"

Aus der U-Haft: Gegen Jörg Kachelmann besteht "kein dringender Tatverdacht" mehr.

Aus der U-Haft: Gegen Jörg Kachelmann besteht "kein dringender Tatverdacht" mehr.

(Foto: dpa)

Der TV-Wetterexperte Jörg Kachelmann kommt nach mehr als vier Monaten aus der Untersuchungshaft frei. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat den Haftbefehl gegen den Schweizer aufgehoben und seine "umgehende Freilassung" angeordnet. Rechtsanwalt Christian Lange, Fachanwalt für Strafrecht, äußert sich bei n-tv zu dem Fall.

n-tv: Könnte die Entlassung Kachelmanns aus der U-Haft die entscheidende Wende sein?

Lange: Die Gerichtsverhandlung zu einem späteren Zeitpunkt, die ja wohl für September geplant ist, wird vor einer Kammer des Landgerichts, vor einer großen Strafkammer, stattfinden, was natürlich ein anderes Gericht ist als das Oberlandesgericht, das jetzt die Haftentscheidung getroffen hat. Insofern ist die heutige Entscheidung mit Sicherheit keine bindende Entscheidung für das nachher erkennende Gericht, aber ich denke, nach der praktischen Erfahrung ist das die bahnbrechende Wende in dem Verfahren. Es gibt unterschiedlich hohe Anforderungen. Man muss nur einen begrenzten Tatverdacht haben, um ein Gerichtsverfahren zu eröffnen, aber man muss eine höhere Verurteilungswahrscheinlichkeit haben, um jemanden in Haft zu halten. Und wenn das Gericht heute sagt, dass dieser Tatverdacht in der Form nicht mehr aufrechtzuerhalten ist und deshalb den Haftbefehl aufhebt, dann ist das praktisch schon eine wegweisende Entscheidung für das weitere Verfahren, wo man dem Verteidigerkollegen Dr. Birkenstock nur gratulieren kann momentan.

Wie schwierig ist dieser Fall, wie schwierig ist die Beweislage?

Der Fall ist aus Anwalts- und Verteidigersicht ausgesprochen schwierig. Man hat in solchen Fällen typischerweise eine Situation, die in einer Beziehung wohl stattgefunden hat, die in abgeschlossenen Räumen stattgefunden hat und wo es wenig objektive Beweise gibt und letzten Endes niemand von den Außenstehenden dabei war und keine Zeugen irgendwas gesehen haben. Man hat eine Situation 'Aussage gegen Aussage' und es wird am Ende darauf ankommen, wem das Gericht mehr glaubt. Das ist eine ausgesprochen problematische Situation. Man hat nur einen Punkt als Verteidiger, wo man sich drauf konzentrieren muss, nämlich die Frage: Wie bekomme ich deutlich gemacht, dass mein Mandant unschuldig ist und dass das mutmaßliche Opfer, das angebliche Opfer, möglicherweise etwas Falsches sagt. Das Gericht hat hierzu heute gesagt, dass bei dem mutmaßlichen Opfer Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausgeschlossen werden könnten. Das ist, meine ich, eine ganz deutliche Ansage, auch später für die erkennende Strafkammer. Diese Aussage heißt, es bestehen ganz erhebliche Zweifel an der Aussage der Anzeige-Erstatterin, der angeblich Geschädigten.

Wie oft kommt es generell vor, dass vielleicht unschuldige Männer hinter Gittern landen? Ist das ein großes Problem mittlerweile?

Ich habe da jetzt keine statistischen Zahlen greifbar, aber das Problem in dieser Ausprägung ist gerade im Fall Kachelmann sehr deutlich geworden. Man hat eine Aussage, jemand zeigt eine Straftat an, das heißt, es gibt natürlich erstmal einen Tatverdacht, einen Anfangsverdacht. Das heißt, die Polizei muss ermitteln, die Staatsanwaltschaft muss tätig werden und bei dem hohen Strafmaß, was Mindeststrafe bei dieser vorgeworfenen Straftat ist – bei dem Anklagevorwurf geht es hier um eine Mindeststrafe von fünf Jahren – hat man sehr schnell das Problem der Untersuchungshaft. Die Justiz sagt dann, dass die Gefahr, dass der betroffene Beschuldigte sich dem Verfahren entzieht, vergleichsweise größer ist als die Chance, dass er sich dem Verfahren stellt. Dann sitzt man als Betroffener mit so einem Vorwurf schnell in Untersuchungshaft und das hat dann die entsprechend weitreichenden Folgen, die wir gerade in dem Fall hier auch in der Öffentlichkeit erlebt haben.

Kachelmann saß seit März im Gefängnis.

Kachelmann saß seit März im Gefängnis.

(Foto: dpa)

Es gibt zwei Gutachten mit unterschiedlichen Aussagen, was die Glaubhaftigkeit der Anschuldigungen betrifft. Entscheidet am Ende nur der Richter, welches Gutachten glaubhafter ist?

Am Ende entscheidet das Gericht aus freier Überzeugung. Es ist nicht nur ein Richter, sondern es werden zwei oder drei Berufsrichter und zwei Schöffen sein. Aber das Gericht muss sich damit natürlich auseinandersetzen, muss diese Aussage untersuchen anhand diverser Kriterien. Es gibt da eine umfassende Wissenschaft zu der Frage Glaubwürdigkeit, Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen. Man hat es in diesem Verfahren gesehen – es sind wohl eine ganze Reihe von Gutachten auch von Fachleuten dazu erstellt worden. Das ist schwierig zu beurteilen. Diese Aussage-gegen-Aussage-Situation ist allein immer schwierig, weil kein Außenstehender dabei gewesen ist und kein Zeuge irgendetwas dazu sagen kann. Letzten Endes wird es dann auf die Überzeugung des Gerichtes ankommen.

Wie prüft man denn, ob jemand glaubwürdig ist oder nicht?

Es gibt verschiedene Kriterien. Wenn eine Aussage zum Beispiel widersprüchlich ist. Wenn ein Belastungszeuge heute das eine erzählt und am nächsten Tag etwas anderes, dann spricht das dafür, dass zumindest eine von den Geschichten nicht wahr ist. Wenn man nicht weiß, welche nicht wahr ist, muss man im Zweifel für den Beschuldigten davon ausgehen, dass beide nicht stimmen. Das ist nur ein Beispiel. Die hier zitierten Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive, die Motivlage, warum jemand eine Anzeige macht – in so einer Beziehungsgeschichte kann es immer sein, und es kommt auch immer wieder vor, dass zum Beispiel in Scheidungsverfahren oder in Sorgerechtsverfahren für Kinder auch durchaus falsche Behauptungen aufgestellt werden, um sich selber Vorteile zu verschaffen. Wenn jemand etwas davon hat, dass der andere belastet wird, dann ist das ein Motiv und das kann natürlich auch ein Indiz dafür sein, dass eine Aussage vielleicht nicht richtig ist. Es kann aber auch umgekehrt ein Indiz sein, dass die Aussage richtig ist. Man hat das dann von Fall zu Fall zu bewerten.

Kann sich Jörg Kachelmann, wenn er aus der Untersuchungshaft kommt, frei bewegen?

Christian Lange ist Fachanwalt für Strafrecht in Köln.

Christian Lange ist Fachanwalt für Strafrecht in Köln.

In dem Moment, wo der Haftbefehl aufgehoben worden ist, kann niemand mehr Herrn Kachelmann irgendwo festhalten. Er ist ein freier Mann.

Wie steht es mit Schadensersatzansprüchen im Falle eines Freispruchs von Jörg Kachelmann?

Im Fall eines Freispruchs hat Herr Kachelmann natürlich einen Schadensersatzanspruch betreffend aller Folgen, die ihm durch diese Strafverfolgungsmaßnahmen, durch die Untersuchungshaft entstanden sind. Das ist zum einen in der Bundesrepublik leider sehr sparsam geregelt – ich meine, es sind um die 20 Euro pro Tag, das hält sich sehr im Rahmen. Soweit Herr Kachelmann wirtschaftliche Folgeschäden natürlich im Einzelnen belegen kann, die durch diese Untersuchungshaft entstanden sind, was, vermute ich, in seinem Fall eine ganze Menge sein wird, hat er auch Anspruch auf Ersatz dieser Schäden.

Quelle: ntv.de

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