Ortstermin beim Totenkopf Richter begutachtet Piratenflagge
15.09.2011, 18:26 UhrNach dem "Fluch der Karibik"-Erfolg sah man das Totenkopf-Motiv an jeder Ecke. In einer Wohnung in Chemnitz hängt die Piratenflagge immer noch im Fenster - und schreckt potenzielle Mieter ab. Das fürchtet jedenfalls der Hausbesitzer. Ein Richter will sich ein eigenes Bild vom Bedrohungspotenzial machen und lädt die Anwälte von Vermieter und Mieterin an den "Tatort".

"Durchaus dominant", aber freundlich: Der Totenkopf über dem Hauseingang.
(Foto: dpa)
Auf St. Pauli wäre sie gar nicht groß aufgefallen. Aber in Chemnitz, da kann eine Piratenflagge im Fenster direkt über der Hauseingangstür eben doch ins Auge stechen. Für "durchaus dominant" hält Richter Andreas Frei die Außenwirkung des weißen Totenkopfes auf schwarzem Untergrund. So gibt er es jedenfalls Journalisten zu Protokoll - beim Ortstermin in der Hübschmannstraße, ein paar Meter vor der Haustür, begleitet von einem ungewöhnlich großen Medienaufgebot.
Freis Sicht ist deshalb so wichtig, weil es in dem Zivilstreit darum geht, ob dem Hauseigentümer wegen des Fenstervorhangs potenzielle Mieter abgesprungen sein können. Zwei hätten im vergangenen Jahr wegen der Piratenfahne abgesagt, sagt dessen Anwalt. Deshalb habe eine Wohnung längere Zeit leergestanden. Den Schaden, der daraus entstand, beziffert der Vermieter auf 700 Euro - das sind zwei Monatsmieten.
Es geht ums Prinzip

Die Mieterin Annett K. (li.) würde die Flagge abhängen, will aber keine Gerichtskosten tragen.
(Foto: dpa)
Weil die Mieterin die Flagge trotzdem nicht abnehmen wollte, landete der Fall im vergangenen Jahr vor dem Amtsgericht Chemnitz, das in der Fahne eine "ästhetische Beeinträchtigung" sah und dem Vermieter Recht gab. Seitdem darf der Totenkopf nicht hängen. Die Mieterin ging dagegen in Berufung. Der 45-Jährigen geht es ums Prinzip - und auch ums Geld. Sie wolle sich keine Blümchengardine vorschreiben lassen, sagt sie. Gleichwohl sei sie auch zu einer gütlichen Einigung bereit: Sie würde künftig auf die Fahne verzichten, auch wenn sie dafür noch ihren Sohn überreden müsste - aber nur dann, wenn sie keine Gerichtskosten tragen müsse. Die will aber bisher auch der Vermieter nicht übernehmen, weshalb ein Vergleich nicht in Sicht ist.
So wird es am Ende wohl tatsächlich auf den Richter ankommen. Am Tatort lässt er sich noch nicht in die Karten schauen - und damit beide Streitparteien hoffen. Neben der dominanten Wirkung der Flagge auf ihn, die den Vermieter freuen dürfte, hat der Richter nämlich auch erkannt, dass es sich um ein Kindermotiv handelt: "Auf den Lichtbildern habe ich zunächst nicht gemerkt, dass das eine Kinderfahne ist." Und das spricht für die Mieterin, die zuvor stets den doch recht freundlichen Gesichtsausdruck auf der Flagge hervorgehoben hatte, während der Vermieter-Anwalt ein Symbol für "Tod, Zerstörung und Gewalt" sah.
Auch Treppenhaus wirkt abschreckend
Die Mieterin erinnert den Richter noch einmal daran, dass die Flagge vier Jahre unbeanstandet im Fenster hängen durfte, nachdem sie ihre Tochter bei einer privaten Party zum Piratenfilm "Fluch der Karibik" 2006 geschenkt bekommen habe. Dann zeigt sie auf eine kaputte Fensterscheibe, die noch nicht repariert sei, und bittet den Richter noch ins unsanierte Treppenhaus - um zu zeigen, dass potenzielle Mieter vielleicht auch aus anderen Gründen abgesprungen sein könnten. Im Haus stünden jetzt sogar drei Wohnungen leer.
Richter Frei ist geduldig. 20 Minuten nach Beginn des Ortstermins gibt er bekannt, dass er am 21. Oktober etwas verkünden wolle. Ob es ein Urteil sein wird oder er bloß einen Hinweis geben oder einen Beweisbeschluss fassen wird, steht zunächst nicht fest.
Quelle: ntv.de, dpa