Ausgrabungen in BerlinVerschollene "Entartete Kunst" entdeckt
"Undeutsch" und "entartet" - so schmähten die Nazis die Kunst der Moderne. Tausende Werke sind unter NS-Herrschaft verschwunden. Elf tauchen jetzt wie durch ein Wunder wieder auf.
Die Entdeckung bietet Stoff für einen Krimi. Als vor einigen Wochen mitten in Berlin Bauarbeiter in der Nähe der mittelalterlichen Rathausfundamente buddelten, stießen sie auf einen überraschenden Fund: Elf Skulpturen, die vor mehr als 70 Jahren von den Nazis beschlagnahmt wurden, lagerten im Schutt zerbombter Häuser. Die Bronze- und Keramikstücke waren zuletzt in der berüchtigten Ausstellung über "Entartete Kunst" von 1937 in München gezeigt worden. Danach verlor sich die Spur in Joseph Goebbels' Propagandaministerium.
Den Werken sei die Geschichte eingebrannt, sagte der Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit (SPD), bei der Vorstellung der Skulpturen im Neuen Museum auf der Museumsinsel, wo sie nun nach einer Teilrestaurierung ausgestellt werden.
Fragen über Fragen
Bei den Arbeiten für den Bau einer U-Bahnstation vor dem Roten Rathaus seien Arbeiter und Archäologen zwischen Januar und Oktober auf die Reste gestoßen, sagte Berlins Landesarchäologe Matthias Wemhoff. Als Erstes tauchte Edwin Scharffs Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes von 1921 auf. Danach folgten die Werke von Otto Baum, Marg Moll, Gustav Heinrich Wolff, Naum Slutzky und Karl Knappe sowie Teile von Keramikarbeiten von Otto Freundlich und Emy Roeder.
Wie die elf Kunstwerke an den späteren Fundort gelangten - darüber werden die Experten wohl noch lange rätseln. Fest steht, dass nach der Münchner Ausstellung rund 15.000 Gemälde, Plastiken, Möbel und Gebrauchsgegenstände in die NS-Depots wanderten. Von dort aus wurden sie gegen harte Devisen verkauft oder vernichtet. Ein kleinerer Teil gelangte in den Besitz von Kunsthändlern und wurde so vor der Zerstörung bewahrt.
Ob "krumme Idioten" oder "Kretins" - die stilisierten Figuren, wie sie vor allem zwischen 1918 und den 30er Jahren geschaffen wurden, sahen die Nazis als Ausdruck von "Verwesung" an. Auch die elf Skulpturen wurden für die Nazi-Schau beschlagnahmt, wie der frühere Berliner Museumschef Klaus-Peter Schuster, ein Fachmann für die Ausstellung von 1937, sagte. Sie tauchen auf Fotos, Katalogen und teilweise in Filmen der damaligen Zeit auf - etwa der "Kopf" von Otto Freundlich oder die "Tänzerin" von Marg Moll, die in Spielfilmen als Beispiel für die geächtete Kunst herhalten mussten.
Klärung der Besitzverhältnisse
Warum die Figuren in den Resten der Kellerräume der Königstraße 50 lagerten, bleibt offen. Die Experten der Berliner Museen stützen sich auf eine noch vage Indizienkette. Die heutige Rathausstraße war bis zum Zweiten Weltkrieg eine der lebendigsten Straßen Berlins. Die Grünfläche zwischen Marienkirche und Rotem Rathaus war damals dicht bebaut. In dem Areal wurde im 13. Jahrhundert das Berliner Rathaus errichtet.
Einen Hinweis gibt die Liste der Hausbewohner. Das Haus gehörte bis 1942 der Jüdin Edith Steinitz. Danach steht das Deutsche Reich als Eigentümer im Grundbuch. Unter den Mietern waren auch Rechtsanwälte jüdischer Herkunft. Doch nur ein Mieter scheint eine Spur zu bieten: Erhard Oewerdieck (1893-1977) hatte zusammen mit seiner Frau Juden vor der Verfolgung Unterschlupf gewährt. In der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem wurde er deshalb als "Gerechter unter den Völkern" geehrt. Denkbar sei, dass Oewerdieck, der sich auch als Treuhänder von NS-Verfolgten betätigte, die Skulpturen aufbewahrte. In dem Bauschutt wurde auch Oewerdiecks Tresor gefunden.
Zwar sind archäologische Funde Eigentum des Landes Berlin. Doch der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, betonte, die Besitzverhältnisse sollten soweit wie möglich aufgeklärt werden.