ElBaradei wirft hin Ägypten ist im Ausnahmezustand
14.08.2013, 21:56 UhrSicherheitskräfte räumen zwei Protestcamps der Mursi-Anhänger und versetzen in Ägypten damit in den Ausnahmezustand. Offiziellen Angaben zufolge werden landesweit 278 Menschen getötet und nahezu 1500 verletzt. Die Anhänger des gestürzten Präsidenten sprechen von mehr als 2000 Toten. Vizepräsident ElBaradei legt aus Protest sein Amt nieder.
Nach blutigen Unruhen und der Verhängung des Notstands in Ägypten hat der Nobelpreisträger Mohammed ElBaradei sein Amt als Vizepräsident niedergelegt. "Ich habe meinen Rücktritt eingereicht, weil ich nicht die Verantwortung für Entscheidungen tragen kann, mit denen ich nicht einverstanden bin", sagte er nach einem Bericht des Nachrichtensenders Al-Arabija.
Die Polizei hätte die Protestlager der Islamisten in Kairo nicht mit Gewalt räumen müssen. Es seien noch nicht alle friedlichen Alternativen ausgeschöpft gewesen, erklärte ElBaradei. "Bedauerlicherweise werden diejenigen, die zu Gewalt und Terror aufrufen, von dem, was heute geschehen ist, profitieren", heißt es in dem Rücktrittsschreiben ElBaradeis an Übergangspräsident Adli Mansur.
Bei den Ausschreitungen wurden landesweit mindestens 278 Menschen getötet und nahezu 1500 verletzt. Das meldeten die staatlichen Medien unter Berufung auf die Gesundheitsbehörden. Unter den Toten seien auch 43 Polizisten. Es wurde jedoch eine weiter steigende Zahl der Opfer befürchtet.
Laut dem Sprecher des Gesundheitsministeriums wurden auf dem Rabaa-al-Adawija-Platz 61 Menschen getötet und 21 auf dem Al-Nahda-Platz. Nach dem Beginn der Räumung der Protestlager hatte die Gewalt rasch auf zahlreiche andere Städte übergegriffen. In der nördlichen Hafenstadt Alexandria gab es schwere Zusammenstöße, es waren lang anhaltende Schusswechsel zu hören. Auch vom Suez-Kanal und den Provinzen Assiut, Menia, Ismailija und Fajum wurden blutige Unruhen gemeldet. Unter den Toten ist auch ein britischer Journalist. Der Sender Sky News berichtete vom Tod seines Kameramanns Mick Deane. Er sei erschossen worden.
Die Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi hatten dagegen schon am Nachmittag von mehr als 2200 Toten und 10.000 Verletzten gesprochen. Mansur rief für einen Monat den Notstand aus.
Der Ausnahmezustand räumt Behörden und Sicherheitskräften Sonderrechte beim Vorgehen gegen Proteste und Versammlungen ein. Die Präsidentschaft begründete die Maßnahmen mit der "Gefahr für Sicherheit und Ordnung" durch "gezielte Sabotage und Angriffe auf private und öffentliche Gebäude und den Verlust an Leben durch extremistische Gruppen". Mansur habe die "Streitkräfte in Kooperation mit der Polizei beauftragt, alle notwenigen Maßnahmen zu ergreifen, um Sicherheit und Ordnung zu wahren und öffentliches und privates Eigentum sowie das Leben der Bürger zu schützen", hieß es weiter.
Tochter von Anführer getötet
Sicherheitskräfte hatten am frühen Morgen mit der Räumung zweier Protestlager von Mursis Anhängern begonnen. Der Rabaa-al-Adawija-Platz war das Hauptquartier der Demonstranten, er wurde von den Mursi-Anhängern seit mehr als einem Mo nat besetzt gehalten. Daneben wurde auch der Al-Nahda-Platz in Kairo geräumt.
Bewohner des Viertels Nasr-City berichteten am Morgen, die Einsatzkräfte hätten rund um die Zeltstadt der Mursi-Anhänger Tränengas-Granaten und Gummigeschosse abgefeuert. Die Muslimbrüder riefen die Ägypter dazu auf, "auf die Straße zu gehen, um dieses Massaker zu stoppen".
Unter den Opfern ist nach Angaben der Muslimbruderschaft auch die Tochter eines ihrer Anführer. Die siebzehnjährige Asmaa al-Beltagui sei bei den Zusammenstößen auf dem Rabaa-al-Atawija-Platz getötet worden. Der Tochter des polizeilich gesuchten Anführers Mohammed al-Beltagui wurde laut einer Sprecherin der Protestbewegung in die Brust und in den Rücken geschossen.
Räumung mit Ansage
Das Innenministerium ordnete die Einstellung des Zugverkehrs in ganz Ägypten an, offensichtlich um die Bewegungsfreiheit möglicher Protestgruppen einzuschränken. Augenzeugen berichteten, die Islamisten hätten Steine und Flaschen auf die Polizei geworfen. Ein dpa-Reporter sah, wie Demonstranten im Nasr-City-Viertel auf Polizisten feuerten.
Das Innenministerium veröffentlichte wenige Minuten nach Beginn der Operation eine Erklärung an die Demonstranten. Darin heißt es, für die beiden Zeltlager am Al-Nahdha-Platz im Stadtteil Giza und vor der Rabea-al-Adawija-Moschee in Nasr-City gebe es jeweils nur noch einen einzigen Ausgang. Alle anderen Straßen seien gesperrt worden. Wer jetzt das Lager verlasse, werde nicht festgenommen, wenn kein Haftbefehl vorliege.
Auf dem Rabaa-al-Adawija-Platz, wo sich das größere der beiden Protestcamps befindet, verstärkten Dutzende Freiwillige die Barrikaden mit Ziegeln und Sandsäcken. Die Regierung wirft den Islamisten vor, in den Protestcamps Frauen und Kinder als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.
Appell aus Berlin
Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel fürchtet einen gesellschaftlichen Flächenbrand im arabischen Raum. Die blutige Eskalation bereite ihm "allergrößte Sorge", sagte Niebel zu "Welt Online": "Ägypten ist ein Schlüsselland für die Region - der Arabische Frühling darf hier nicht scheitern, sonst hätte das unabsehbare Folgen weit über das Land hinaus." Alle Seiten müssten die Gewalt dringend einstellen.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sei aufgrund der aktuellen Umstände eingeschränkt, sagte Niebel. Ministeriumskreisen zufolge gilt dies vor allem für den Großraum Kairo, wo Mitarbeiter tageweise von zuhause aus arbeiteten, da ihre Büros je nach Sicherheitslage zwischenzeitlich geschlossen blieben. Deutschland setze sich aber weiterhin so gut wie möglich für Demokratieförderung, Menschenrechte, verbesserte Lebensbedingungen und Initiativen gegen Jugendarbeitslosigkeit ein, fügte Niebel hinzu.
Besser nicht mehr nach Ägypten reisen
Auch Außenminister Guido Westerwelle forderte alle Seiten zum Gewaltverzicht auf. "Jedes weitere Blutvergießen in Ägypten muss verhindert werden", sagte Westerwelle in Berlin. Die Übergangsregierung müsse "friedliche Proteste zulassen". Ebenso erwarte Deutschland von den anderen politischen Kräften, "dass sie sich klar von Gewalt distanzieren, dass sie nicht zu Gewalt aufrufen und auch nicht gewalttätig handeln".
Westerwelle zeigte sich "extrem besorgt" angesichts der Lage in Ägypten und rief deutsche Staatsbürger "mit großem Nachdruck" auf, den Reisehinweisen des Auswärtigen Amtes "dringend Folge zu leisten". Bürger könnten diese im Internet einsehen. Das Außenamt rät dringend von Reisen in das nordafrikanische Land ab, insbesondere in das Nildelta, nach Kairo, Oberägypten und auf den Sinai. Dies gelte derzeit nicht für die Touristengebiete am Roten Meer und auf der Sinai-Halbinsel im Küstenstreifen zwischen Scharm el Scheich und Nuwaiba. Allerdings verhängte die ägyptische Regierung Ausgangssperren auch für Scharm el Scheich und Nuwaiba. Insgesamt gilt das Ausgehverbot für zwölf Provinzen inklusive Kairo. Außerdem wurde der Notstand ausgerufen. "Wir raten dringlich dazu, Demonstrationen und Menschenansammlungen in Ägypten in dieser aufgeheizten Situation zu meiden", sagte Westerwelle.
Quelle: ntv.de, dpa