Sicherheitsrat will Angriff untersuchen Ägypten öffnet Grenze zu Gaza
01.06.2010, 14:18 Uhr
Die ägyptische Grenze zum Gazastreifen ist wieder offen für Palästinenser.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Ägypten öffnet nach dem Angriff auf einen Hilfskonvoi seinen Grenzübergang zum Gazastreifen. Derweil wächst der Druck auf Israel: Der UN-Sicherheitsrat fordert eine Untersuchung zu dem blutigen Einsatz gegen einen Gaza-Hilfskonvoi.
Ägypten hat seine Grenze zum Gazastreifen geöffnet und damit die von Israel verhängte Blockade des Küstenstreifens gelockert. Bis auf weiteres könnten Palästinenser die Grenze ungehindert passieren, sagten ägyptische und palästinensische Behördenvertreter. Der ägyptische Grenzübergang Rafah ist der einzige zum Gazastreifen, der nicht vollständig von Israel kontrolliert wird. Seit der Machtübernahme der radikalen Hamas in dem Palästinensergebiet vor drei Jahren hat Ägypten den Übergang nur selten geöffnet.
Die Grenzöffnung folgte einen Tag nach dem gewaltsamen Militäreinsatz Israels gegen eine Schiffsflotte mit Gütern für den Gazastreifen, bei dem mindestens neun Aktivisten getötet und etwa 30 verletzt wurden. Das Abfangmanöver löste weltweit einen Sturm der Entrüstung aus. Selbst enge Verbündete Israels äußerten Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte die Gewalt und forderte eine unparteiische Untersuchung.
Deutsche zurück
Unterdessen sind die beiden Linke-Bundestagsabgeordneten Annette Groth und Inge Höger wieder in Deutschland. Die beiden Politikerinnen landeten nach Angaben eines Fraktionssprechers mit einem Flugzeug in Berlin. Zusammen mit ihnen kehrten auch drei weitere Deutsche zurück, die sich an der "Solidaritätsflotte" für den Gazastreifen beteiligt hatten. Dazu gehört auch der ehemalige Linke-Abgeordnete Norman Paech.
Nach neuesten Angaben des Auswärtigen Amtes waren insgesamt elf Deutsche an Bord der verschiedenen Schiffe. Zum Schicksal der weiteren sechs Bundesbürger gibt es noch keine genauen Angaben. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zeigte sich erleichtert darüber, dass die fünf Aktivisten zurückkehren konnten. Zugleich forderte er "unverzüglichen konsularischen Zugang" zu den sechs anderen. Die deutsche Botschaft in Tel Aviv bemühte sich um weitere Informationen.
UN-Sicherheitsrat will Untersuchung

Der palästinensische UN-Botschafter Riyad Monsour verlässt den Saal, als der israelische Botschafter Daniel Carmon zu reden beginnt.
(Foto: AP)
Der UN-Sicherheitsrat fordert eine Untersuchung zu dem weltweit verurteilten israelischen Militäreinsatz gegen eine Hilfsflottille für den Gazastreifen. Eine "unparteiische, glaubwürdige und transparente" Untersuchung, die internationalen Kriterien entspreche, müsse unverzüglich beginnen, erklärte der derzeitige Vorsitzende des Sicherheitsrats, der Mexikaner Claude Heller. Zugleich forderte das Gremium die sofortige Freilassung der von Israel in Gewahrsam genommenen Zivilisten sowie ihrer Schiffe. Die nicht bindende Erklärung des Sicherheitsrates wurde nach mehr als zwölf Stunden Beratungen einstimmig angenommen.
Mitglieder des Weltsicherheitsrates hatten zuvor den blutigen Militäreinsatz gegen die Gaza-Hilfsflotte verurteilt. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu bezichtigte Israel eines "schweren Verbrechens". Es gebe keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung für die Tat, sagte Davutoglu bei einer Dringlichkeitssitzung des höchsten UN-Gremiums. Die USA erklärten sich "tief besorgt" über die Entwicklung, übten aber auch Zweifel an dem Vorgehen der Aktivisten. Es gebe bessere Wege, humanitäre Güter an der Gazaküste anzuliefern, sagte der stellvertretende US-Botschafter Alejandro Wolff. Bei der Kommandoaktion israelischer Elitesoldaten vor Morgengrauen wurden mindestens neun Aktivisten getötet. Mehr als 50 weitere Personen an Bord der "Gaza-Solidaritätsflotte" sowie sieben israelische Soldaten wurden verletzt, als das Militär von Booten und Hubschraubern aus sechs Schiffe enterte.
Großbritannien forderte Israel auf, eine Erklärung für den Verlust von Menschenleben zu liefern. Allerdings sei das Drama im Mittelmeer "kein isoliertes Ereignis". Vielmehr zeige es deutlicher denn je, dass Israel die Blockade des Gazastreifens aufgeben müsse, sagte der britische UN-Botschafter Mark Lyall Grant. Sein österreichischer Amtskollege, Thomas Mayr-Harting, machte Israel wegen mangelnder Einhaltung von UN-Resolutionen für die Situation verantwortlich. Er forderte die Regierung in Tel Aviv auf, sich an die internationalen Gesetze zu halten.
Israel will weitere Schiffe stoppen
Der stellvertretende israelische UN-Botschafter Manuel Carmon verteidigte sein Land mit den Worten: "Diese Flotille war alles andere als eine echte humanitäre Mission." Vielmehr hätten die Aktivisten Israel provozieren wollen. Darum hätten sie auch das Angebot der Behörden zurückgewiesen, die Hilfsgüter auf dem Landweg in den Gazastreifen transportieren zu lassen. Carmon betonte: "Außerdem gibt es keine humanitäre Krise in Gaza."
Israel warnte außerdem, dass es jedes weitere Hilfsschiff für den Gazastreifen stoppen werde. "Wir erlauben es Booten nicht, nach Gaza zu fahren, und die dort entstandene Terroristenbasis zu versorgen, die das Herz Israels bedroht", sagte der stellvertretende Verteidigungsminister Matan Wilnai dem staatlichen Rundfunk. Die Organisatoren der "Flottille der Freiheit", die in der Nacht zu Montag gewaltsam von der israelischen Armee gestoppt worden war, hatten angekündigt, dass zwei weitere Schiffe auf dem Weg in den Gazastreifen seien. Bei dem Militäreinsatz waren mindestens neun pro-palästinensische Aktivisten getötet worden.
Israel brachte bislang 480 internationale Aktivisten ins Gefängnis. Der israelische Rundfunk meldete, Sicherheitskräfte hätten sie im Verlauf der Nacht in das Gefängnis Beerscheva in der Negev-Wüste transportiert. Sie sollen dort verhört werden. 48 weitere Aktivisten seien zum internationalen Flughafen Ben Gurion gebracht worden und sollen direkt abgeschoben werde. Auch der schwedische Bestseller-Autor Henning Mankell befindet sich nach der Erstürmung der "Gaza-Hilfsflotte" in israelischem Gewahrsam. Wie der Rundfunksender SR meldet, muss sich Mankell wie die zehn anderen schwedischen Aktivisten entscheiden, ob er Israel sofort verlassen oder sich dort vor Gericht stellen lassen will. Der für die innere Sicherheit zuständige Minister Jitzak Aharonovitch kündigte an, Personen, die unter Verdacht stünden, an der Gewalt beteiligt gewesen zu sein, werde der Prozess gemacht.
Seit der Machtübernahme der radikalislamistischen Hamas vor drei Jahren kontrolliert Israel die Grenzen zum Gazastreifen streng und lässt nur begrenzt Hilfslieferungen in das Gebiet. Der jüngste Vorfall ereignete sich nach Angaben der Organisation Free Gaza in internationalen Gewässern im Mittelmeer - etwa 140 Kilometer vor der israelischen Küste. Die "Gaza-Flotte" wollte trotz der von Israel verhängten Seeblockade rund 10.000 Tonnen Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen. Israel hatte angeboten, die Waren im israelischen Hafen von Aschodod zu löschen.
Demonstrationen gegen Israel
Weltweit kam es zu Protesten gegen Israel. Allein in der Türkei gingen Tausende auf die Straße. Am Rande einer Kundgebung in Paris kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen. Einzelne Demonstranten versuchten, sich der israelischen Botschaft zu nähern. In Straßburg setzte die Polizei Tränengas ein. Weitere anti-israelische Demonstrationen wurden aus Lille und Toulouse gemeldet. Vor der israelischen Botschaft in Athen kam es ebenfalls zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die griechische Polizei setzte Tränengas ein, um eine Gruppe von rund 100 Randalierern auseinander zu treiben, die vor der Botschaft gegen die israelische Kommandoaktion demonstrierten und dabei die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen versuchten.
Tote im Gazastreifen
Unterdessen sprang die Gewalt auch auf den Gazastreifen über. Die israelische Armee tötete am Dienstag bei zwei Angriffe fünf militante Palästinenser. Drei Männer wurden nach Augenzeugenberichten von einer israelischen Rakete getroffen, als sie gerade dabei waren, Raketen auf Israel abzufeuern. Eine israelische Militärsprecherin bestätigte den Einsatz.
Zuvor hatte die Armee zwei militante Palästinenser am Rande des Gazastreifens erschossen. Die Männer hatten nach Angaben eines Armeesprechers versucht, Sprengsätze am Grenzzaun zwischen Israel und dem Gazastreifen zu legen. Augenzeugen berichteten von einem heftigen Feuergefecht im Grenzgebiet östlich von Chan Junis im Süden des Palästinensergebiets am Mittelmeer.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa/AFP/rts