Politik

Osama bin Laden ist tot "Al-Kaida gewinnt einen Märtyrer"

Al-Kaida wird auch ohne die Leitfigur Osama bin Laden fortbestehen. Für Britta Petersen, Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung im pakistanischen Lahore, ist es daher fraglich, ob der Terrorchef tot oder lebendig gefährlicher ist.

n-tv.de: Bisher hieß es immer, Bin Laden verstecke sich im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Nun ist er in Abbottabad getötet worden, wo sich unter anderem die pakistanische Militärakademie befindet. Welche Schlüsse lässt das zu?

Britta Petersen: Ich glaube, es ist ziemlich schwierig, daraus eine konkrete Schlussfolgerung zu ziehen. Allgemein ist immer gesagt worden, dass Bin Laden sich zwischen Afghanistan und Pakistan hin- und herbewegt. In Islamabad hat es in der vergangenen Woche Gerüchte gegeben, dass er in der Stadt sein sollte, um sich medizinisch behandeln zu lassen. Deshalb vermute ich, dass Bin Laden sich nicht dauerhaft in der Villa in Abbottabad aufgehalten hat, sondern dort nur für ein paar Tage gewesen ist. Anders hätte er die letzten zehn Jahre auch kaum überlebt.

Britta Petersen leitet seit dem 1. Juli 2010 das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in im pakistanischen Lahore. Als Gründerin der Initiative Freie Presse e.V. (IFP) war sie von 2003 bis 2005 in Kabul tätig.

Britta Petersen leitet seit dem 1. Juli 2010 das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in im pakistanischen Lahore. Als Gründerin der Initiative Freie Presse e.V. (IFP) war sie von 2003 bis 2005 in Kabul tätig.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Es hat immer wieder geheißen, es gibt in Pakistan Kräfte, die ihm Schutz gewähren. Konnte er sich völlig frei bewegen?

Man muss sich die Entwicklung der letzten zehn Jahre anschauen. Spätestens seit der frühere Geheimdienstchef Ashfaq Kayani die Armeeführung übernommen hat, bekämpft die Armee Al-Kaida wirklich. Das ist zu anderen Zeiten aber sicher auch anders gewesen.

Zu Musharrafs Zeiten galt Pakistan als Verbündeter der USA. Nach dem Machtwechsel sah es dann anders aus. Nun hat das pakistanische Militär betont, Bin Ladens Tötung sei eine gemeinsame Aktion mit den Amerikanern gewesen. Ist das ein Zeichen für eine Wiederannäherung?

Pakistan ist auch nach dem Sturz Musharrafs ein Verbündeter der USA geblieben. Allerdings war das Verhältnis  in den letzten Wochen nach dem Fall des CIA-Mitarbeiters Raymond Davis, der in Lahore zwei Pakistaner getötet hatte, auf einem Tiefpunkt angekommen.  Man versucht nun, aus dieser Krise wieder herauszukommen.

Die innenpolitische Lage in Pakistan ist angespannt, ist es vielleicht auch der Versuch, wenigstens an einer Front Ruhe zu bekommen?

Das glaube ich nicht. Es hat meiner Meinung nach mehr mit den verstärkten amerikanischen Aktivitäten in der Region zu tun und mit dem bevorstehenden Teilabzug aus Afghanistan. Es war wahrscheinlich einfach notwendig, dass die USA und Pakistan irgendwie zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Die innenpolitischen Probleme bleiben davon weitgehend unberührt. Es ist sogar möglich, dass Al-Kaida jetzt erst recht das Haupt erheben wird, um zu zeigen, dass sie zwar Osama verloren haben, aber noch lange nicht erledigt sind.

Wie wurde die Todesnachricht in Pakistan aufgenommen?

Pakistan ist ein islamisches Land, das natürlich auch Kräfte hat, die mit Al-Kaida sympathisieren. Insofern ist das eine zweischneidige Geschichte, deshalb bemüht sich die Regierung ebenso wie das Militär, das Thema nicht allzusehr in den Vordergrund zu stellen. Die Beteiligung Pakistans wird nicht betont, es wird vielmehr weitgehend als eine Aktion der Amerikaner dargestellt. Nun  muss man mal abwarten, wie sich die öffentliche Meinung hier in den kommenden Tagen entwickelt.

Es gibt Bilder aus den USA, auf denen Amerikaner Bin Ladens Tod feiern. Befürchten Sie, dass es in Pakistan doch noch starke Reaktionen geben könnte?

Man weiß natürlich nie, ob sich daraus noch Unruhe entwickeln wird. Ich rechne eigentlich schon mit größeren Menschenmengen, die Osama bin Laden als Märtyrer feiern werden. Denn das ist sicher ein großer Erfolg für die Amerikaner, aber ob Bin Laden tot oder lebendig gefährlicher ist, ist natürlich noch die Frage. Die Bewegung gewinnt einen Märtyrer als Symbolfigur. Er ist ja in den letzten Jahren kaum noch aufgetreten, weil er offenbar schwere gesundheitliche Probleme hatte. Ich kann mir vorstellen, dass das Al-Kaida jetzt wieder neuen Schwung geben wird.

Im Westen wird stark über die Nachfolger spekuliert und über die Auswirkungen, die Bin Ladens  Tod auf Al-Kaida haben wird. Welche Entwicklung vermuten Sie?

Ich glaube, Al-Kaida ist im Westen falsch eingeschätzt worden. Das ist ja mehr eine Idee, als eine zentral organisierte Vereinigung. Was Al-Kaida heute so gefährlich macht, ist, dass es ein Netzwerk ist, was überall auf der Welt Zellen hat, die vollkommen unabhängig voneinander agieren und auch nicht mehr auf Osama bin Laden als zentralen Führer angewiesen sind. Insofern ist das eine Scheindiskussion, solange die Idee eines internationalen Dschihad gegen den Westen und vor allem gegen die Amerikaner in der Welt ist und Futter erhält, wird Al-Kaida so schnell nicht in Vergessenheit geraten.

War es aus Ihrer Sicht richtig, Bin Laden zu töten?

Vor dem heutigen Tag habe ich immer geglaubt, der Hauptgrund dafür, dass man ihn weder tötet noch fängt, ist, dass man aus ihm keinen Märtyrer machen will. Vielleicht hat man sich nun doch dazu entschlossen, weil die Amerikaner unbedingt einen Erfolg brauchten. Möglich ist, dass Bin Laden getötet nun doch wertvoller ist, als er das vorher war. Sonst wäre er vielleicht sang- und klanglos einfach eines natürlichen Todes gestorben.

Mit Britta Petersen sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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