Sarrazin weiter im Vorstandssessel Bundesbank vertagt Entscheidung
01.09.2010, 18:57 Uhr
Hängenden Hauptes verlässt Sarrazin das Hauptgebäude der Bundesbank.
(Foto: dpa)
Der Druck ist immens, doch die Bundesbank zaudert: Polit-Provokateur Thilo Sarrazin bleibt vorerst Vorstand der Notenbank. Die SPD indes will ihr umstrittenes Parteimitglied rasch loswerden und erwägt ein Schnellverfahren gegen den ehemaligen Berliner Finanzsenator.

Mitarbeiter des Sächsischen Landtages entfernen im Plenarsaal während der Rede des Bundespräsidenten Plakate der NPD-Fraktion.
(Foto: dpa)
Die Bundesbank hat die Entscheidung über einen Rauswurf ihres Vorstandsmitglieds Thilo Sarrazin trotz hohen öffentlichen Drucks abermals aufgeschoben. Wie ein Sprecher der Bundesbank in Frankfurt sagte, dauern die Gespräche zwischen dem Vorstand und Sarrazin über mögliche Folgen seiner umstrittenen Äußerungen zu Juden und muslimischen Einwanderern an. "Vor Donnerstag ist nicht mit einer Entscheidung zu rechnen", sagte der Sprecher nach einer Sitzung des Vorstands. Beide Seiten hätten Stillschweigen über den Inhalt der Gespräche vereinbart. Dem Vernehmen nach liegt die Verzögerung daran, dass sich Bundesbank-Präsident Axel Weber auf eine Sitzung des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag vorbereiten muss.
Sarrazin sieht sich Rücktrittsforderungen aus allen politischen Lagern ausgesetzt. Die Bundesbank hatte sich von dem früheren Berliner Finanzsenator, der seit Mai vergangenen Jahres in ihrem Vorstand sitzt, zu Wochenbeginn bereits mit ungewöhnlich scharfen Worten distanziert und den 65-jährigen zum Rapport bestellt.
"Verantwortungsloser Unsinn"

Bundesbank-Chef Weber hat mit Finanzminister Schäuble telefoniert. Was sie wohl vereinbart haben?
(Foto: dpa)
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist der Ansicht, Sarrazin habe seine Pflichten als Vorstandsmitglied der Notenbank verletzt. Seine Thesen seien "verantwortungsloser Unsinn". Es sei jedoch der Bundesbank alleine vorbehalten zu entscheiden, wie sie mit ihrem Vorstand umgehen wolle, sagte Schäuble. Aus rechtlicher Sicht ist eine Amtsenthebung Sarrazins schwierig. Schäuble mahnte deshalb zur Umsicht. Es gehe im Umgang mit der Affäre auch darum, "sehr klug die Autonomie der Bundesbank" zu beachten. Er habe selbst mit Bundesbankpräsident Weber über die Personalie Sarrazin gesprochen. "Es wird Sie nicht überraschen, dass ich nicht sage, was wir besprochen haben." Am Wochenende hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel der Bundesbank indirekt nahegelegt, sich von Sarrazin zu trennen.
Sarrazin hat einen Rücktritt wegen seiner umstrittenen Thesen bislang kategorisch abgelehnt. Die Bundesbank hatte ihn am Montag bereits gerügt, aber auch da keine Entscheidung über die weitere Zusammenarbeit getroffen. Der Vorstand räumte ihm die Möglichkeit ein, sich zu den Vorwürfen zu äußern.
Novum in der Geschichte der Bundesbank
Wie die Bundesbank das Vorstandmitglied feuern könnte, ist juristisch umstritten. In der mehr als 50-jährigen Geschichte der Notenbank gab es einen solchen Fall noch nicht. Das Bundesbankgesetz schweigt sich dazu aus. Allerdings gibt es in den individuellen Arbeitsverträgen der Vorstandsmitglieder einen Passus, wonach der Bundespräsident auf Antrag des Gesamtvorstandes eines seiner Mitglieder wegen "schwerer Verfehlungen" entlassen kann.
SPD will Sarrazin loswerden
In der Berliner SPD wird derweil über ein verkürztes Ausschlussverfahren gegen Sarrazin nachgedacht. Die Entscheidung könnte am kommenden Montag auf der nächsten Sitzung des Landesvorstandes fallen. Ein beschleunigtes Verfahren würde bedeuten, dass binnen drei Monaten über einen Parteiausschluss entschieden werden müsste und Sarrazins Rechte als Parteimitglied in dieser Zeit ruhen würden. Das letzte Parteiordnungsverfahren, das Sarrazin im März überstanden hatte, dauerte wesentlich länger.
Allerdings findet das Parteiausschlussverfahren nicht überall in der Partei Freunde. Parteichef Sigmar Gabriel sagte, auch Partei-Mitglieder stellten die Frage, ob man Kritik an der Integrationspolitik nicht mehr äußern dürfe. Bei Sarrazin gehe es aber um das Menschenbild: "Wer so tut, als sei nur einer schuldig und es wären immer nur die Muslime und das wäre vererbt - das ist eine ziemlich wahnwitzige Vorstellung." Im Übrigen habe Sarrazin "jede Chance, sich zu korrigieren".
Bundestagspräsident Norbert Lammert kritisierte die Debatte um Sarrazin als nicht ganz ehrlich: "Auch wenn die Tonlage seiner Argumentation ärgerlich und die Neigung zur Verallgemeinerung irritierend ist, ersetzt eine wohlfeile Empörung nicht die ehrliche Auseinandersetzung mit offensichtlichen Fehlentwicklungen bei Migration und Integration, die viel zu lange verdrängt worden sind."
Sarrazin ausgeladen
Unterdessen wurde Sarrazin ist vom Internationalen Literaturfestival in Berlin ausgeladen. Festivalleiter Ulrich Schreiber sagte bei der Vorstellung des Programms, man habe sich entschieden, Sarrazin nicht innerhalb des Festivals zu präsentieren. Hintergrund sind Meinungsverschiedenheiten zwischen den Organisatoren. Nun wird überlegt, die geplante Buchvorstellung vor oder nach dem Festival (15. bis 25. September) zu machen. Veranstalter wird dann nicht das Festival, sondern die Peter-Weiss-Stiftung für Kunst und Politik sein. Die Stiftung gehört zu den Trägern des Festivals, Schreiber ist ihr Vorstand.
Quelle: ntv.de, rts/dpa/AFP