"Beschädigt unsere Demokratie" Bundesrat billigt neues Wahlrecht
14.10.2011, 12:39 Uhr
Übergabe: Seehofer folgt auf Kraft als Bundesratspräsident.
(Foto: REUTERS)
Mit den Stimmen von Union und FDP winkt auch der Bundesrat das umstrittene neue Wahlrecht durch. Die SPD hält das Gesetzt für "verfassungsrechtlich bedenklich" und will in Karlsruhe dagegen klagen - mit Grünen und Linken zusammen. Das derzeitige Wahlrecht hat das Verfassungsgericht für ungültig erklärt.
Der Bundesrat hat die von der Opposition scharf kritisierte Reform des Wahlrechts mit der Mehrheit der schwarz-gelben Koalition gebilligt. Die Reform soll den Effekt des so genannten negativen Stimmgewichts eindämmen. Das Verfassungsgericht hatte 2008 eine solche Änderung angemahnt. Ob die Reform Bestand haben wird, ist allerdings noch offen: SPD und Grüne hatten schon vor dem Votum angekündigt, vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen das neue Wahlrecht klagen zu wollen.
Die rheinland-pfälzische Staatsministerin Margit Conrad kritisierte das neue Wahlrecht als "verfassungsrechtlich bedenklich". Die Änderung schwäche das Problem des negativen Stimmgewichts allenfalls ab, beseitige es aber nicht. Die Ministerin kritisierte zudem, dass die Bundesregierung aus Union und FDP bei der Reform nicht zu einer Einigung mit der Opposition bereit gewesen sei. Dies sei "kein gutes Signal für das Vertrauen in das Wahlsystem".
SPD empört
Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, übte ebenfalls scharfe Kritik an der Entscheidung. "Die SPD ist überzeugt, dass das neue Wahlrecht verfassungswidrig ist", teilte er mit. "Wer eine so zentrale Frage im Konflikt durchsetzt, beschädigt unsere Demokratie." Es sei falsch, dass die Koalition nicht bereit gewesen sei, das Problem der verfassungswidrigen Überhangmandate zu lösen. "Die Koalition missbraucht das Wahlrecht als Machtrecht. Das ist eine beispiellose Respektlosigkeit gegenüber den Wählerinnen und Wählern", sagte Oppermann.
Die Reform soll das Problem des negativen Stimmgewichts beseitigen: Wenn in einem Bundesland eine Partei Überhangmandate erhält, konnte bislang der Fall eintreten, dass sie insgesamt einen Sitz im Bundestag verliert, obwohl ihr Zweitstimmenanteil gestiegen ist. Mit dem neuen Gesetz wird die Verbindung von Landeslisten einer Partei abgeschafft, die als Ursache für diesen unerwünschten Effekt gilt.
Seehofer neuer Präsident
Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung von 2008 eine Abschaffung des negativen Stimmengewichts angemahnt, und zwar eigentlich bis zum 30. Juni diesen Jahres. Die Frist verstrich auch deshalb, weil es zwischen Union und FDP zunächst Differenzen über die Wahlrechtsreform gab.
Der Bundesrat wählte außerdem Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer einstimmig zu seinem neuen Präsidenten. Der CSU-Chef wird Nachfolger von Nordrhein-Westfalens Regierungschefin Hannelore Kraft (SPD). Nach dem üblichen Turnus wird Seehofer den Bundesrat für ein Jahr führen. Offizieller Beginn seiner Amtszeit ist am 1. November. In der Funktion als Präsident lösen sich die Ministerpräsidenten in der Reihenfolge der Einwohnerzahl ihrer Länder ab. Im nächsten Jahr soll Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann als erster grüner Bundesratspräsident folgen.
Quelle: ntv.de, tis/AFP/dpa