Politik

Soldat spricht über Trauma "Das ist sehr unangenehm"

Zwei Bundeswehr-Soldaten auf Posten in der nordafghanischen Provinz Kundus.

Zwei Bundeswehr-Soldaten auf Posten in der nordafghanischen Provinz Kundus.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der 30-jährige Feldjäger war in Dschibuti, im Kosovo und zuletzt 2008 und 2009 im afghanischen Masar-i-Scharif im Einsatz. Seinen echten Namen möchte der Hauptfeldwebel nicht nennen. Und auch über ein Thema will der Feldjäger nicht näher reden: Afghanistan - und was dort passiert ist. Er spricht über Alpträume und Schlaflosigkeit, über Hemmschwellen und über die Ängste von gestandenen Soldaten. Und über das posttraumatische Belastungssyndrom PTBS, unter dem er leidet.

n-tv.de: Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass Sie Hilfe brauchen?

Das war im Zuge der Anschlagsserie in Afghanistan am Karfreitag letzten Jahres, da war ich schon lange wieder zurück in Deutschland. Das war der Knackpunkt im wahrsten Sinne des Wortes, als mir klar wurde: Irgendetwas ist mit mir nicht in Ordnung, irgendetwas stimmt da nicht. Ich war monatelang vorher immer wieder krank, war eine Woche im Dienst, dann wieder eine Woche zuhause, und dieser Rhythmus pegelte sich ein. Als dann die zwei Anschläge stattfanden wurde ich von einer Stunde auf die andere krank. Am nächsten Tag ging ich zum Truppenarzt. Der wunderte sich, dass ich schon wieder da bin, untersuchte mich und stellte Ekzeme an meinem Rücken fest, was untypisch für mich ist. Das war der Moment, als ich mich dem Arzt geöffnet habe. Ihm habe ich dann gesagt, dass ich mich seit Monaten mit Schlaflosigkeit herumquäle, mit Kraftlosigkeit, keinen Antrieb mehr habe, keine Motivation, dass ich gereizt bin. Häufig gereizt, was sich auch familiär äußerte. Dort habe ich dann auch den Wunsch geäußert, dass sich ein Fachmann das Ganze mal anschaut.

Bei den Anschlägen am Karfreitag 2010 nahe Kundus kamen drei Bundeswehr-Soldaten ums Leben, acht wurden teils schwer verwundet.

Bei den Anschlägen am Karfreitag 2010 nahe Kundus kamen drei Bundeswehr-Soldaten ums Leben, acht wurden teils schwer verwundet.

(Foto: picture alliance / dpa)

Und so sind Sie ins Trauma-Zentrum der Bundeswehr nach Berlin gekommen ...

Das erste Mal war ich im April 2010 zur Anamnese bei einem Psychologen hier. Nach ein, zwei Stunden bin ich dann mit gesenktem Haupt wieder rausgekommen und hatte neue Termine, bei denen ich dann bestätigt bekam: "Sie sollten wir mal beobachten und Ihnen auch helfen."

War es eine große Hemmschwelle, ins Trauma-Zentrum zu kommen?

Die Hemmschwelle bestand darin, sich erstmals jemandem zu offenbaren - das war in meinem Fall der Truppenarzt.

Was war so schwierig?

Über Erinnerungen zu reden, über Schwäche, über Probleme, die man hat, Schlaflosigkeit, all die Dinge. Und wenn man dann als erwachsener Mann und als Familienvater und eigentlich auch als gestandener Soldat dort steht und in Tränen ausbricht, dann ist das schon eine Hemmschwelle. Das tut auch weh. Das ist sehr unangenehm.

Haben Sie vorher nicht mit Ihrer Familie darüber geredet, was Sie in Afghanistan gesehen haben?

Nein, ich habe das für mich behalten, lange für mich behalten, weil man niemand anders belasten möchte, weil man ja immer der starke Partner, der starke Familienvater, der Soldat ist. Das passt in dieses Bild eben nicht rein. Von daher habe ich mich sehr, sehr lange verschlossen bis zu dem Punkt, wo ich dann sagte: Bis hierhin und nicht weiter.

War das eine Erleichterung?

Es war der erste Schritt.

Und jetzt?

Das Schwierigste für mich ist im Moment zu erkennen, dass es noch lange dauern wird, bis ich wieder gesund bin. Das ist im Moment das Problem, das ich habe und das mich beschäftigt.

Hat sich durch die Behandlung denn schon etwas gebessert?

Nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan werden Soldaten in der Kaserne in Fritzlar mit einer militärischen Zeremonie empfangen.

Nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan werden Soldaten in der Kaserne in Fritzlar mit einer militärischen Zeremonie empfangen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Durch die Therapien sind einige der Symptome bedeutend abgeschwächt. Man merkt aber, wenn man hier wieder auftaucht und konfrontiert wird mit Kameraden, die selbst unschöne Dinge erlebt haben, dass alles wieder aufgewühlt wird und man ganz schnell in diese alten Verhaltensmuster zurückfällt - Vermeidung, Reizbarkeit, Antriebslosigkeit . Ich bin zum Glück inzwischen so weit, dass ich merke: Da ist noch viel abzuarbeiten. Dinge, von denen mir nicht bewusst war, dass sie noch da sind, kommen wieder hoch. Ich schaue viel weiter zurück in die Vergangenheit. Wenn ich an Afrika denke, sehe ich da Kinder, die leiden, verhungern. Wenn man selber Vater ist, geht einem das unheimlich nah. Ich kann heute sagen - da erinnere ich mich jetzt erst dran -, dass ich zum Beispiel nach dem Einsatz in Afrika hier sehr gereizt war, wenn jemand über die Umstände in Deutschland geschimpft hat. Da war ich ganz schnell mal von null auf hundert und hat gefragt: "Was wollt Ihr überhaupt? Ihr habt hier eine Wohnung, Ihr habt ärztliche Versorgung, Ihr habt fließend Wasser." So wird mir hier leider erst bewusst, und das auch erst beim dritten Aufenthalt, dass einige Bausteine für diese seelischen Erkrankungen schon früher gelegt worden sind und dass sich das Ganze im Laufe der Zeit immer stärker aufgebaut hat. Der Afghanistan-Einsatz hat dann einen sehr großen Beitrag dazu geleistet, dass das Fass übergelaufen ist.

Aber zunächst merkten Sie nichts?

Bei meiner Rückkehr gab es noch keine Symptome. Ich war Soldat und funktionierte in meinem Beruf. Sowohl im Einsatz als auch bei und nach der Rückkehr stand ich erstmal unter Strom. Im Einsatz arbeitete ich, zuhause kamen dann dienstliche Geschäfte oder private Anforderungen, die erfüllt werden mussten. Ich funktionierte monatelang noch gut - bis zu dem Zeitpunkt, als ich aus dienstlichen Gründen von meiner Familie getrennt wurde und anscheinend zu viel Zeit hatte. Da fing ich an nachzudenken, die Vorwürfe kamen, das schlechte Gewissen, nicht für die Familie da sein zu können. Dann konnte ich nicht mehr schlafen, die Alpträume begannen, die Erinnerungen blühten immer stärker auf. Ständig machte ich mir Vorwürfe, dass die Kraft nachgelassen hat, die Enttäuschung über einige Dinge wurde immer größer. So schaukelte sich das dann auf, bis ich irgendwann nicht mehr funktionieren konnte.

Und stießen Sie in ihrem Umfeld auf Unverständnis, als Sie die Therapie begannen?

Nein. Ich hatte zwar damit gerechnet, aber es ist nicht eingetreten. Ich habe sehr offen mit den Menschen in meiner Umgebung gesprochen, gesagt, was mit mir los ist, was an Bildern hochkommt, an kurzen Filmen. Die Reaktion darauf war für mich persönlich sehr interessant, da ich Kameraden gesehen habe, die aus meiner Sicht weitaus schlimmere Dinge erlebt haben, aber still für sich gelitten haben. Das zeigte sich, als bei ihnen die Augen feucht wurden, ihnen Tränen in den Augen standen. Aber dann kam wieder der harte Mann, der harte Soldat in ihnen durch nach dem Motto: "Ich muss funktionieren, ich darf nicht schwach sein, darf mir das nicht eingestehen, dass ich darunter leide, ich mache weiter."

Warum suchen diese Kameraden keine Hilfe? Ist da auch die Angst vor einem Karriereknick?

Ja, das denke ich schon. Ich habe es selbst erfahren müssen. Für mich stand im vergangenen Jahr eine Versetzung an, um wieder nahe bei der Familie zu sein, was mir in dem Moment unheimlich wichtig war. Da wurde durch die Blume gesagt: "Wenn Sie sich in psychische Behandlung begeben, kann es sein, dass es in gewissen Aspekten und Punkten Nachteile bringt." Das war für mich in dem Moment aber in Ordnung und ist es bis jetzt. Ob es auch weiterhin so sein wird, weiß ich nicht, das wird die Zukunft zeigen.

Doch Sie bereuen es nicht, Hilfe gesucht zu haben?

Das hier ist für mich die beste Option, die es gibt. Definitiv. Das war aber nicht immer so. Wenn man hier am Anfang auftaucht, dann ist da auch Raum für Zweifel. Und da kommen diese Symptome zum Tragen und man sagt sich: "Es muss jetzt schnell irgendetwas passieren. Es muss schnell wieder funktionieren, das Gesamte, und ich auch, als Mensch, als Soldat. Jetzt macht mal was. Kann doch nicht sein, dass ich hier ein paar Wochen bleiben muss, das muss doch in ein paar Tagen abgebacken sein." Doch das geht nicht. Und ich merkte recht schnell: Dies hier braucht wohl einige Zeit, um zu einem guten Abschluss zu kommen.

Und wenn der gute Abschluss da ist, begeben Sie sich wieder in Auslandseinsätze?

Ja. Es ist mein Beruf, und ich mache den Beruf an sich gerne.

"Es ist immer unangenehm, sich als Soldat von der Familie zu verabschieden" - Soldaten besteigen in Oldenburg einen Bus, der sie nach Köln bringt. Vor dort geht es weiter nach Kabul.

"Es ist immer unangenehm, sich als Soldat von der Familie zu verabschieden" - Soldaten besteigen in Oldenburg einen Bus, der sie nach Köln bringt. Vor dort geht es weiter nach Kabul.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Und sind Sie auch gerne ins Ausland gegangen?

Nein. Wenn Sie mich so fragen, wurde ich jedes Mal befohlen. Ich bin sehr familiär, ich bin gerne zuhause, ich habe auch ein Leben neben der Bundeswehr, und das genieße ich.

Und dennoch fahren Sie.

Es gehört dazu, das ist eben so. Und das wird in Zukunft nicht weniger.

Und Ihre Familie?

Meine Partnerin hat mich so kennengelernt und nimmt das so hin. Aber es ist immer unangenehm, sich als Soldat von der Familie zu verabschieden, und es ist unangenehm für die Frau, den Mann beim Sammeltransporter abzugeben.

War Ihnen denn vor Ihrem Auslandseinsatz klar, was Sie dort erwartet?

Ja. Zum einen bin ich freiwillig zur Bundeswehr gegangen. Zum anderen wurden wir auf die Auslandseinsätze relativ detailliert vorbereitet. Ich persönlich habe mich auch noch zusätzlich informiert, habe Hintergrundinformationen abgefangen und bin also nicht mit der Illusion hingegangen, dass dort nichts passieren könnte.

Und doch ist es vor Ort sicher noch einmal anders ...

Es hat eine andere Qualität, etwas auf einem Papier zu lesen oder mittendrin zu stehen. Definitiv. Das ist etwas ganz anderes. Ein schräger Aspekt war auch, dass ich nicht nur selber dort unten mit mir beschäftigt war, sondern auch die Familie um mich Angst hatte. Das kam als Angst dazu, ein Päckchen mehr, das ich tragen musste.

Welche Päckchen gab es noch?

Natürlich läuft man im Idealfall wie ein Uhrwerk. Die Vorausbildung ist so gestrickt, dass man relativ stressresistent ist. Wenn nicht, dann wird man aufgefangen durch die Kameraden. Trotzdem gab es oft genug Situationen, wo mir recht mulmig war. Wo die kleinen Antennen dann doch gemerkt haben: Das hier ist jetzt nicht ungefährlich. Das hier könnte eben auch schief gehen. Aber das Programm wird weiter gespult und man funktioniert.

Und hatten Sie das Gefühl, dass Sie von Deutschland aus genügend unterstützt wurden?

Ich hatte oft den Eindruck, dass es der Gesellschaft im Grunde egal ist, ob wir dort nun Dienst leisten und unser Leben aufs Spiel setzen. Im Freundeskreis und im zivilen Bereich möchte von dort unten kaum jemand etwas hören. Es ist so, als wenn mir der Müllmann hier in Deutschland erzählt, wie viele Mülltonnen er abholt. Es mag vielleicht aus Freundlichkeit ein kurzes Interesse geben nach dem Motto "Zeig mal ein Bild, wie sieht es dort aus?", dann aber ist es auch gut.

Und hat Sie das Desinteresse enttäuscht?

Nein. Ja. Manchmal. Ja, weil eben mitunter wirklich das Bedürfnis aufkommt zu erzählen, was dort los war, die Situation auch mal zu schildern. Ich kann mich mit einem Soldaten darüber unterhalten, wie es ist, wenn ein Mörserangriff angesagt ist und alle in ihre Schutzräume müssen. Das kann aber kein Mensch, der das nicht machen musste, nachvollziehen. Ganz einfach. Das ist auch nicht schlimm, das ist okay.

Wie sehen Sie denn die Diskussionen hier um den Afghanistan-Einsatz?

Das sind Dinge, die werden nicht auf der Ebene entschieden, in der ich arbeite. Das müssen Politiker machen. Den Soldaten bleibt nichts übrig als abzuwarten, was als nächstes kommt.

Und würden Sie den Beruf heute noch einmal ergreifen?

Dazu will ich nichts sagen.

Die Fragen stellte Gudula Hörr

Quelle: ntv.de

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