Sahra Wagenknecht über die neuen Euro-Rebellen "Die AfD hat in vielen Punkten recht"
29.04.2013, 11:01 Uhr
Sahra Wagnknecht ist seit 2011 stellvertretende Parteivorsitzenden der Linken.
(Foto: picture alliance / dpa)
Ist die AfD eine Gefahr für "Die Linke"? Plötzlich wirbt eine zweite Partei um die Gegner der Eurorettung. Sahra Wagenknecht kritisiert die neuen Rivalen im Gespräch mit n-tv.de nur zurückhaltend. Trotzdem hat die Lebensgefährtin von Oskar Lafontaine eine Befürchtung: Droht mit der AfD eine deutsche Tea-Party-Bewegung?

Seit 2011 offiziell ein Paar: Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine.
(Foto: picture alliance / dpa)
n-tv.de: "Deutschland braucht den Euro nicht" – so lautet der Slogan der AfD. Wie finden Sie das?
Sahra Wagenknecht: Wenn man sich die Situation in Europa anschaut, könnte man eher sagen: Südeuropa braucht den Euro nicht (lacht). Schließlich haben diese Länder mit dem Euro die Möglichkeit zur Abwertung verloren, mit der sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern könnten. Stattdessen werden ihnen brutale Austeritätsprogramme diktiert, die ihre Wirtschaft immer tiefer in die Krise treiben. Für Deutschland sieht das anders aus: Wenn wir die Währungsunion aufkündigen und die D-Mark wieder einführen, dann würde sie extrem aufwerten. Für die Exportindustrie, derzeit der einzige Anker der deutschen Konjunktur, dürfte das ziemlich hart werden.
Also alles purer Populismus?
Wer die Gründer der AfD als Populisten abstempelt, macht es sich zu leicht. In vielen Punkten haben sie mit ihrer Kritik an der derzeit praktizierten Eurorettung recht. Zu suggerieren, "Wir müssen raus aus dem Euro, dann sind unsere Probleme gelöst", halte ich jedoch für falsch. Ein anderer Weg zur Stabilisierung der Währungsunion wäre die innere Aufwertung in Deutschland. Dafür müssten wir hier Löhne, Renten und Sozialleistungen erhöhen. Eine solche Aufwertung könnte man jedenfalls besser kontrollieren als eine neue Währung, die zum Spielball der Finanzmärkte würde.

Die Linkspartei nominierte ein Spitzenteam für die Bundestagswahlen im Herbst.
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Wie ist denn Ihr Eindruck von der AfD?
Ich denke, es ist noch nicht ausgemacht, in welche Richtung sich die Partei entwickelt. In der AfD gibt es zum einen renommierte Professoren wie Joachim Starbatty, die die Initiative mit gegründet haben und deren Fachkompetenz außer Zweifel steht. Wie wir kritisieren sie die Europapolitik der Kanzlerin. Da gibt es viele Überschneidungen.
Wo genau?
Die Leute fragen zu Recht: Warum sollen wir dafür zahlen, dass in Spanien Banken oder Irland gerettet werden? Wobei meist verschwiegen wird, dass wir damit am Ende auch deutsche Banken retten. Aber das macht es ja nicht besser. Also: Wieso sollen Arbeitnehmer und Rentner in Deutschland die Zeche zahlen für die Zockereien der Banker? Gleichzeitig werden die Länder in Südeuropa totgespart, die Arbeitslosigkeit explodiert und die Menschen werden gegen Europa aufgebracht. Diesen Irrsinn zu kritisieren, ist richtig. Aber auf der anderen Seite muss die AfD aufpassen, wer bei ihr anzudocken versucht.
Inwiefern?
Da sind auch Leute dabei, die sich offenbar eine deutsche Tea-Party-Bewegung wünschen. Und generell muss man natürlich auch sagen: Die AfD vertritt keine Perspektiven eines sozialen Europas oder eines sozialen Deutschlands. Ihre Steuerpolitik läuft eher auf eine beschleunigte Umverteilung nach oben hinaus mit weiteren Steuersenkungen für Reiche. Aber wirklich gefährlich wird es, wenn Rechtspopulisten versuchen sollten, die AfD für ihre Ziele einzuspannen. Es ist noch zu früh, um zu beurteilen, wie vehement sich die Partei dagegen wehren wird.
Ihr Parteichef Bernd Riexinger sagte sogar: "Die AfD ist derzeit die gefährlichste Partei am rechten Rand". So schlimm?
Wenn aus der berechtigten Kritik an Merkels Europapolitik irgendwann tumbe Slogans vom Schlage "Wir Deutschen zahlen nicht für die faulen Griechen oder faulen Spanier" werden, dann wäre das gefährliche nationalistische Stimmungsmache. Ich habe den Eindruck, dass es in der AfD durchaus Leute gibt, die bereit wären, diese Karte zu ziehen.

Linken-Chef Riexinger beurteilt die AfD deutlich negativer als Wagenknecht.
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Glauben Sie, damit käme die Partei leichter in den Bundestag?
Das mag sein, aber in Deutschland Nationalismus zu bedienen, ist ein Spiel mit dem Feuer. Wir sehen in anderen Ländern, dass nationalistische Bewegungen Rückhalt bekommen. Man muss wissen, was man tut. Ein Ausweg aus der Krise rückt damit sicher nicht näher.
Mehr als jeder vierte Deutsche kann sich vorstellen, die AfD zu wählen. Schockiert Sie das?
Nein. Das belegt eher, dass all die Umfragen verzerrt sind, die uns weismachen, dass die Menschen hochzufrieden mit dem Europa-Management von Frau Merkel sind. Die Beliebtheit der Kanzlerin ist eher darauf zurückzuführen, dass sie mit Peer Steinbrück einen extrem schwachen Herausforderer hat, der zudem in der Europapolitik den gleichen absurden Kurs vertritt wie sie. Insoweit ist es nachvollziehbar, dass die AfD, die wie "Die Linke" ein Ende der Rettungsaktionen für marode Banken und die Haftung der privaten Investoren fordert, viele Menschen anspricht.
Was macht die neue Partei so anziehend?
Das ist gerade ihr Charme, dass sie neu ist. Wir haben das im vergangenen Jahr schon bei den Piraten erlebt. Da gab es einen regelrechten Hype. Sie hatten zweistellige Umfragewerte, inzwischen spielen sie praktisch keine Rolle mehr. Jetzt ist die AfD die neue Partei. Das zeigt, dass sich immer mehr Menschen vom etablierten Politikbetrieb abwenden. Zwischen Union, FDP, SPD und Grünen gibt es ja kaum noch Unterschiede. Es ist nicht erstaunlich, dass sich viele von diesem Parteienkartell nicht mehr vertreten fühlen.
Das größte Wählerpotenzial der AfD liegt bei früheren Linkspartei- und FDP-Wählern. Ist das nicht eher eine ungewöhnliche Verbindung?
Ja, das scheint erst einmal ungewöhnlich. Aber in der Europapolitik kritisiert die AfD in vielen Punkten das Gleiche wie wir. Und zugleich muss auch ein überzeugter Liberaler Bauchkrämpfe bekommen, wenn er sieht, wie die FDP brav dabei mitstimmt, Banken und Hedge Fonds mit Steuergeld Verluste abzunehmen. Mit einem liberalen Wirtschaftsentwurf hat das nun wirklich nichts zu tun, danach müssten die Marktrisiken von denen getragen werden, die auch die Gewinne einstreichen, und von niemandem sonst. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass unzufriedene Wähler der Liberalen bei der AfD Anknüpfungspunkte sehen. Zumal auch deren Steuerkonzept FDP-kompatibel ist.
Sind Sie sicher? AfD-Chef Bernd Lucke hat gesagt, man wolle im Osten Deutschlands vor allem der Linkspartei Wähler klauen.
Wenn das Anliegen der AfD ernst gemeint ist, eine Alternative zu Merkels Europapolitik durchzusetzen, wirkt es etwas seltsam, wenn sie ausgerechnet die Partei schwächen will, die genau das bisher als einzige im Bundestag vertreten hat. Wenn Lucke versucht, bei der Union konservative Wähler zu gewinnen, verstehe ich das. Aber für potenzielle Linke-Wähler ist eine Partei, für die Niedriglöhne und Altersarmut kein Thema sind und in deren Vorstand Leute arbeiten, die öffentlich darüber nachdenken, Arbeitslosen das Wahlrecht zu entziehen, bei näherem Hinsehen ganz sicher nicht wählbar. Je bekannter diese Seite der AfD wird, desto mehr werden die Menschen das merken.
In Umfragen hat sich Ihre Partei zwischen 6 und 8 Prozent eingependelt. Läuft die Linke durch die neue Konkurrenz nicht sogar Gefahr, den Einzug in den Bundestag zu verpassen?
Ich gehe nicht davon aus, dass wir relevant an die AfD verlieren. Je näher die Wahl rückt, desto stärker wird sich die AfD auch auf anderen Feldern positionieren müssen. Das wird zeigen, dass sie zum Thema soziale Gerechtigkeit wenig beizutragen hat. Wer eine andere Europapolitik will, ein Ende der Bankenrettungen und zugleich höhere Löhne und bessere Renten in Deutschland, der kann nach wie vor nur die Linke wählen.
Oskar Lafontaine wird nicht wieder für den Bundestag kandidieren. Welche Rolle streben Sie denn nach der Wahl in der Fraktion der Linken an?
Jetzt kämpfen wir erst einmal darum, mit einer möglichst starken Fraktion in den Bundestag einzuziehen. Über die Besetzung der Fraktionsspitze und alle weiteren Funktionen wird die neue Fraktion entscheiden. Es ist selbstverständlich, dass jeder so seine Wünsche hat, wie diese Entscheidungen ausfallen mögen.
Es heißt, Ihr größter Wunsch sei das Amt der Fraktionsvorsitzenden.
Erst einmal wünsche ich mir ein gutes Wahlergebnis.
Mit Sahra Wagenknecht sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de