Politik

16 Jahre nach Srebrenica-Massaker Dutchbat-Blauhelme versagen

13. Juli 1995: Niederländische Blauhelme schauen zu, wie sich verzweifelte Flüchtlinge aus Srebrenica sammeln.

13. Juli 1995: Niederländische Blauhelme schauen zu, wie sich verzweifelte Flüchtlinge aus Srebrenica sammeln.

(Foto: AP)

Der niederländische Staat ist für den Tod dreier bosnischer Muslime nach dem Fall von Srebrenica verantwortlich. Damit kippt das Berufungsgericht in Den Haag ein früheres Urteil. Die Dutchbat-Blauhelme hatten 1995 die drei Männer, die im niederländischen Militärlager arbeiteten, zum Verlassen gezwungen und sie damit den Mordbanden von General Mladic ausgeliefert.

Die Niederlande sind wegen des Versagens ihrer UN-Truppen in Bosnien für Morde an drei bosnischen Muslimen während der Srebrenica-Massaker haftbar. Das entschied das Berufungsgericht in Den Haag. Es gab damit den Familien der drei Massaker-Opfer Recht. Sie hatten seit Jahren vergeblich vor Gericht Entschädigungen durch den niederländischen Staat verlangt. Vertreter tausender anderer Opfer der Bluttaten im Sommer 1995 äußerten die Hoffnung, dass auch sie eines Tages entschädigt werden.

Die niederländischen Blauhelme schickten die Familie von Hasan Nuhanovic in den sicheren Tod.

Die niederländischen Blauhelme schickten die Familie von Hasan Nuhanovic in den sicheren Tod.

(Foto: AP)

Das Urteil öffnet den Weg für Schadenersatzforderung von Angehörigen der 8000 Opfer des Massakers, das serbische Truppen 1995 an muslimischen Jungen und Männern verübt hatten. Gegen den Richterspruch sind Rechtsmittel zum Obersten Gerichtshof des Königreichs möglich. Niederländische Soldaten waren im Juli vor 16 Jahren für die Sicherung der Schutzzone Srebrenica verantwortlich, die von serbischen Truppen überrannt wurde.

Die in Srebrenica stationierte Blauhelm-Einheit hatte die drei Muslime trotz dringlicher Bitten um Schutz zum Verlassen des niederländischen Militärlagers gezwungen. Sie wurden später wie tausende andere von den Truppen des bosnisch-serbischen Befehlshabers Ratko Mladic ermordet. Der heute 69-Jährige muss sich derzeit vor dem Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien wegen Völkermords verantworten - darunter für die Massaker in Srebrenica.

Blauhelme waren Zeuge von Verbrechen

Die Kommandeure der Blauhelmtruppe müssen nach Ansicht der Berufungsrichter gewusst haben, welch tödlicher Gefahr sie die drei Muslime aussetzten. "Dutchbat war Zeuge mehrerer Vorfälle, bei denen bosnische Serben außerhalb des Lagers Flüchtlinge misshandelten oder töteten", befand das Berufungsgericht. Die Truppe hätte verhindern müssen, dass die Männer den Serben in die Hände fielen.

Die schlecht ausgerüstete niederländische UN-Truppe hatte sich damals angesichts der militärischen Übermacht der Mladic-Armee kampflos zurückgezogen, weshalb die Angehörigen der Opfer ihnen Feigheit vorwerfen.

Geklagt hatten Hasan Nuhanovic, der seinerzeit als Dolmetscher für Dutchbat tätig war, sowie die Familie des Elektrikers Rizo Mustafic, der ebenfalls für die Niederländer arbeitete. Mustafic sowie der damals 19-jährige Bruder und der Vater von Nuhanovic hatten das Dutchbat-Lager verlassen müssen. 2007 fand man die Leiche des Vaters in einem Massengrab, im vorigen Jahr die sterblichen Überreste des Bruders sowie die von Mustafic.

Späte Genugtuung für die Hinterbliebenen

Edib Vraco vergleicht das Namensschild auf einem von 613 Särgen im Leichenschauhaus, die ihre letzte Ruhestätte im Ehrenhain in Potocari finden sollen.

Edib Vraco vergleicht das Namensschild auf einem von 613 Särgen im Leichenschauhaus, die ihre letzte Ruhestätte im Ehrenhain in Potocari finden sollen.

(Foto: AP)

Nuhanovic begrüßte die Gerichtsentscheidung, mit der er angesichts der bis dahin vergeblichen Versuche, die Niederlande zu einem Eingeständnis ihrer Verantwortung zu bewegen, wohl kaum noch gerechnet hatte: "Das Urteil ist eine Überraschung und ein Schritt in eine gute Richtung", sagte er unter Hinweis auf anhaltende Bemühungen, Täter von damals zur Rechenschaft zu ziehen.

Eine Beispielwirkung durch das Berufungsurteil erhoffen sich auch die "Mütter von Srebrenica", die durch die Massaker Angehörige verloren und Verfahren gegen die Niederlande und die Vereinten Nationen anstreben. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes stimme hoffnungsvoll, erklärte Axel Hagedorn, der Anwalt der Srebrenica-Mütter. "Es besteht eine deutliche Ähnlichkeit mit unserer Sache."

Der amtierende Bürgermeister von Srebrenica, Camil Durakovic, erklärte, es sei ein "Präzedenzfall" geschaffen. "Es zeigt sich, dass die niederländische Justiz unabhängig ist und dass Politik keine Rolle gespielt hat."

Regierung kann in Berufung gehen

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums nannte das Urteil unerwartet, zumal die Klage in erster Instanz 2008 abgewiesen wurde. Er kündigte eine sorgfältige Prüfung an, bevor über Rechtsmittel entschieden werde.

Das Berufungsgericht wies mit dem Urteil die Argumentation der niederländischen Regierung zurück, wonach sie nicht belangt werden könne, da die Soldaten unter dem Kommando der Vereinten Nationen gestanden hätten. Die niederländischen Truppen seien darüber hinaus im Auftrag ihrer Regierung im Einsatz gewesen, weshalb Den Haag auch für ihr Verhalten gegenüber verantwortlich zu machen sei.

Die Richter betonten aber zugleich, das Urteil gelte nur für diesen konkreten Fall und nicht für die Situation der tausenden anderen Muslime in der damals von den UN zum Schutzgebiet für die bosnisch-muslimische Bevölkerung erklärten Srebrenica-Region.

Quelle: ntv.de, dpa/rts

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