Politik

"Hart aber fair" über Ukraine Ex-General: "Wir Europäer sind Habenichtse"

Bei "Hart aber fair" wurde über Diplomatie und ein mögliches Kriegsende diskutiert.

Bei "Hart aber fair" wurde über Diplomatie und ein mögliches Kriegsende diskutiert.

(Foto: Bild: WDR/Thomas Ernst)

Der Krieg in der Ukraine geht weiter. Ein Ende kann nur durch Diplomatie erreicht werden. Darüber waren sich am Montagabend die Gäste in der Sendung "hart aber fair" in der ARD einig. Doch die Diplomatie liegt auf Eis.

Hat die NATO im Umgang mit Russland wirklich alles richtig gemacht? Ein früherer Sicherheitsberater von Ex-Kanzlerin Angela Merkel sieht es eher nicht so. Brigade-General a. D. Erich Vad wirft dem Bündnis am Montagabend bei "Hart aber fair" in der ARD vor, nicht gesprächsbereit zu sein. Das richtete sich vor allem an die USA. Die Deutschen und die Europäer hätten dabei aber seiner Ansicht nach wenig zu melden. "Wir sollten nicht so tun, als hätten wir in der Angelegenheit überhaupt mitzureden", meinte er, denn die Entscheidungen würden in Washington, Moskau und Peking getroffen. "Putin reagiert auf Militärmacht. Die haben die Amerikaner. Wir in Europa sind Habenichtse. Wir haben Putin nichts entgegenzusetzen als folgenlose Rhetorik."

Marina Weisband, Grünen-Politikerin mit ukrainischen Wurzeln, sieht das anders: Europa hätte sehr wohl eine Macht, und zwar die ökonomische, sagt die Publizistin. Sie hofft, "dass es entweder für Putin oder für jemanden aus seinem alten Petersburger Klüngel ökonomisch so ungemütlich wird, dass sie einen Weg aus dem Krieg suchen - und dass sie dann endlich den Hörer im Kreml abnehmen, wenn man anruft." Dass es die russischen Truppen nicht geschafft hätten, die Ukraine in den ersten 72 Stunden zu überrennen, gebe den Menschen Hoffnung.

Auch den Politikwissenschaftler Christian Hacke beeindruckt der "grimmige Selbstbehauptungswille" der Ukrainer, den er "heldenhaft" nennt. Aber auch er sieht Versäumnisse des Westens: Die deutsche Diplomatie habe den Fehler gemacht, sich zu wenig für eine neutrale Ukraine einzusetzen, ist sich Hacke sicher - und vergisst dabei offenbar, dass die Ukraine 2014 neutral war, bevor sie das erste Mal von Russland angegriffen wurde.

Onkel Kolya dreht den Fernseher lauter

Aber auch der massive Widerstand der Ukraine spielt ihmzufolge eine wichtige Rolle: "Wenn Putin in einen lang andauernden Krieg hineingerät, wird er am Ende der Verlierer sein." Kiew habe eine symbolische Bedeutung für die Ukrainer, und deswegen würden sie in und für Kiew kämpfen. Dass in Deutschland die Menschen in einem Belagerungsfall ähnlich reagieren würden, hält er für ausgeschlossen. "Bei uns herrscht ein struktureller Pazifismus."

Wie die Menschen in der Ukraine, die nicht kämpfen, mit dem Krieg umgehen, erzählte Weisband, die in Kiew geboren wurde. Dort lebt ihre Familie noch immer. Sie spricht täglich mit ihren Angehörigen und beschreibt deren Situation: "Die Menschen versuchen, ruhig zu bleiben und nicht in Panik zu verfallen." Den Krieg nehmen sie sogar mit Humor, erzählt sie. Sie habe gefragt, wie es den Kindern ihrer Verwandten in Kiew gehe. Die Antwort: Ihr schwerhöriger Onkel Kolya drehe einfach den Fernseher laut auf, dann würden sie die Schüsse nicht hören. Die Menschen bereiteten sich auf eine Belagerung vor, sie horteten Lebensmittel und Wasser.

Eine Flucht aus Kiew sei nicht mehr möglich, das sei physisch zu gefährlich, so Weisband. Man höre Geschichten von Frauen, die aus ihren Autos geworfen worden seien, dann wären die Autos beschlagnahmt worden. "Nicht unbedingt von der Armee - es ist im Moment alles Mögliche auf den Straßen unterwegs", beschreibt die Politikerin die Situation in der ukrainischen Hauptstadt. Und sie fasst zusammen: "Die Menschen werden weiter kämpfen. Je mehr Putin demonstriert, was für stalinistische Maßnahmen er im eigenen Land durchzieht, desto mehr wird den Ukrainern klar, dass dort für sie keine Zukunft ist, nachdem sie die Demokratie erkämpft haben."

"Rutschbahn in den Dritten Weltkrieg"

Laut Grünen-Chef Omid Nouripour geht es Putin nicht um die Ukraine alleine. Würde er nicht gestoppt werden, könnte er auch andere Länder überfallen. "Es ist wichtig, die Ukrainer zu unterstützen, weil sie für die Demokratie kämpfen und weil sie ein völkerrechtlich verbrieftes Recht haben, sich zu verteidigen", sagt er. Allerdings werde es ein militärisches Eingreifen der NATO im Moment nicht geben. "Eine direkte Konfrontation zwischen der NATO und Russland ist eine Rutschbahn in den dritten Weltkrieg."

Den will natürlich niemand. Zumal Putin ja damit gedroht hat, nukleare Waffen einzusetzen. Nouripour lasse sich sich nicht davon beeindrucken, meint er. Man müsse die Ukraine weiter unterstützen und dabei immer wieder versuchen, Gespräche mit Russland zu führen. Das sei jedoch im Moment nicht möglich: "Putin ist nicht zuverlässig, er lügt." Auch Hacke hat keine Angst vor einem Atomkrieg. Er beschreibt Putin als reinen Machtpolitiker, der jedoch aus seiner Sicht rational handelt. Und er warnt: "Putin wird im Westen dämonisiert." Seine Forderung: Verhandlungen über eine freie Ukraine, ohne dass die Verhandlungspartner dabei ihr Gesicht verlieren.

Quelle: ntv.de

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