Schlammschlacht in der Koalition FDP wirft Union Feigheit vor
15.02.2010, 22:20 UhrFDP-Parteichef Westerwelle will eine Generaldebatte über die soziale Gerechtigkeit in Deutschland im Bundestag. Kanzlerin Merkel ist nicht dagegen, sieht aber keinen Zeitdruck. Union und FDP fordern sich gegenseitig auf, den Ton zu mäßigen.

Die Kanzlerin ist nicht gegen eine Generaldebatte zum Sozialstaat, aber dann, wann sie es will.
(Foto: dpa)
Mit deutlichen Worten hat FDP-Generalsekretär Christian Lindner die Kritik aus der CDU an der Hartz-IV-Diskussion zurückgewiesen. "Wir haben eine gesellschaftliche Debatte über soziale Gerechtigkeit angestoßen, für die der Union seit Jahren der Mut gefehlt hat", erklärte Lindner zum Aufruf an die Liberalen zur Mäßigung durch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Die Union sei "herzlich eingeladen", bei der von der FDP vorgeschlagenen Generaldebatte zum Sozialstaat im Bundestag "Farbe zu bekennen". Lindner sagte mit Blick auf die Union: "Zu lange schon haben die Geißlers, Blüms und Rüttgers' dort den Kurs bestimmt."
Der Ton …
Gröhe hatte zuvor den Ton der Liberalen in der Hartz-IV-Debatte kritisiert und den Koalitionspartner zur Mäßigung aufgerufen. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte er: "Fragwürdige Verallgemeinerungen und scharfe Töne erschweren nur die notwendige Debatte über die Umsetzung der Hartz-IV-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts." Gröhe machte deutlich, dass sich die Union in dem Streit über höhere Hartz-IV-Zahlungen als Sachwalter der Interessen von Arbeitslosen und Geringverdienern verstehe. Inhaltlich unterstützte Gröhe den FDP-Chef: "Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet."
… macht die Musik

Westerwelle hat mit seinen Äußerungen eine polemische Diskussion losgetreten.
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Westerwelle hatte mit seinen Warnungen in der Hartz-IV-Debatte vor "spätrömischer Dekadenz" und "anstrengungslosem Wohlstand" für Empörung gesorgt. Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler bezeichnete ihn daraufhin als "Esel". Der Kieler SPD-Landeschef Ralf Stegner erklärte, Westerwelle gebärde sich wie ein "Jörg Haider der deutschen Politik".
FDP-Bundestagsfraktionsvize Jürgen Koppelin sagte, der Vergleich mit dem verstorbenen österreichischen Rechtspopulisten Haider sei "an übler Verleumdung kaum noch zu überbieten". Hessens FDP-Vorsitzender Jörg-Uwe Hahn forderte Merkel in der "Frankfurter Rundschau" auf, ihren Vizekanzler "vor unmöglichen Beschimpfungen aus der Union in Schutz" zu nehmen.
Die FDP im Kieler Landtag beantragte eine Aktuelle Stunde zu Hartz IV. Der dortige FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki erklärte: "Wir wollen den vereinten Genossen von SPD, Grünen, Linken und SSW die Gelegenheit geben, sich vor der Öffentlichkeit komplett zu blamieren." Wer wie Stegner "auf nationalsozialistischen Wortschatz" zurückgreife, um die Diskussion über die Zukunft des Sozialstaates zu unterdrücken, "erreicht nicht einmal mehr die Glaubwürdigkeit eines Oskar Lafontaine", sagte er mit Blick auf den Linkenchef. Kubicki bezog sich auf eine angebliche Twitter-Nachricht Stegners, wonach Westerwelles Position "früher gesundes Volksempfinden" geheißen habe.
Lindner stoppt Personaldebatte

Linder erklärt die Personaldebatte für beendet: "Der Kapitän ist Westerwelle."
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Aus der FDP kam aber auch weiter Kritik an Westerwelle. "Die Äußerungen sind nicht meine Art der Rhetorik", sagte der niedersächsische FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Döring der "taz". Die Diskussion über den Abstand von Lohn zu Sozialleistungen sei aber notwendig. Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) sagte dem "Straubinger Tagblatt", er "hätte zwar nicht unbedingt die gleichen Worte gewählt", Westerwelle habe aber völlig Recht, dass Arbeitende mehr in der Tasche haben müssten als Beschäftigungslose.
Nachdem bereits Westerwelles Stellvertreter an der Parteispitze, Andreas Pinkwart, ein besseres Teamspiel und Machtteilung in der FDP verlangt hatte, forderte nun auch die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Ulrike Flach, Westerwelle auf, die Partei nicht länger im Alleingang vertreten zu wollen. "Die Oppositionszeit, in der wir uns auf eine Person konzentrieren mussten, ist vorbei", sagte Flach dem "Handelsblatt". Generalsekretär Lindner sprach unterdessen ein Machtwort: "Die FDP agiert erfolgreich als Mannschaft, diese Mannschaft hat einen Kapitän und das ist Guido Westerwelle."
Auch Fraktionschefin Birgit Homburger verteidigte Westerwelle. Eine Personaldebatte sei "kropf-unnötig" und eine "Ablenkung von anderen Diskussionen", sagte Homburger im SWR.
Merkel spielt auf Zeit
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die ihre Sprecherin bereits erklären ließ, Westerwelles Äußerungen seien nicht ihr Duktus, zeigt sich nun offen für die Forderungen des FDP-Chefs nach einer Generaldebatte zum Sozialstaat, lässt sich von ihrem Vize aber nicht unter Druck setzen.
Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans zitierte Merkel mit den Worten: "Die Haushaltsdebatte ist der richtige Ort für allgemeine Diskussionen." Da die nächste Generalaussprache zum Haushalt erst am 17. März ansteht, wurde dies allgemein als Wunsch der Kanzlerin gesehen, die Debatte zu vertagen. Die FDP kündigte daraufhin an, dass sie schon in der letzten Februar-Woche das Thema auf die Bundestag-Tagesordnung mit einer Aktuellen Stunde setzen will.
Quelle: ntv.de, hdr/dpa/AFP