Berliner Bürgerinitiative wehrt sich Flüchtlinge in Charlottenburg unerwünscht
31.05.2013, 18:01 Uhr
Eingangsschild eines Zimmers im neueröffneten Flüchtlingsheim in der Berliner Soorstraße. Größe und Bettenzahl sind gut sichtbar vermerkt.
(Foto: dpa)
Durch den andauernden Bürgerkrieg in Syrien steigt die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland drastisch. Besonders in Berlin wird es zunehmend schwieriger, menschenwürdige Unterkünfte bereitzustellen. Eine Bürgerinitiative sammelt jetzt Unterschriften gegen ein Flüchtlingsheim im gutbürgerlichen Charlottenburg.
Lawandi steht schüchtern in der Tür seines Zwei-Bett-Zimmers. F otografieren lassen möchte er sich nicht - das erinnert den 27-jährigen Syrer zu sehr an die politische Verfolgung in seiner Heimat. Er ist erst am Samstag aus dem Bürgerkriegsland in Deutschland angekommen. Seit wenigen Tagen gehört der Ingenieur zu den bislang 23 Bewohnern der neuen Notunterkunft für Flüchtlinge in der Soorstraße in Berlin-Charlottenburg. Er hofft auf Arbeit und ein ruhigeres Leben. Wenn der Bürgerkrieg zu Ende ist, möchte er in seine Heimat zurückkehren. Von den Protesten gegen das Flüchtlingsheim in der gutbürgerlichen Wohngegend ahnt Lawandi nichts.
Die Zahl der Flüchtlinge ist in Berlin in diesem Jahr deutlich gestiegen. Im April kamen mit 2078 rund doppelt so viele wie im Januar (1049) und sechsmal so viele wie im vergangenen April (332). Sozialsenator Mario Czaja (CDU) und das Landesamt für Gesundheit und Soziales haben große Schwierigkeiten, sie angemessen unterzubringen. Widerstand formiert sich an vielen Standorten. Einige Bezirke drücken sich bei der Aufnahme der derzeit rund 6000 Flüchtlinge.
Allein seit April mussten nach Angaben des Landesamtes unter Zeitdruck vier neue Notunterkünfte eingerichtet werden, um den Flüchtlingsstrom zu bewältigen. Dazu gehört auch das ehemalige Hauptzollamt in der Soorstraße, das am Montag öffnete. Während Familien aus Afghanistan, Tschetschenien, Syrien und Serbien schon in den ersten mit Betten, Tischen, Stühlen und Schränken ausgerüsteten Zimmern leben, wird um sie herum noch heftig gewerkelt. Vor allem sanitäre Einrichtungen und der Brandschutz fehlen noch. Sicherheitsleute halten 24 Stunden Brandwache.
Bürgerinitiative gegen neuerrichtete Notunterkunft
Die Zahl der Asylsuchenden ist in den ersten Monaten dieses Jahres deutschlandweit gestiegen: Von Januar bis April stellten laut Bundesinnenministerium knapp 26 800 Menschen einen Asylantrag - rund 73 Prozent mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres. Die meisten Bewerber kamen aus Russland, Syrien und Afghanistan.
Heimleiterin Suada Dolovac sagt, bisher habe sie vom Widerstand der Berliner Anwohner nur gehört. Den Kontakt zu den neuen Nachbarn habe noch niemand gesucht. Seit bekannt wurde, dass in der ruhigen Straße im Berliner Westend mit gepflegten Wohnanlagen Flüchtlinge untergebracht werden sollen, sammeln Anwohner dagegen Unterschriften. Sie befürchten eine Abwertung ihrer Eigenheime und ungebetenen Besuch in ihren offenen Grünanlagen hinter den Häusern, wie Dieter Dammann berichtet. Er wohnt genau gegenüber dem wuchtigen Backsteinbau.
Eine 74-jährige Anwohnerin sorgt sich um eine "Überfremdung". "Rund 400 Bewohner der Soorstraße und 300 Flüchtlinge, das ist kein gutes Verhältnis, das sind zu viele." Als dann das Gerücht die Runde gemacht habe, der Senat wolle die Notunterkunft für obdachlose Roma-Familien im Westend ansiedeln, habe man den Protest organisiert, sagt Dammann. Das Gerücht stimmt zwar nicht, doch der Widerstand bleibt.
Politik weist Kritik zurück
Heimleiterin Dolovac hofft dennoch auf gute Nachbarschaft. "Ich bin erschrocken über das Ganze. Die Menschen, die hier ankommen, sind erschöpft, viele traumatisiert und so froh über das Dach über dem Kopf, das wir ihnen bieten", sagt sie. Die meisten verhielten sich völlig unauffällig. Der Präsident des Landesamtes für Soziales, Franz Allert, hält die Ängste der Anwohner für irrational. "Keine unserer Einrichtungen hat sich zu einem Kriminalitätsschwerpunkt entwickelt. Das ist ein intaktes Wohngebiet rund um die Soorstraße. Gerade weil es intakt ist, wird es dort gut laufen."
Und nicht alle Anwohner denken so wie die Mitglieder der Bürgerinitiative. "Die Flüchtlinge müssen menschenwürdig untergebracht werden. Das Gebäude steht seit mehreren Jahren leer. Also ist hier Platz", sagt ein 60-Jähriger.
Quelle: ntv.de, Kirsten Baukhage, dpa