Syriens Armee feuert über Grenzen Flüchtlinge und Reporter sterben
09.04.2012, 16:23 Uhr
Türkische Grenztruppen müssen jetzt offenbar mit Flüchtlingen und Schüssen aus Syrien rechnen.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Der Konflikt in Syrien erreicht zusehends die Grenzgebiete des Landes. Regierungstruppen feuern auf Zivilisten, die sich in die Türkei retten wollen. An der Grenze zum Libanon sind sie vermutlich für den Tod eines libanesischen Kameramanns verantwortlich.
An der syrisch-libanesischen Grenze ist ein libanesischer Kameramann erschossen worden. Der Reporter vom Sender Al-Dschadid war nach Angaben seiner Chefredakteurin mit zwei Kollegen in Wadi Chaled an der nördlichen Grenze des Libanon zu Syrien unterwegs, als er unter Beschuss geriet. Laut dem Sender kamen die Schüsse von der syrischen Armee.
Zuvor starben bei Schüssen an der türkisch-syrischen Grenze mindestens zwei Menschen. 15 weitere erlitten laut berichteten der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu Verletzungen. Zuvor hatte ein türkischer Diplomat gesagt, durch von der syrischen Seite aus abgefeuerte Schüsse seien auf türkischem Territorium drei Menschen verletzt worden, zwei Syrer und ein türkischer Übersetzer.
Der Vorfall ereignete sich demnach nahe der südosttürkischen Stadt Kilis, wo ein Lager für syrische Flüchtlinge errichtet wurde. Bewohner des Lagers hätten gesehen, wie eine Gruppe Syrer die Grenze habe überqueren wollen und dabei unter Beschuss geraten sei. Dann habe es Schüsse in Richtung des Lagers gegeben.
Das türkische Außenministerium habe sich umgehend an die syrische Botschaft gewandt und ein Ende des Beschusses gefordert. Der Zwischenfall schlage ein neues Kapitel in dem Konflikt auf, zitierte das türkische Staatsfernsehen TRT einen Sprecher des Außenministeriums in Ankara. Die Türkei verstärkte ihre Truppen in dem Gebiet. In der Türkei halten sich insgesamt fast 24.700 syrische Flüchtlinge auf, wie das Außenministerium in Ankara am Montag mitteilte.
China ermahnt Assad
Derweil will der UN-Sondergesandte für Syrien, Kofi Annan, am Dienstag syrische Flüchtlinge in den Lagern im Süden der Türkei besuchen. Der Besuch vor einer Reise Annans in den Iran werde nur einige Stunden dauern, sagte ein türkischer Diplomat. Der Sonderbeauftragte von UNO und Arabischer Liga wird am Mittwoch im Iran erwartet. Dort will er um Unterstützung für seinen Friedensplan für Syrien werben.
Indessen bangt die internationale Gemeinschaft darum, dass das Assad-Regime die gegebene Zusage einer Waffenruhe einhält, die Annan vermittelt hatte. Zuletzt nannte Syrien allerdings neue Bedingungen. Das Außenministerium in Damaskus hatte zuletzt verkündet, die Truppen würden erst nach "schriftlichen Garantien" der Opposition für ein Ende der Gewalt aus den Städten abgezogen. Der Chef der aus desertierten Soldaten zusammengesetzten Freien Syrischen Armee, Oberst Riad al-Asaad, betonte aber, der syrischen Regierung selbst keine Zusagen machen zu wollen. "Wir sind dem Annan-Plan verpflichtet", sagte al-Asaad. "Wir werden unsere Garantien und Zusagen der internationalen Gemeinschaft geben, aber nicht dem Regime." Gegenüber Al-Dschasira ergänzte al-Asaad: "Das ist eine kriminelle Bande."
China rief Syriens Führung daraufhin dazu auf, ihre Zusagen bezüglich eines Rückzugs der Truppen aus den Protesthochburgen und der Waffenruhe einzuhalten, sagte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums. Gleiches gelte für die syrischen Rebellen. China hatte zusammen mit Russland zweimal Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gegen Damaskus blockiert.
Frankreich droht mit Konsequenzen
Russland geht indessen weiterhin davon aus, dass Assad seine Truppen am Dienstag aus den Protesthochburgen zurückzieht. Nach russischen Agenturberichten "erinnerte" Vize-Außenminister Gennadi Gatilow daran, dass die Soldaten am 10. April aus den Städten abgezogen werden müssten und beide Seiten die Gewalt bis zum 12. April einzustellen hätten. "Danach werden wir sehen, in welche Richtung sich die Situation entwickelt", sagte Gatilow.
An diesem Dienstag wird der syrische Außenminister Walid al-Muallim zu Gesprächen mit seinem Amtskollegen Sergej Lawrow in Moskau erwartet. Russland spielt als enger Partner Syriens eine Schlüsselrolle in dem Konflikt. Moskau arbeite "aktiv" mit Damaskus zusammen, um so bald wie möglich eine Beilegung der Krise zu erreichen, sagte Gatilow. "Alles sollte unter Beachtung der Souveränität Syriens ablaufen, und die Gewalt muss eingestellt werden."
Frankreich verurteilte die neuen syrischen Forderungen für einen Waffenstillstand. Der Sprecher des Pariser Außenministerium, Bernard Valero, erklärte, nachdem das Assad-Regime angekündigte hatte, dass es den Vorschlag des Vermittlers Kofi Annan akzeptiert habe und selbst den 10. April als Datum für den Abzug seiner Truppen und der schweren Waffen aus den städtischen Zentren vorgeschlagen habe, formuliere es nun inakzeptable Forderungen. Frankreich müsse zusammen mit der internationalen Gemeinschaft Konsequenzen aus der syrischen Verweigerung einer Zusammenarbeit ziehen. Valero betonte überdies die volle Unterstützung für Annan.
Kämpfe dauern an
Auch die Bundesregierung pocht auf Einhaltung der Waffenruhe. "Wir brauchen ein Ende der Gewalt - spätestens am 10. April", sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes. "Humanitärer Zugang zu den Menschen in Syrien muss ermöglicht werden. Das muss glaubwürdig von der internationalen Gemeinschaft verifiziert werden können." Aus Sicht von Außenminister Guido Westerwelle bestätigten die jüngsten Berichte, wie drängend ein geschlossenes Auftreten der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem Assad-Regime sei, sagte die Sprecherin.
Oppositionelle forderten indessen Annan zu weiterem Handeln auf. Der Sondergesandte müsse sofort ein Büro in Damaskus eröffnen, um eine Waffenruhe überhaupt überwachen zu können, betonte der politische Aktivist Luaj Hussein. Bislang sei Annans Vorgehen zu langsam gewesen.
Die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und oppositionellen Rebellen gehen derweil unvermindert weiter. In der Protesthochburg Homs kamen nach Angaben von Aktivisten mindestens neun Menschen ums Leben, als die Armee am frühen Morgen das Feuer auf die Viertel Al-Chalidija und Deir Baalaba eröffnete. An der syrisch-türkischen Grenze nahe der Stadt Aleppo wurden laut syrischen Menschenrechtlern mindestens sechs syrische Grenzschützer bei einem Rebellenangriff getötet. Wegen der vom Regime verhängten Medienblockade sind solche Meldungen von unabhängiger Seite nur schwer zu überprüfen.
Quelle: ntv.de, jog/AFP/dpa