Politik

Libyens UN-Botschafter den Tränen nahe Gaddafi kämpft bis zum Ende

Gaddafi schwört seine Anhänger auf einen Kampf bis zum Letzten ein.

Gaddafi schwört seine Anhänger auf einen Kampf bis zum Letzten ein.

(Foto: REUTERS)

Hektisch beraten die Staaten dieser Welt über Wege, die Gewalt in Libyen zu stoppen. EU und USA kündigen Sanktionen an. Vor dem Weltsicherheitsrat wird Libyens UN-Botschafter von Emotionen überwältigt: Der Rat möge "echte Entscheidungen treffen, damit das Blutvergießen in unserem Land aufhört". Sein Vize nennt Gaddafi einen "psychologisch instabilen Verrückten". Der Machthaber indes schwört seine Anhänger auf einen bewaffneten Kampf ein und lässt auf Demonstranten schießen. Von Tausenden Toten ist inzwischen die Rede.

UN-Generalsekretär Ban spricht im Weltsicherheitsrat.

UN-Generalsekretär Ban spricht im Weltsicherheitsrat.

(Foto: AP)

Angesichts der anhaltenden Gewalt in Libyen hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den UN-Sicherheitsrat zu Konsequenzen aufgerufen. "Es ist Zeit für den Sicherheitsrat, entscheidende Maßnahmen in Betracht zu ziehen", sagte Ban in New York vor dem Gremium. Die Gewalt der Sicherheitskräfte, die Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi treu ergeben seien, müsse aufhören. "Die, die mit Brutalität das Blut Unschuldiger vergießen, müssen bestraft werden", sagte Ban. Er sprach von etwa 1000 Todesopfern seit Beginn der regierungskritischen Proteste vor anderthalb Wochen.

Libyens UN-Botschafter Abdulraman Shalgham bat den Weltsicherheitsrat in einem emotionalen Appell um Sanktionen gegen Gaddafi. Der Rat möge "echte Entscheidungen treffen, damit das Blutvergießen in unserem Land aufhört", sagte Shalgham von Gefühlen übermannt.

Libysche Flüchtlinge kommen in einem Feldlazarett in Tunesien an.

Libysche Flüchtlinge kommen in einem Feldlazarett in Tunesien an.

(Foto: dpa)

Strafmaßnahmen des Rates sollten nur Gaddafi und seinen Clan treffen, sagte Shalgham. Der ehemalige enge Vertrauter des Machthabers in Tripolis machte klar, dass er nicht mehr für Gaddafi spreche, sondern nur noch das libysche Volk vertrete. Den Tränen nahe sagte er, er habe sich nicht vorstellen können, dass der Protest seiner Landsleute einen so hohen Tribut fordern könnte. Seinen Worten zufolge wird Gaddafi bis zum Ende kämpfen und sich nicht gefangen nehmen lassen.

Shalghams Stellvertreter Ibrahim Dabbashi hatte zuvor erklärt, dass die brutalen Angriffe der libyschen Führung auf Zivilisten am Freitag wieder "Hunderte, wenn nicht Tausende Menschenleben gekostet" hätten. Dabbashi nannte Gaddafi einen "Verrückten" und warnte, "er ist psychologisch instabil".

Ban fordert schnelles Handeln

Ban mahnte die internationale Gemeinschaft zu schnellem Handeln. "Ein Zeitverlust bedeutet ein Verlust von Menschenleben", sagte er. Die 15 Mitglieder berieten über einen Entwurf der Europäer, an dem auch Deutschland mitgearbeitet hatte. Es geht unter anderem um ein Waffenembargo gegen Libyen sowie die Anrufung des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wegen der dramatischen Entwicklung in Libyen hatte das höchste UN-Entscheidungsgremium eine Sondersitzung mit UN-Generalsekretär Ban anberaumt. Zuvor hatten bereits die EU und die USA Sanktionen gegen Gaddafi und seine Gefolgsleute angekündigt.

USA verhängen Sanktionen

Regierungssprecher kündigt Reaktionen der USA an.

Regierungssprecher kündigt Reaktionen der USA an.

(Foto: REUTERS)

Regierungssprecher Jay Carney sagte in Washington, dass die USA Strafmaßnahmen gegen Libyen verhängen. Dabei werde man sich mit den europäischen Verbündeten abstimmen. Einzelheiten nannte er nicht. Unter anderem werde die Militärkooperation beendet, das State Department stelle die Tätigkeit der Botschaft in Tripolis ein. Präsident Barack Obama werde sich am Montag mit UN-Generalsekretär Ban treffen, um über Libyen zu sprechen.

Allerdings forderte der Sprecher erneut nicht ausdrücklich den Rücktritt von Staatschef Gaddafi. "Das ist Sache des Volkes zu entscheiden." Allerdings habe Gaddafi das Vertrauen seines Volkes verloren. "Seine Legitimität ist gleich null."

In den vergangenen Tagen hieß es in Washington immer wieder, die USA zögerten, Druck auf das Regime auszuüben, weil man Repressionen gegen dort lebende Amerikaner fürchtete. Inzwischen haben Carney zufolge alle ausreisewilligen Amerikaner Libyen verlassen. Auch das gesamte amerikanische Botschaftspersonal habe das Unruheland verlassen.

EU entschließt sich zu Sanktionspaket

Mit diesen Bildern will Gaddafi "beweisen", dass Al-Kaida in Derna mordet. Journalisten widerlegen die These des Staatschefs und sprechen von Propaganda. Die Menschen seien von Gaddafis Söldnern ermordet worden.

Mit diesen Bildern will Gaddafi "beweisen", dass Al-Kaida in Derna mordet. Journalisten widerlegen die These des Staatschefs und sprechen von Propaganda. Die Menschen seien von Gaddafis Söldnern ermordet worden.

(Foto: REUTERS)

Nach tagelangem Zögern hatte sich auch die Europäische Union zu einer härteren Gangart entschlossen. Zu einem Sanktionspaket sollen neben einem generellen Stopp des Waffenexports auch ein Lieferverbot für die Ausrüstung der libyschen Sicherheitskräfte gehören. Zudem soll gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi und seine Familie ein Einreiseverbot in EU-Länder verhängt werden. Ihre Konten im Ausland sollen eingefroren werden. Außenminister Guido Westerwelle stellte in Aussicht, dass die Sanktionen zügig eingeleitet werden. "Wir setzen darauf, dass der formale Beschluss... Anfang nächster Woche erfolgt", hieß es im Auswärtigen Amt in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat inzwischen Sanktionen gegen Gaddafi befürwortet.

"Die Zeit der Appelle ist vorbei, jetzt wird gehandelt", kündigte Westerwelle nach Gesprächen mit seinen italienischen und marokkanischen Amtskollegen, Franco Frattini und Fassi Fihri, in Berlin an. Westerwelles Angaben zufolge hat nun auch Italien keine Einwände mehr gegen Sanktionen. Westerwelle schloss weitere Strafmaßnahmen nicht aus. Er wies aber Berichte über Pläne für ein militärisches Eingreifen in Libyen strikt zurück.

Beim Außenministertreffen am Montag hatten Italien, Zypern und Malta - die nächsten Nachbarn Libyens - noch gebremst. Doch der Auftritt Gaddafis am Dienstag und die Eskalation der Gewalt gegen die Massenproteste in dem Land hatte die südlichen EU-Staaten wie alle anderen schockiert und zum Umdenken bewegt. Die Schweiz hatte die Konten von Gaddafi und seinem Clan bereits am Donnerstagabend gesperrt, um eine Veruntreuung libyschen Vermögens zu verhindern.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy forderte den Rücktritt von Gaddafi. Ein militärisches Eingreifen in Libyen werde Frankreich aber nur mit größter Vorsicht erwägen. Auch der russische Präsident Dmitri Medwedew verurteilte die Gewalt in Libyen gegen Zivilisten und drohte  Strafmaßnahmen an. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erklärte beim EU-Verteidigungsministertreffen in Budapest, die EU stimme sich mit den Vereinten Nationen ab.

NATO greift nicht militärisch ein

In Brüssel kamen die ständigen Botschafter der 28 NATO-Staaten zu einem Sondertreffen zusammen. "Die NATO wird die Situation in Abstimmung mit anderen internationalen Organisationen sehr genau beobachten", erklärte Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Die Allianz werde sich weiterhin abstimmen, "um für den Eventualfall vorbereitet zu sein". Die Situation in Libyen betreffe die Sicherheit von Tausenden Bürgern, auch aus NATO-Ländern.

Nach Angaben von Diplomaten plant die Allianz kein unmittelbares militärisches Handeln. Das Bündnis könnte koordinieren, beispielsweise bei Evakuierungsaktionen. "Eindeutige Priorität muss der Evakuierung von Menschen gegeben werden, und vielleicht auch humanitärer Hilfe", hatte Rasmussen zuvor bei einem Sondertreffen der EU-Verteidigungsminister in Gödöllö bei Budapest gesagt. "Das ist eine Krise in unserer unmittelbaren Nachbarschaft."

Aus Ankara war berichtet worden, die türkische Regierung habe das Militär angewiesen, in Libyen festsitzende türkische Bürger notfalls mit gezielten Militäreinsätzen in Sicherheit zu bringen.

KSK-Einsatz zur Rettung Deutscher?

Das Versorgungsschiff "Berlin" liegt vor Malta. Zur kleinen Flotte der Bundeswehr gehören auch die Fregatten "Brandenburg" und "Rheinland-Pfalz".

Das Versorgungsschiff "Berlin" liegt vor Malta. Zur kleinen Flotte der Bundeswehr gehören auch die Fregatten "Brandenburg" und "Rheinland-Pfalz".

(Foto: AP)

EU-Angaben zufolge halten sich noch insgesamt 3600 Bürger aus EU-Ländern in Libyen auf; etwa 3400 EU-Bürger hätten das Land inzwischen verlassen. Die zur Evakuierung der 160 noch verbliebenen Deutschen entsandten drei Schiffe der Marine sind inzwischen in Malta eingetroffen. Dort stehen auch zwei Transall-Maschinen der Luftwaffe bereit. Bei den Schiffen handelt es sich um die Fregatten "Brandenburg" und "Rheinland-Pfalz" sowie den Einsatzgruppenversorger "Berlin", der auch Hubschrauber an Bord hat. Westerwelle stellte klar, dass die Marine bei einem Rettungseinsatz nicht schießen werde.

Eine deutsche Transall auf dem Flughafen von Valetta.

Eine deutsche Transall auf dem Flughafen von Valetta.

(Foto: dpa)

Nach Berichten über den Einsatz bewaffneter Bundeswehrkräfte verlangten die Grünen Aufklärung von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Tagesschau.de hatte gemeldet, die Luftwaffe habe Bundesbürger mit zwei Transall-Maschinen nach Malta ausgeflogen. Nach Darstellung von Augenzeugen seien sie dabei von bewaffneten Spezialeinheiten der Bundeswehr beschützt worden, möglicherweise dem KSK.

UN-Menschenrechtsrat droht mit Ausschluss

Erstmals wurde einem aktiven Mitglied der Ausschluss aus dem UN-Menschenrechtsrat angedroht. Das Gremium sprach bei einer Sondersitzung in Genf einstimmig die Empfehlung aus, Libyen wegen der staatlichen Gewalt gegen Demonstranten aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen auszuschließen. Außerdem soll eine hochrangige internationale Kommission Menschenrechtsverletzungen des Regimes untersuchen. Libyen war erst vor einem Jahr nach einer umstrittenen Abstimmung in New York Mitglied geworden. Die Vollversammlung muss mit Zweidrittelmehrheit einen Ausschluss beschließen. US-Regierungssprecher Carney zofolge unterstützen die USA den Ausschluss Libyens aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen.

Internationale Hilfsorganisationen, wie das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM), forderten in Genf von der Weltgemeinschaft schnelle Hilfsmaßnahmen. Bisher seien etwa 40.000 Menschen aus Libyen nach Tunesien und Ägypten geflüchtet, teilte das IOM mit. Das UNHCR lobte den "humanitären Geist", den die tunesischen und ägyptischen Behörden gezeigt hätten. Nach Angaben von IOM-Sprecher Jean-Philippe Chauzy sitzen tausende Bürger von Staaten in Libyen fest, welche nicht die Mittel für eine Evakuierung haben. Unter anderen hätten Bangladesch, Sri Lanka und Moldawien die IOM um Hilfe für die Rückholung gebeten.

Gaddafi ruft zum bewaffneten Kampf

Der wankende Machthaber mobilisiert seine Anhänger: Der Grüne Platz während der Rede Gaddafis.

Der wankende Machthaber mobilisiert seine Anhänger: Der Grüne Platz während der Rede Gaddafis.

(Foto: REUTERS)

Nach der Androhung von Sanktionen durch die Weltgemeinschaft und angesichts seiner bröckelnden Machtbasis fordert Gaddafi seine Anhänger zum bewaffneten Kampf auf. "Wir werden kämpfen und wir werden siegen", sagte er in einer vom Staatsfernsehen verbreiteten Rede auf dem Grünen Platz in Tripolis.

Die Waffenlager im Land würden "geöffnet, um das ganze Volk zu bewaffnen", sagte Gaddafi mit erhobener Faust. "Ich bin weder Präsident noch König, aber dieses Volk liebt mich", versicherte der seit mehr als 40 Jahren herrschende Machthaber. "Singt, tanzt und macht Euch bereit", rief er seinen Anhängern zu, die "Habt keine Angst um Libyen, solange Gaddafi hier ist", skandierten.

Ehemalige Offiziere, die sich den Aufständischen ansc hließen, werden von Demonstranten in Bengasi mit Jubel begrüßt.

Ehemalige Offiziere, die sich den Aufständischen ansc hließen, werden von Demonstranten in Bengasi mit Jubel begrüßt.

(Foto: REUTERS)

Inzwischen sind aber weite Teile Libyens nicht mehr unter der Kontrolle der Machthaber. Im Stadtbezirk Faschlum von Tripolis riefen Demonstranten Anti-Gaddafi-Slogans, wie Bewohner berichteten. Im Bezirk Dschansur seien mindestens fünf Menschen getötet worden. In Vororten der libyschen Hauptstadt schossen Sicherheitskräfte auf Demonstranten, so informierten Anwohner. Auch im Stadtzentrum von Tripolis eröffneten Soldaten das Feuer auf eine Gruppe von etwa 500 Demonstranten. Laut BBC gab es mindestens einen Toten. Eine etwa doppelt so große Gruppe von Gaddafi-Anhängern versammelte sich kurz darauf auf dem Grünen Platz, berichtete ein Augenzeuge.

Soldaten und Polizisten in der ostlibyschen Stadt Addschabija berichteten dem Fernsehsender Al-Dschasira, sie hätten sich den Aufständischen angeschlossen und seien aus den Kasernen ausgezogen. Auch Generalstaatsanwalt Abdul-Rahman Al-Abbar trat zurück und schloss sich der Opposition an.

Ölfelder in der Hand der Aufständischen

Rebellen im Osten Libyens haben nach eigener Darstellung die meisten Ölfelder östlich der Stadt Ras Lanuf unter ihre Kontrolle gebracht. In der Stadt am Golf von Sirte befindet sich zudem eine der drei größten Öl-Raffinerien des Landes, die ihren Betrieb laut Augenzeugen eingestellt hat. Mehr als zwei Drittel der Belegschaft hätten das Gelände verlassen, sagte ein Informant aus dem Betrieb. Nur die Wachmannschaften seien noch vor Ort.

Zudem brachten Rebellen Augenzeugen zufolge die Stadt Brega und ihren Öl-Terminal in ihre Gewalt. "Das Gebiet wird vom Volk kontrolliert", sagte Mabruk Maghrabi, ein Anwalt des lokalen Komitees von Brega. Bestehende Lieferverträge würden respektiert, sofern sie den Interessen des libyschen Volkes dienten. Sollten sich einzelne Verträge jedoch als unfair erweisen oder durch Korruption zustande gekommen sein, werde sich die Übergangsführung in Benghasi das Recht vorbehalten, diese neu zu verhandeln.

Nach Angaben internationaler Öl-Experten sind die Rohöl-Lieferungen aus Libyen wegen der Unruhen in dem Land so gut wie eingestellt worden.

Libyen besitzt chemische Waffen

In Bengasi werden die Opfer der Gewalt zu Grabe getragen.

In Bengasi werden die Opfer der Gewalt zu Grabe getragen.

(Foto: AP)

Unterdessen warnte Mustafa Abdel Galil, der Anfang der Woche als libyscher Justizminister zurückgetreten war, im Sender Al-Dschasira, dass Gaddafi über chemische Waffen verfüge und nicht zögern werde, sie einzusetzen. Vor allem dann nicht, wenn die Hauptstadt Tripolis bedroht sei, meinte Galil. "Wir rufen die internationale Gemeinschaft und die UN auf, Gaddafi von der Verfolgung seiner Pläne in Tripolis abzuhalten", sagte er nach einem Treffen mit Stammesführern aus dem Osten Libyens in Al-Badhia. "Wenn er zum Schluss wirklich unter Druck steht, ist er zu allem fähig. Gaddafi wird nur verbrannte Erde hinterlassen."

Libyen soll noch über Senfgas-Bestände verfügen. Etwa 10 Tonnen des gefährlichen Kampfstoffes sollen sich in den Arsenalen der Streitkräfte befinden, sagte Peter Caril, Experte für Massenvernichtungswaffen bei der US-amerikanischen Arms Control Association, dem US-Sender CNN. Das meiste davon werde in einer Anlage südlich von Tripolis vermutet.

Quelle: ntv.de, hdr/AFP/dpa/rts

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