Kretschmanns großer Erfolg Grün-Rot erringt historischen Sieg
27.03.2011, 21:40 Uhr
Gewinner und Verlierer: Während sich Winfried Kretschmann (rechts) über sein historisch einmaliges Ergebnis freuen kann, muss Ministerpräsident Mappus die Niederlage verkraften.
(Foto: REUTERS)
Baden-Württemberg erlebt einen historischen Machtwechsel: Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis erringen Grüne und SPD bei der Landtagswahl eine knappe Mehrheit. Da die Grünen die zweitstärkste Kraft hinter der CDU werden, könnte mit Winfried Kretschmann erstmals ein Grüner Ministerpräsident eines Bundeslandes werden. Die SPD kündigt bereits an, als Juniorpartner in eine Koalition gehen zu wollen. Während die FDP trotz massiver Verluste knapp den Einzug in den Landtag schafft, scheitert die Linkspartei deutlich an der 5-Prozent-Hürde.
Baden-Württemberg steht nach fast 58 Jahren CDU-Regentschaft vor einem historischen Machtwechsel. Grüne und SPD haben nach Stimmenanteilen die Landtagswahl in Baden-Württemberg gewonnen. Grün-Rot lag nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis vor der schwarz-gelben Regierungskoalition von Ministerpräsident Stefan Mappus. Die Grünen gewinnen kräftig dazu und werden zweitstärkste Kraft hinter der CDU und vor der SPD. Damit könnte ihr Spitzenkandidat Winfried Kretschmann in einer Koalition mit der SPD der erste grüne Ministerpräsident in Deutschland werden.
Die CDU von bricht ein und holt das schlechteste Ergebnis seit über 50 Jahren, wird aber wieder stärkste Kraft im Stuttgarter Landtag. Mappus gratulierte Grünen und SPD bereits zum Wahlsieg: "Sie können die Regierung stellen." Der CDU-Landeschef kündigte an, über personelle Konsequenzen nachdenken. Vorschläge zur Neuausrichtung will er den Parteigremien am Montag vorstellen.
"Politikwechsel einleiten"
Die Grünen können in Baden-Württemberg ihr Ergebnis mehr als verdoppeln und landen erstmals auf Rang zwei hinter der CDU. Damit könnte ihr 62-jähriger Spitzenkandidat Winfried Kretschmann in einer Koalition mit der SPD der erste grüne Ministerpräsident in Deutschland werden. "Jetzt haben wir die historische Wende in diesem Land erreicht", jubelte der als wertkonservativ geltende Kretschmann. Die Grünen holten erstmals auch Direktmandate: Bislang sind es bereits sieben in Freiburg, Stuttgart, Mannheim, Heidelberg und Tübingen.
"Wir werden in diesem Land einen Politikwechsel einleiten. Wir werden den versprochenen Weg in die Bürgergesellschaft gehen", rief Kretschmann vor jubelnden Anhängern. Die Grünen wollten die Bürger hinter ihren Zielen versammeln, "damit wir dieses Land umgestalten können". Kretschmann sagte, es gehe nun darum, die Menschen zusammenzuführen.
Was wird aus Stuttgart 21?
Die SPD ist bereit, als Juniorpartner mit den Grünen zu regieren. "Wir werden nicht alles anders machen, aber vieles besser", kündigte Spitzenkandidat Nils Schmid an. Seine SPD rutschte auf ihr schwächstes Ergebnis in Baden-Württemberg ab. Die FDP kämpfte gegen einen Rutsch unter die Fünf-Prozent-Hürde. Die Linke schaffte den Sprung in den Stuttgarter Landtag nicht.
Nach der Übernahme der Regierung durch Grün-Rot die Regierung, steht hinter dem umstrittenen Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 wieder ein großes Fragezeichen. Beide Parteien wollen eine Volksabstimmung über das Vorhaben organisieren.
Gegner des umstrittenen Bahnprojekts "Stuttgart 21" sind nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg auf das Baugelände vorgedrungen. Wie die Polizei in Stuttgart mitteilte, rissen etwa 500 Demonstranten Teile des Bauzauns nieder und versuchten das Gelände hinter dem eigentlichen Bahnhof zu besetzen. Ein starkes Polizeiaufgebot war im Einsatz.
Wahlbeteiligung steigt

In Begleitung seiner Frau Susanne Verweyen-Mappus räumte der Ministerpräsident seine Niederlage ein.
(Foto: dpa)
Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kommt die CDU auf 39 Prozent und verliert damit knapp 5 Punkte im Vergleich zu 2006. Die Grünen erzielen 24,2 Prozent (11,7). Die SPD erreicht 23,1 Prozent (25,2). Die FDP, die seit 1996 mit der CDU regierte, halbierte ihr Resultat und erzielte nur 5,3 Prozent (10,7). Die Linkspartei kommt auf nur noch 2,8 Prozent (3,1).
Die CDU im neuen Landtag erhielt 60 Sitze (bisher: 69). Die Grünen stellen 36 Abgeordnete (bisher 17), die SPD 35 (bisher: 38). Die FDP kommt auf 7 Mandate (bisher 15). Damit hat Grün-Rot knapp die absolute Mehrheit im Landtag.
Die Wahlbeteiligung, die zuletzt mit 53,4 Prozent so niedrig wie nie zuvor bei einer baden-württembergischen Landtagswahl war, lag nach Angaben des Statistischen Landesamtes nach Auszählung der Hälfte der Wahlkreise bei 64,2 Prozent.
In der CDU deutete sich nach der herben Niederlage ein Machtkampf an: Fraktionschef Peter Hauk erklärte seinen Anspruch auf die Rolle des Oppositionsführers. "Ich werde mich wieder für das Amt (des Fraktionschefs) bewerben", sagte er. Über personelle Konsequenzen an der Parteispitze werde nach der Wahlanalyse entschieden.
Mappus und Merkel

SPD-Spitzenkandidat (hier mit seiner Frau Tuelay) Schmid fühlt sich trotz der Verluste seiner Partei als Wahlsieger.
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Mappus, der einer der größten Verfechter längerer Laufzeiten für Atomkraftwerke gewesen war, bemühte sich um Schadensbegrenzung für die Bundes-CDU. Mit Blick auf das Atom-Moratorium der Bundesregierung nach dem Desaster in Japan betonte er: "Der Kurs war und ist richtig, da gibt es auch keine Schuldzuweisungen irgendwohin. Man muss nichts in Richtung Berlin konstruieren."
Die Niederlage für die Südwest-CDU ist auch ein Debakel für Kanzlerin Angela Merkel, die sich stark in den Wahlkampf eingeschaltet hatte. Der 44-jährige Mappus hatte erst am 10. Februar 2010 das Amt von Günther Oettinger übernommen, der EU-Kommissar in Brüssel wurde.
FDP diskutiert Konsequenzen
Mappus' Koalitionspartner FDP verlor ebenfalls deutlich. Parteichef Guido Westerwelle äußerte sich "schwer enttäuscht": "Es war eine Abstimmung über die Zukunft der Atomkraft." Einen Rücktritt lehnte Westerwelle ab. Parteivize Rainer Brüderle kündigte nach den empfindlichen Verlusten bei beiden Landtagswahlen an, die FDP werde am Montag auch über personelle Konsequenzen beraten. Baden-Württembergs FDP-Landeschefin Birgit Homburger hat ebenfalls persönliche Konsequenzen ausgeschlossen. Homburger sagte, sie sehe keinen Anlass für Personaldiskussionen.
Der Kieler FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki hat angesichts der schlechten Wahlergebnisse eine Erneuerung an der Spitze der Bundestagsfraktion angeregt. Die Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger sei als Landesvorsitzende in Baden-Württemberg mitverantwortlich dafür, dass die Liberalen um den Einzug in den Landtag bangen müssten. "Das ist ein Menetekel; darauf muss inhaltlich und personell reagiert werden", sagte Kubicki. "Die Bundestagsfraktion sollte intensiv darüber nachdenken, sich eine neue Führung zu geben."

FDP-Chef Westerwelle muss neuen Streit um die Ausrichtung und Aufstellung seiner Partei fürchten.
(Foto: dapd)
Ebenso wie Westerwelle machte auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe die Atomkatastrophe in Japan für das Wahlergebnis mitverantwortlich. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte, Kanzlerin Merkel habe die Landtagswahl in Baden-Württemberg zur Schicksalswahl aufgerufen, "und das wird jetzt auch ihr Schicksal besiegeln".
Große Wechselstimmung
Die Wechselstimmung war nach einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen gewaltig. Die Hauptgründe für den Wahlausgang sehen die Forscher im Land. Als Gründe führen sie an: Starke Imageverluste von CDU und FDP im Land, eine magere Regierungsbilanz, ein wenig beliebter Ministerpräsident, sein Kurswechsel in Sachen Atomkraft und seine Ansichten zum Bahnhofsprojekt Stuttgart 21.
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die Ergebnisse der Landtagswahlen als "eine Volksabstimmung gegen die Atomenergie" gewertet. "Heute ist die endgültige Entscheidung über das Aus der Atomenergie getroffen worden", sagte Gabriel. Er sprach von einem "entscheidenden Tag für die Menschen in Deutschland". Auf das Thema Atom führte Gabriel auch die sehr starken Ergebnisse der Grünen zurück. Viele Menschen hätten hier "ein unmissverständliches Zeichen setzen" wollen. Gabriel gratulierte den Grünen zu ihrem Erfolg.
Der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir hat den Erfolg seiner Partei als "historisch" bezeichnet. Mit einem solchen Ergebnis habe er nicht gerechnet, sagte Özdemir in der ARD. Er sei "Zeuge eines historischen Wahlergebnisses". Auf die Frage nach einer künftigen Rolle in der Landespolitik sagte der aus Baden-Württemberg kommende Özdemir, er werde seine Parteifreunde im Land "aus Berlin unterstützen".
Quelle: ntv.de, tis/dpa/rts/AFP